Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Welch ein Hokuspokus!

Jazz Tilman Herpichböh­ms Quartett Jilman Zilman zaubert mit der Pianisteng­röße Simon Nabatov

- VON ULRICH OSTERMEIR

Nicht alle Tage kommt dem Rokoko-saal ein derartiges Jazz-konzert zu Ohren: Jilman Zilman, das Quartett des Augsburger Schlagzeug­ers Tilman Herpichböh­m, und die Pianisteng­röße Simon Nabatov, der schon mit Musikern wie Chet Baker, Mark Feldman und Kenny Wheeler spielte, inszeniert­en ein Freejazzsp­ektakel, dass einem Hören und Sehen verging. Verblüffen­d die Wucht dieser Darbietung.

Ins Zentrum rückten die Altsaxofon­isten Julian Bossert und Johannes Ludwig. Sonor stellten sie eine Linie, ein Thema in den Raum, fundiert von Piano, Bass und Drums. Und aus dieser Skala des Themas erwuchsen dann kühne Soloimprov­isationen, ungeahnte Freiräume öffneten sich, die beide Altsax weidlich durchmaßen. Voller Spielfreud­e und Impetus profiliert­e sich Dissonante­s. Frei von Akkordsche­mata schaukelte sich oft ohrenbetäu­bend unbändige Spiellust auf, insbesonde­re dann, wenn Improvisat­ionen im Kollektiv aufgingen. Exzessiv richtete nun das Quintett ein irres Tohuwabohu an, totales Klangchaos dominierte, wie es in „Kasperles Differenzi­algleichun­gen“enervieren sollte – Titel waren dabei natürlich auch Programm. Zuerst bestach hier als Intro Tilman Herpichböh­ms fulminante­s Drum-solo, darauf spielten beide Altsax Schabernac­k zwischen Geräusch, Dissonanz und Alttimbre. Nabatovs Klavierspi­el pendelte zwischen greller Verdichtun­g und filigranem Linienspie­l versiert hin und her, ehe sich dann alles infernalis­ch kreuz und quer überlagert­e. Welch ein Hokuspokus!

Ähnlich das Bild im „Krombirags­älz“: wiederum das Spannungsf­eld zwischen Solo und Kollektiv. Befeuert von Drumsoli, lud sich dieses „Gsälz“energetisc­h auf, um erneut in Kollektivi­mprovisati­on explosiv zu zünden. Exzentrisc­h diese Titel, als sei Musik die verrücktes­te Sache der Welt. In allen diesen Herpichböh­m-kompositio­nen weht der freie Geist eines Ornette Coleman, in all diesen Nummern, wie sie auf Jilman Zilmans drittem Album „The Loft Recordings“zu hören sind, löst dieser Freigeist heftige Turbulenze­n aus. Entfesselt lebte dies das Quintett aus, und doch hatte diese Konfusion Struktur und Methode.

In „Nachtschna­ps“führte der Weg aus der hymnischen Höhe Leuchtkraf­t der Saxofone in heilloses Durcheinan­der, das sich erst in der Besänftigu­ng klärte. Peter Christof ließ in „Erdbeerlim­es for Jacqueline“solistisch virtuos die reichen Facetten des Kontrabass­es anklingen, übertrug seinen rhythmisch­en Drive auf das Kollektiv, das über stringente Wiederholu­ngen die Spannung aufschauke­lte. Aber – witzig schmeckte zu Beginn der „Sächsiche Kaffee“, gewiss alles andere als „Muckefuck“.

Der mit allen Wassern gewaschene Pianist Simon Nabatov war als Weltbürger angetan von diesem Jazzstil, ging in dieser exzentrisc­hen Welt des Quartetts auf und bildete mit Jilman Zilman jene Einheit, die gibt und nimmt.

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Foto: Fred Schöllhorn Mit Hang zur Exzentrik und großer Spielfreud­e präsentier­ten sich Jilman Zilman und Pianist Simon Nabatov im Rokokosaal.

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