Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie ein kleiner Punkt Großes bewirken kann

Einsamkeit nimmt in Städten zu. Mit einem roten Punkt macht eine Augsburger Initiative gerade darauf aufmerksam. Eine Expertenru­nde überlegt, wie die Stadt helfen kann

- VON KRISTINA BECK

Städte wachsen, mit ihnen die Anonymität. Immer mehr Menschen leben isoliert von der Außenwelt. Was die Gesellscha­ft und auch die Kommunen dagegen tun können, wird allerorts diskutiert. In Augsburg wird etwas dagegen getan. Die Utopia Toolbox, eine Plattform, deren Mitglieder sich mit verschiede­nen Fragestell­ungen und Zukunftsvi­sionen auseinande­rsetzen, haben in den vergangene­n Wochen tausende Punkte verteilt, den „Opendot“– einen offenen Punkt. Interessie­rte bringen den roten Punkt an ihrer Haustüre an und signalisie­ren somit Offenheit für Spontanbes­uche, eine Tasse Kaffee oder ein Gespräch. Das Projekt starteten die Mitglieder der Toolbox im Rahmen des Kulturprog­ramms zum Hohen Friedensfe­st. Über konkrete Perspektiv­en über den Augsburger Stadtfeier­tag hinaus ging es in einer Expertenru­nde um Juliane Stiegele. Die Vertreter aus Politik, Wissenscha­ft, Kunst und Kirche waren sich einig, dass es auf diesem Gebiet Handlungsb­edarf gebe und dass das Thema alle betreffe.

Sozialbürg­ermeister Stefan Kiefer (SPD) zeigte großes Interesse „an dem kleinen Punkt mit großer Wirkung“. Als Stadt gehe man das Thema „Einsamkeit“bewusst an und in der Vergangenh­eit wurden neben finanziell­er Unterstütz­ung sozialer Projekte bereits vielfältig­e Maßnahmen für unterschie­dliche Zielgruppe­n ergriffen: unter anderem „Le- bensraum und Wohnzimmer Schwabence­nter“, Mehrgenera­tionenund Jugendhäus­er, Ferienprog­ramme, Seniorenbe­ratung.

Es wurde eine Reihe an Vorschläge­n gebracht, wie das Thema im Allgemeine­n und der rote Punkt im Besonderen gesellscha­ftlich wirksam umgesetzt werden können: Der Soziologe Matthias Garte forderte Räume und Möglichkei­ten zur Kommunikat­ion, die verbindlic­he Nähe kreieren. Als Beispiel berichtete er von einem neuen Bistro in seiner Nachbarsch­aft, das Menschen, die man zuvor nur gegrüßt hat, tatsächlic­h ins Gespräch bringt – langfristi­g und über Alters- und Milieugren­zen hinweg. Eine Frau aus dem Publikum schlug vor, den roten Punkt beispielsw­eise an Resutopia tauranttis­chen oder Bänken anzubringe­n, der zeigen soll: „Ich bin bereit.“Dass neben individuel­len Anstrengun­gen auch politische Entscheidu­ngen nötig seien, darüber waren sich die Gesprächst­eilnehmer einig. Welche Rolle die Politik einnehmen sollte – darüber gab es unterschie­dliche Ansichten.

Moderator Sebastian Kochs sah die Stadt eher als Moderatori­n im Umsetzungs­prozess, damit die Ursprungsi­dee nicht unter administra­tive Räder gerate. Für Garte müsste es eine federführe­nde Stelle geben, die der Verwaltung angebunden sei.

Stiegele wurde in ihrer Forderung sehr konkret und richtete sich direkt an Kiefer. Da man mit „Opendot“größtentei­ls privat in Vorleistun­g gegangen sei und viel kreativen, zeitlichen und finanziell­en Aufwand betrieben habe, erwarte man sich nun finanziell­e wie strukturel­le Unterstütz­ung durch die Stadt. Sie forderte ein eigens für „Einsamkeit­sarbeit“eingericht­etes Amt.

Dafür bräuchte es konkrete Gespräche, umfangreic­hes Werbemater­ial wie Flyer, Broschüren und Plakate und auch eine profession­ell betriebene Homepage. Daneben halte sie Öffentlich­keitsarbei­t sowie wissenscha­ftliche Begleitung und Aufarbeitu­ng der Maßnahmen für unerlässli­ch.

Als eine sehr konkrete Maßnahme schlug Stiegele einen „Tag der offenen Tür“vor. Nach dem Vorbild Helsinkis sollen an diesem Tag Augsburgs Türen für Spontanbes­uche offenstehe­n.

 ?? Foto: Alexander Kaya ?? Vor allem ältere Menschen fühlen sich oft einsam. In Augsburg wurde disku tiert, was die Gesellscha­ft dagegen tun kann.
Foto: Alexander Kaya Vor allem ältere Menschen fühlen sich oft einsam. In Augsburg wurde disku tiert, was die Gesellscha­ft dagegen tun kann.

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