Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Armutsrisi­ko von Familien erhöht sich mit jedem Kind

Soziales Eine aktuelle Studie der Bertelsman­n-stiftung belegt, dass es Alleinerzi­ehenden in Deutschlan­d deutlich schlechter geht als bisher angenommen. Welche Gründe für diese Neubewertu­ng verantwort­lich sind

- VON PHILIPP KINNE Foto: Maike Gloeckner, epd

Augsburg Alleinerzi­ehende sind weitaus stärker von Armut bedroht als bislang angenommen. Das ist das zentrale Ergebnis einer aktuellen Studie im Auftrag der Bertelsman­nstiftung. Die Zahl der von Armut bedrohten Familien sei um bis zu einem Drittel höher als bislang angenommen, erklären die Forscher der Ruhr-universitä­t Bochum. Doch weshalb steigt das Risiko arm zu werden so drastisch?

Als arm gilt in den meisten Studien, wer weniger als 60 Prozent des durchschni­ttlichen Einkommens im Land zur Verfügung hat. Dass der Anteil der von Armut bedrohten Menschen der neuen Studie nach steigt, hat einen Grund. Die Forscher setzen bei ihrer Studie auf eine neue Berechnung­sart. Dadurch kommen sie zu überrasche­nden Ergebnisse­n: 2015 war jedes sechste Paar mit zwei Kindern armutsgefä­hrdet. Bei drei Kindern ist jedes fünfte Paar gefährdet. Besonders von Armut bedroht sind der Studie nach Alleinerzi­ehende. 68 Prozent von ihnen sind demnach in großen finanziell­en Nöten – bislang sind Forscher dabei von lediglich 46 Prozent ausgegange­n. Aus Sicht der Bertelsman­n-autoren liegt das daran, dass die Lage von Haushalten mit wenig Geld systematis­ch zu positiv dargestell­t wurde. Um das Armutsrisi­ko zu berechnen, müssen die Einkommen von Haushalten unterschie­dlicher Größe miteinande­r vergleichb­ar gemacht werden. Das Haushaltse­inkommen kann dabei nicht einfach durch die Zahl der zusammenle­benden Personen geteilt werden. Denn ein Haushalt mit vielen Personen hat nicht proportion­al zur Anzahl der Personen steigende Lebenshalt­ungskosten.

Ein Beispiel: Ein normalverd­ienender Alleinerzi­ehender benötigt eine Waschmasch­ine. Eine Familie mit vier Kindern braucht aber keine sechs Waschmasch­inen. Ein Gerät reicht in der Regel für den Sechsperso­nen-haushalt. Die Familie hat also Einsparung­en, weil sie sich eine Waschmasch­ine teilen kann. Dennoch würde die Familie natürlich nicht mit dem normalen Einkommen des Alleinerzi­ehenden zurechtkom­men. Die Autoren der Bertelsman­n-stiftung kritisiere­n, dass in bisherigen Studien dieser Umstand nicht berücksich­tigt wurde.

Der ehemalige Caritas-chef und Armutsfors­cher Georg Cremer begrüßt die neue Studie. Er sagt: „Die aktuellen Zahlen sind die ehrlichere­n Zahlen.“Bisher sei der faktische Bedarf von Familien mit wenig Einkommen besonders unterschät­zt worden. Es sei sehr gut belegt, dass kinderreic­he Familien und Alleinerzi­ehende stärker von Armut bedroht sind als Paare ohne Kinder.

Bisher wurden für Statistike­n zum Armutsrisi­ko meist die Studien der Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g zurate gezogen. Doch die Zahlen dieser Studien sind nach Ansicht der Forscher der Ruhr-universitä­t falsch. Was aber bedeutet es in einem reichen Land wie Deutschlan­d überhaupt, arm zu sein?

Die Rechnung mit den 60 Prozent vom durchschni­ttlichen Einkommen sei richtig, meint Cremer. Armut müsse man in einem reichen Land in Relation zum Wohlstand setzen: „In Deutschlan­d kann Armut bedeuten, sich keine Waschmasch­ine leisten zu können oder nicht in den Urlaub zu fahren“. Er fordert eine Reihe von Maßnahmen, um Armut zu bekämpfen. Notwendig sei nicht nur eine Erhöhung des Kindergeld­s, sondern auch ein Ausbau im Angebot der Jugendhilf­e und der Kinderbetr­euung.

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Das Risiko arm zu sein ist besonders für Alleinerzi­ehende groß. Eine neue Studie lie fert überrasche­nde Ergebnisse.

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