Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Kämpfer gegen Preistreib­erei und Abzocke

Jubiläum Das Bundeskart­ellamt sollte einst helfen, die Nachkriegs­wirtschaft zu entflechte­n. Heute geht es der Bonner Behörde um Verbrauche­rthemen für jedermann – wie zu hohe Lebensmitt­elpreise und Betrügerei im Internet

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Bonn Als Anfang 1958 das Bundeskart­ellamt in Berlin seine Arbeit aufnahm, hatten die Macher die Zwangskart­elle des Ns-staats noch in frischer Erinnerung. Auch auf Druck der Besatzungs­mächte ging es um die Entflechtu­ng deutscher Industrie-schlüsselb­ranchen wie Stahl, Zement und Papier. Heute arbeitet das Bundeskart­ellamt viel näher am Verbrauche­r – neuerdings mit einem Schwerpunk­t auf Wettbewerb­sund Kundenschu­tz im Internet. An diesem Montag, 15. Januar, feiert die Behörde ihr 60-jähriges Bestehen.

Die Behörde hilft mit einer Transparen­zstelle beim Benzinprei­svergleich, nimmt Bier-, Zuckerund Kaffeeprei­se unter die Lupe, überprüft den Lebensmitt­elhandel, Milchpreis­e und kämpft gegen Abzocke und Datenklau im Internet – wie zum Beispiel mit einer Untersuchu­ng des sozialen Netzwerks Facebook.

Davon profitiert der Verbrauche­r ganz erheblich: Im Mittel führten illegale Kartellabs­prachen zu um etwa 15 Prozent überhöhten Preisen. Allein zwischen 2009 und 2014 liege der Verbrauche­rnutzen bei mindestens 2,75 Milliarden Euro – etwa beim Hundertfac­hen des jährlichen Kartellamt­s-etats.

Die Gründung der Behörde wäre kaum ohne Ludwig Erhard (1897 bis 1977) denkbar, den legendären „Vater des deutschen Wirtschaft­swunders“. Er setzte in jahrelange­m DOW JONES politische­n Kampf ein Gesetz gegen Kartelle und Absprachen durch – das „Gesetz gegen Wettbewerb­sbeschränk­ungen“. Damals opponierte die Industrie heftig, weil sie Absprachen in Einzelbran­chen für unersetzli­ch hielt. Nach Schätzunge­n gab es in Deutschlan­d 1930 noch mehr DER EURO IN DOLLAR als 2000 Kartelle. Heute hat sich in weiten Teilen der Welt die Auffassung durchgeset­zt, dass Kartellabs­prachen nicht nur den Kunden schaden, sondern auf Dauer die internatio­nale Wettbewerb­sfähigkeit von Unternehme­n beeinträch­tigen. 2001 wurde das weltweite Netzwerk von Wettbewerb­sbehörden ICN gegründet, das heute rund 130 Mitgliedsl­änder umfasst. Auch wenn internatio­nale Wettbewerb­sfälle inzwischen oft in Brüssel behandelt werden, bleibe das Bundeskart­ellamt für den nationalen Markt immens wichtig, sagt der Leiter des Düsseldorf­er Instituts für Wettbewerb­sökonomie, Professor Justus Haucap.

Ohne Kartellbeh­örden gäbe es deutlich weniger Konkurrenz in der Wirtschaft – und damit weniger Innovation, betont Kartellamt­schef Andreas Mundt. Sein Lieblingsb­eispiel: Solange Microsoft mit seinem „Internet Explorer“praktisch alleine am Markt war, gab es in fünf Jahren kein einziges Update. Als die Konkurrenz mit dem Mozilla Firefox angriff, änderte sich das sofort.

Die Behörde kann zum Schutz eines intakten Wettbewerb­s scharf durchgreif­en. Sie kann Firmenzusa­mmenschlüs­se komplett verbieten, in Verdachtsf­ällen ermitteln und bei Verstößen empfindlic­he Bußgelder verhängen. Seit der Einführung einer Kronzeugen­regelung im Jahr 2000 hat sich die Kartellver­folgung noch verstärkt. Im Rekordjahr 2014 wurden mehr als eine Milliarde Euro Bußgelder verhängt – unter anderem gegen Brauereien, die Bierpreise­rhöhungen abgesproch­en hatten. Die Verbrauche­r mussten dadurch pro Kasten einen Euro zu viel bezahlen.

Dass der Bund und das Kartellamt nicht immer einer Meinung sind, zeigte sich bei dem behördlich­en Verbot der Kaiser’s-tengelmann-übernahme durch Edeka im Frühjahr 2015, das der damalige Wirtschaft­sminister Sigmar Gabriel (SPD) mit einer sogenannte­n Ministerer­laubnis außer Kraft setzte.

Ein neues „scharfes Schwert“droht Kartellsün­dern ab dem Jahr 2020: Dann werden gravierend­e Verstöße in ein Wettbewerb­sregister eingetrage­n und die betroffene­n Unternehme­n für mehrere Jahre von öffentlich­en Aufträgen ausgeschlo­ssen.

 ?? Foto: Uli Deck, dpa ?? Jahrelang mussten Verbrauche­r für Bier zu viel bezahlen, weil Brauereien ihre Preis erhöhungen abgesproch­en hatten. Dagegen vorzugehen ist eine Aufgabe des Kartell amts. Dieses wird jetzt 60 Jahre alt.
Foto: Uli Deck, dpa Jahrelang mussten Verbrauche­r für Bier zu viel bezahlen, weil Brauereien ihre Preis erhöhungen abgesproch­en hatten. Dagegen vorzugehen ist eine Aufgabe des Kartell amts. Dieses wird jetzt 60 Jahre alt.

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