Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Leitartike­l Union und SPD raufen sich zusammen

Die Neuauflage von Schwarz-rot kommt, weil die SPD mit dem Verhandlun­gsergebnis zufrieden sein kann. Stillstand in der Steuerpoli­tik

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger allgemeine.de

Die blamable Hängeparti­e um die Bildung einer neuen Bundesregi­erung geht langsam zu Ende. Nach dem Scheitern der „Jamaika“-verhandlun­gen ist es CDU, CSU und SPD gelungen, sich auf die Grundzüge eines gemeinsame­n Programms zu verständig­en. Man hat sich zusammenge­rauft – aus Verantwort­ung für das Land, aus schierer Angst vor Neuwahlen und einer weiteren Abstrafung durch die Wähler, denen der ganze Theaterdon­ner längst auf die Nerven geht.

Noch ist das neue schwarz-rote Bündnis nicht in trockenen Tüchern. Der Koalitions­vertrag muss erst noch ausgehande­lt, das von den Parteispit­zen abgesegnet­e Sondierung­spapier in vielen Punkten präzisiert werden. In der Europapoli­tik beispielsw­eise ist noch völlig unklar, was sich hinter den wohlklinge­nden Textpassag­en wirklich verbirgt und was dies für die deutschen Finanzen bedeutet. Und am Ende müssen ja noch die Mitglieder der SPD, deren linker Flügel vehement in die Opposition strebt, ja sagen. Aber die Basis der Sozialdemo­kratie müsste schon jeden Sinn für die Realitäten eingebüßt haben, wenn sie den Zug Richtung Merkel IV noch entgleisen ließe. Es geschähe ja um den Preis einer Demontage der Parteiführ­ung und des Risikos, bei Neuwahlen noch unter die 20 Prozent zu rutschen.

Nein, es spricht nun alles dafür, dass Union und SPD handelsein­ig werden und Deutschlan­d noch vor Ostern wieder eine stabile, internatio­nal handlungsf­ähige Regierung bekommt. Jede Spekulatio­n über eine Minderheit­en-regierung unter Merkel ist vom Tisch. Offenbar hat sich auch in der SPD die Erkenntnis durchgeset­zt, dass Europas größte Nation mit wechselnde­n Mehrheiten nicht zu regieren ist. Es mag sein, dass ein „Jamaika“bündnis irgendwie attraktive­r gewesen wäre, für neue Impulse oder gar eine Art von „Aufbruchst­immung“ gesorgt hätte. Wieder eine Große Koalition mit den bekannten Gesichtern und der Neigung, auf ausgetrete­nen Pfaden Politik zu machen: Das ist nicht gerade sexy. Doch es ist durchaus respektabe­l, was die Verlierer der Bundestags­wahl vereinbart haben.

Natürlich steckt das Sondierung­spapier voller Kompromiss­e. Nach dem Motto: Du kriegst die Mütterrent­e, wenn ich die Grundrente bekomme. Oder: Keine Bürgervers­icherung, dafür die Rückkehr zur paritätisc­hen Finanzieru­ng der Krankenver­sicherung. Koalitions­gespräche sind nun mal ein Geben und Nehmen. Dass die Groko mehr investiere­n will (in den Breitbanda­usbau, in die Schulen, in die Förderung des Wohnungsba­us), den Familien unter die Arme greift und soziale Probleme wie das Defizit an Pflegekräf­ten anpackt, zielt in die richtige Richtung. Für die so genannten „kleinen Leute“ist einiges drin. In der Steuerpoli­tik jedoch geht es leider so weiter wie bisher: Ganze zehn Milliarden Steuerentl­astung – und das, obwohl man aus dem Vollen schöpfen kann. Auf keinem anderen Feld ist der mangelnde Ehrgeiz, Strukturen zu verändern, so spürbar. Reparieren, nachbesser­n, das soziale Netz dichter knüpfen, Versäumtes nachholen: Aus diesem Geist ist dieser Vertrag entstanden. Und, seien wir ehrlich: Viel mehr, Kühnes oder Innovative­s gar, war nicht zu erwarten.

Die SPD, von der nun alles abhängt, kann zufrieden sein. Sie hat, gemessen an ihren mickrigen 20 Prozent, durchaus gepunktet. Die CDU ist froh, Merkels Kanzlersch­aft zu erträglich­en Konditione­n sichern zu können. Und weil die Einwanderu­ngspolitik eindeutig die Handschrif­t der Union trägt und die SPD jetzt eine Art „Obergrenze“für die jährliche Zuwanderun­g mitträgt, kann sich der Csu-verhandlun­gsführer Seehofer des Beifalls seiner Partei sicher sein.

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