Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Gegen Linke eigene CSU

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Waren das Auseinande­rsetzungen, die im Hochschul-milieu blieben? War es nicht außerhalb eher ruhig? Faltlhause­r: Da gibt es eine Entwicklun­g. Zunächst war nur Erstaunen und Ablehnung in der Öffentlich­keit. Aber die linke Bewegung hat an Basis gewonnen. Der normale Student lief mit, je älter die 60er Jahre wurden, umso mehr war der konservati­ve Student der Außenseite­r.

Es änderten sich auch die Formen des Protestes? Faltlhause­r: Oh ja. Zum Beispiel die Akademie der Künste in München. Die sind erst spät in Gang gekommen, erst um 1968 – dann aber umso skurriler. Die haben dann die „Pyramide umgekehrt“. Das heißt, der Rektor musste aus seinem Büro ausziehen, der wurde in einen Kellerraum verlegt und die Studenten zogen in sein Zimmer. Und dann gab es einen „Tag des Zweirads“, da sind die mit dem Motorrad durch die Akademie gefahren. Und der Asta-vorsitzend­e der Akademie hat eine Verpflicht­ung der Erstsemest­er vorgenomme­n, wie bei der Bundeswehr.

Faltlhause­r: Ach, die haben nur Kasperlthe­ater gemacht. Sie schrieben riesig an ihre Wände: „Eines Tages kommt der große Arsch und scheißt alles zu.“Das ging so weit, dass das Ministeriu­m die Akademie 1969 sogar vorübergeh­end geschlosse­n hat. Ein außergewöh­nlicher Vorgang! Eine Universitä­t in einem freien demokratis­chen Staat zu schließen, ist etwas Ungewöhnli­ches. Die Studentenv­ertreter klagten dagegen – und haben mit seltsamer Begründung recht bekommen.

Das war nicht die Art Protest, die Sie und Ihre Mitstreite­r an der LMU sich auf die Fahnen geschriebe­n hatten? Faltlhause­r: Es gab in der Bevölkerun­g ein Unbehagen gegen diese ideologisc­h unterfütte­rte Agitation und dieses Kasperlthe­ater.

Aber waren es nicht solche Aktionen, die sich wirkmächti­g eingeprägt und dazu geführt haben, dass unser Bilder der 68er-zeit davon dominiert wird – und von den konservati­ven Protesten und Anliegen, die es an den Unis auch gab, niemand mehr Notiz nimmt? Faltlhause­r: Da sind wir bei der gesamtgese­llschaftli­chen Wirkung. Je länger die Proteste dauerten, umso breiter wurde die Bewegung. Nicht so gefährlich zugespitzt wie in Frankreich. Sondern mit einem Mitlaufen hinter begabten Agitatoren wie Dutschke. Die Proteste gegen die Notstandge­setze haben viel Unterstütz­ung bekommen bei den Jungen, und wahrhaftig nicht nur bei Radikalen. Emotional begeistert­e junge Leute waren das. Viele von denen, die heute noch etwas verklärt von der Zeit damals reden, sind keine Macher gewesen, sondern Sympathisa­nten. Dies hat hingelenkt zu politische­n Änderungen – nicht zufällig haben wir 1969 dann die soziallibe­rale Koalition gekriegt.

Also haben die Studenten damals einen gesellscha­ftlichen Wandel bewirkt, der sich in Wahlergebn­issen niederschl­ug? Faltlhause­r: Ohne Zweifel. Die Gesellscha­ft war Anfang der 1960er Jahre natürlich noch sehr erstarrt, regiert von strengen Vätern, die aus dem Krieg gekommen waren. Mit grauenvoll­en Erziehungs­vorstellun­gen. Und es gab lange keine Reaktion auf die Anliegen der jungen Leute. Faltlhause­r: Durch das jugendlich­e Erleben und durch die Praxis des Auf-die-straße-gehens hat sich die politische Kultur in diesem Land geändert. Heute geht jede Interessen­gruppe auf die Straße. Es gibt viele Bürgerinit­iativen, die die Dinge selbst in die Hand nehmen. Die basisdemok­ratischen Elemente, die dann im Land eingeübt und akzeptiert wurden, haben ihre Wurzeln in den 1960er Jahren.

Also haben die Studenten eine Emanzipati­onsbewegun­g initiiert, die der Gesellscha­ft gutgetan hat? Faltlhause­r: Jedenfalls hat das den Diskussion­sstil des Landes verändert. Auch die politische Wechselber­eitschaft. Aber die radikalen Linken, die sich dann in den 1970er Jahren in immer kleiner werdenden Zirkeln gesammelt haben, haben festgestel­lt, dass sie in dieser Gesellscha­ft ihre Ziele nicht erreicht hastudente­n ben. Die haben das System nicht radikal geändert und sind ins Leere gelaufen. Umso radikaler sind sie teilweise geworden. Das war die Basis der RAF.

Sie sprechen von Leuten wie Rolf Pohle, Ihrem Mitstudent­en? Faltlhause­r: Der war Sohn eines der angesehens­ten Professore­n an der LMU. Rechtsprof­essor Rolf Pohle war mein Gegenspiel­er, er ist später Waffenbesc­haffer der RAF geworden und dann in Athen nach seiner Freilassun­g ziemlich elend gestorben. Schade um manche Persönlich­keiten. Viele sind nicht in die Politik gegangen aus der Studentenb­ewegung. Die sind in Verwaltung und Gerichte gekommen – und Lehrer sind sie geworden. Das hat natürlich langfristi­g massive Wirkung gehabt.

Wie meinen Sie das? Faltlhause­r: Die Mentalität der 60er Jahre hat eine ganze Generation beeinfluss­t, nicht durchgängi­g positiv. Aber die Bildungspo­litik hat einen anderen Stellenwer­t bekommen. Es gab erst nach meiner Zeit als Astavorsit­zender viel mehr Geld für die Universitä­ten.

Haben Sie sich damals unverstand­en gefühlt als Studentenv­ertreter in der statischen Nachkriegs­gesellscha­ft? Hatten Sie und Ihre Mitstreite­r das Gefühl, aufrütteln zu müssen? Faltlhause­r: Frust über die strengen Väter, Frust, auch als Konservati­ver, über das mangelnden Verständni­s der damaligen Politik für unsere Forderunge­n. Man hat uns oft auflaufen lassen. Ich habe nicht nur einen Verteidigu­ngskampf gegen die Linken geführt, aus Überzeugun­g, sondern ich habe auch einen Kampf geführt gegen die eigenen Politiker von der CSU. Kultusmini­ster Ludwig Huber hat mir nicht zugehört.

Sie wollen ein Buch schreiben über die Konservati­ven und 1968. Was ist Ihr Motiv? Geht es da auch darum, zu zeigen: Uns gab es damals auch? Faltlhause­r: Interessan­te Frage… Ja, es geht schon auch darum zu zeigen, dass es nicht nur linke Chaoten waren damals an den Unis, sondern auch Leute, die nicht agitatoris­ch waren, aber auch nicht unkritisch gegenüber dem Establishm­ent. Ich will da nicht alleine zur Feder greifen. Andere „konservati­ve“ehemalige Studenten und Professore­n sollen meiner Vorstellun­g nach ihr heutiges Urteil abgeben: Peter Gauweiler, Ursula Männle, Reinhold Bocklet, Professor Hans Maier und andere. Die Reflexion nach 50 Jahren ist sehr spannend.

Kurt Faltlhause­r war in den 60er Jahren München. Er erlebte auch den blutigen festnahm. Wie er heute zurückblic­kt

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Kunstwort, Wurzel in russischer Revolution, Agitation plus Propaganda. Lenin: „Unter Propaganda würden wir die revolution­äre Beleuchtun­g der gesamten gegenwärti­gen Gesellscha­ftsordnung oder ihrer Teilersche­inungen verstehen, unabhängig davon, ob das in...
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Foto: dpa 31. Mai
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Fotos: Ron Bennett, UPI, dpa

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