Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wie ein kleiner Punkt Großes bewirken kann
Einsamkeit nimmt in Städten zu. Mit einem roten Punkt macht eine Augsburger Initiative gerade darauf aufmerksam. Eine Expertenrunde überlegt, wie die Stadt helfen kann
Städte wachsen, mit ihnen die Anonymität. Immer mehr Menschen leben isoliert von der Außenwelt. Was die Gesellschaft und auch die Kommunen dagegen tun können, wird allerorts diskutiert. In Augsburg wird etwas dagegen getan. Die Utopia Toolbox, eine Plattform, deren Mitglieder sich mit verschiedenen Fragestellungen und Zukunftsvisionen auseinandersetzen, haben in den vergangenen Wochen tausende Punkte verteilt, den „Opendot“– einen offenen Punkt. Interessierte bringen den roten Punkt an ihrer Haustüre an und signalisieren somit Offenheit für Spontanbesuche, eine Tasse Kaffee oder ein Gespräch. Das Projekt starteten die Mitglieder der Toolbox im Rahmen des Kulturprogramms zum Hohen Friedensfest. Über konkrete Perspektiven über den Augsburger Stadtfeiertag hinaus ging es in einer Expertenrunde um Juliane Stiegele. Die Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Kunst und Kirche waren sich einig, dass es auf diesem Gebiet Handlungsbedarf gebe und dass das Thema alle betreffe.
Sozialbürgermeister Stefan Kiefer (SPD) zeigte großes Interesse „an dem kleinen Punkt mit großer Wirkung“. Als Stadt gehe man das Thema „Einsamkeit“bewusst an und in der Vergangenheit wurden neben finanzieller Unterstützung sozialer Projekte bereits vielfältige Maßnahmen für unterschiedliche Zielgruppen ergriffen: unter anderem „Le- bensraum und Wohnzimmer Schwabencenter“, Mehrgenerationenund Jugendhäuser, Ferienprogramme, Seniorenberatung.
Es wurde eine Reihe an Vorschlägen gebracht, wie das Thema im Allgemeinen und der rote Punkt im Besonderen gesellschaftlich wirksam umgesetzt werden können: Der Soziologe Matthias Garte forderte Räume und Möglichkeiten zur Kommunikation, die verbindliche Nähe kreieren. Als Beispiel berichtete er von einem neuen Bistro in seiner Nachbarschaft, das Menschen, die man zuvor nur gegrüßt hat, tatsächlich ins Gespräch bringt – langfristig und über Alters- und Milieugrenzen hinweg. Eine Frau aus dem Publikum schlug vor, den roten Punkt beispielsweise an Resutopia tauranttischen oder Bänken anzubringen, der zeigen soll: „Ich bin bereit.“Dass neben individuellen Anstrengungen auch politische Entscheidungen nötig seien, darüber waren sich die Gesprächsteilnehmer einig. Welche Rolle die Politik einnehmen sollte – darüber gab es unterschiedliche Ansichten.
Moderator Sebastian Kochs sah die Stadt eher als Moderatorin im Umsetzungsprozess, damit die Ursprungsidee nicht unter administrative Räder gerate. Für Garte müsste es eine federführende Stelle geben, die der Verwaltung angebunden sei.
Stiegele wurde in ihrer Forderung sehr konkret und richtete sich direkt an Kiefer. Da man mit „Opendot“größtenteils privat in Vorleistung gegangen sei und viel kreativen, zeitlichen und finanziellen Aufwand betrieben habe, erwarte man sich nun finanzielle wie strukturelle Unterstützung durch die Stadt. Sie forderte ein eigens für „Einsamkeitsarbeit“eingerichtetes Amt.
Dafür bräuchte es konkrete Gespräche, umfangreiches Werbematerial wie Flyer, Broschüren und Plakate und auch eine professionell betriebene Homepage. Daneben halte sie Öffentlichkeitsarbeit sowie wissenschaftliche Begleitung und Aufarbeitung der Maßnahmen für unerlässlich.
Als eine sehr konkrete Maßnahme schlug Stiegele einen „Tag der offenen Tür“vor. Nach dem Vorbild Helsinkis sollen an diesem Tag Augsburgs Türen für Spontanbesuche offenstehen.