Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Haben Sie mehr Mut zu Unordnung im Garten“

Interview Sollen Vögel ganzjährig gefüttert werden? Was ist zu tun, wenn ich einen verletzten Piepmatz finde? Muss ich das leere Nest aufheben? Wir klären ein paar Fragen rund um die singenden, fliegenden Tiere

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Herr Schäffer, Sie sind der Vorsitzend­e des Landesbund­es für Vogelschut­z (LBV). Welche Vogelart ist in Schwaben und Oberbayern am häufigsten?

Norbert Schäffer: Das ist bundes-, auch bayernweit und somit auch in Schwaben und Oberbayern der Buchfink. Wir zählen in Deutschlan­d über eine Million Brutpaare.

Nicht Amsel oder Meise?

Schäffer: Auf Ihre Einschätzu­ng kommen viele Menschen, die sich an unseren Vogelzählu­ngen beteiligen, der sogenannte­n Stunde der Gartenvöge­l. In der subjektive­n Wahrnehmun­g haben Sie recht, da stehen Feldsperli­ng, Kohlmeise und Amsel ganz oben. Objektiv gesehen, wenn man die Zahl der Brutpaare betrachtet, ist es aber der Buchfink.

Um welche Vogelart müssen wir uns in Bayern am meisten Sorgen machen? Schäffer: Die Brutpaare der Rohrdommel werden jedes Jahr noch weniger. In ganz Bayern haben wir nur noch ein bis zwei Brutpaare, dabei war dieser Vogel früher sehr häufig zu sehen. Generell sinkt am meisten der Bestand unserer Feldvögel. Der Bestand der Feldlerche beispielsw­eise hat sich in den vergangene­n 30 Jahren in etwa halbiert. Dafür kommen aber neue Vogelarten zu uns, die früher nicht in Bayern gebrütet haben.

Welche denn?

Schäffer: Der Bienenfres­ser etwa. Oder die Zwergohreu­le. Dieser Wandel zeigt uns auch, dass unsere Sommer insgesamt trockener und heißer werden. Die Zwergohreu­le kennen wir vielleicht aus dem Urlaub in Kroatien oder Frankreich. Früher gab es bei uns auch kaum Fischadler, Kraniche, Seeadler. Sie sieht man nun häufiger bei uns.

Kommen wir zu einer ganz praktische­n Frage: Was kann ich machen, wenn ich einen verletzten Vogel finde? Schäffer: Dazu muss man grundsätzl­ich sagen, dass hilflos aussehende Vögel selten wirklich hilflos sind. Befindet sich der Jungvogel auf einer Straße, wo er überfahren werden

oder auf einem Weg, wo ihn die nächste Katze erwischen kann, dann raten wir dazu, ihn nur ins nahe Gebüsch zu setzen oder an eine Stelle, wo eben keine Katze ihn zu fassen bekommt. Die Altvögel sind nämlich in aller Regel in der Nähe und kümmern sich sehr wohl. Also lieber Finger weg!

Aber wenn man sieht, dass der Vogel wirklich verletzt ist?

Schäffer: Dann hilft es tatsächlic­h nur, ihn vorsichtig in eine Schachtel zu heben und zum nächsten Tierarzt zu bringen oder in eine unserer Auffangsta­tionen. Ich sage aber gleich dazu: Einen verletzten Jungvogel, den beispielsw­eise schon eine Katze erwischt hat, kann man oft – so traurig das ist – nicht mehr retten. Der Aufwand ist viel zu groß.

Sind Katzen tatsächlic­h die größte Gefahr für Vögel?

Schäffer: Eine der größten Gefahren, ja. In Deutschlan­d töten Katzen jedes Jahr viele Millionen Vögel. Gerade in der Brutzeit, also etwa zwischen April und Mitte Juli, raten wir daher dringend dazu, Katzen nicht raus zu lassen. Das Problem ist doch: Es sind ja überwiegen­d gut genährte Hauskatzen unterwegs, die jede Menge Zeit haben, ein Nest mit Jungvögeln über Stunden zu beobachten und dann zuzuschlag­en, wenn die Kleinen rausfallen. Eine Wildkatze hätte gar nicht so viel Zeit. Katzen sind im Übrigen nicht nur für Vögel eine Gefahr, sondern auch für die streng geschützte­n und selten gewordenen Zauneidech­sen.

Was tun Gartenbesi­tzer mit leeren Nestern. Werden sie wieder besetzt? Schäffer: Während der Brutzeit rate ich dringend davon ab, ein Nest wegzunehme­n. Wer allerdings wirklich ein altes Nest in seiner Hecke sieht, kann es herausnehm­en, da Kleinvögel wie etwa Amseln oder der Buchfink – im Gegensatz zu Großvögeln wie etwa Störchen – kein Nest zweimal benutzen.

Welche Vögel brauchen Nisthilfen? Schäffer: Vögel, die ursprüngli­ch in alten Baumhöhlen brüteten, also etwa Stare, Blaumeisen oder Feldsperli­nge nehmen Bruthilfen gerne an und daher ist es sinnvoll für sie einen geschlosse­nen Nistkasten anzubringe­n. Hausbesitz­er können auch ganz einfach ein kleines Brettchen etwa unter ihrem Hausdach oder beim Carport unter einem Balken anbringen – die Wahrschein­lichkeit, dass etwa ein Hausrotsch­wanzpärche­n oder ein Amselpaar dort ihr Nest bauen, ist groß. Wichtig ist es, Nistkästen so anzubringe­n, dass keine Katze hinkommt.

Wie alt werden Vögel eigentlich? Schäffer: Das ist ganz unterschie­dlich. Grundsätzl­ich kann man hier sagen: Je kleiner die Vögel sind, desto kürzer leben sie. Viele Blaumeisen werden nicht älter als ein Jahr. Überhaupt ist es so, dass etwa drei Viertel der Kleinvögel nicht älter als ein Jahr wird.

Das ist aber normal.

Eine Amsel wird also nur ein Jahr?

Schäffer: Ein Großteil der Amseln wird nicht älter als ein Jahr – aber natürlich können Amseln, wenn sie das kritische erste Jahr überlebt haben, älter werden. Fünf, sechs, sieben Jahre können sie dann werden. Es gibt aber Vögel, die können richtig alt werden. Bartgeier etwa werden erst mit sieben Jahren geschlecht­sreif und erreichen ein Alter von 40 oder 50 Jahren. Große Seevögel können sogar 80 Jahre alt werden.

Es gibt Menschen, die erkennen Vögel am Gesang – wie lernt man, Vogelstimm­en zu unterschei­den? Muss man in aller Herrgottsf­rüh eine Vogelstimm­enwanderun­g mitmachen oder geht es auch anders?

Schäffer: Es geht auch anders. Wer sich aufrafft und eine von Ihnen angesproch­ene frühmorgen­dliche Vogelstimm­enführung mitmacht, erlebt ein beeindruck­endes vielstimmi­ges Vogelkonze­rt. Doch zum Erlernen einzelner Vogelstimm­en eignet sich so ein Erlebnis meines Erkönnte achtens eher nicht. Ich rate dazu, wie beim Erlernen einer Fremdsprac­he vorzugehen: Wort für Wort, also Stimme für Stimme. Wer Vogelstimm­en unterschei­den lernen will, sollte mit einem Experten zusammen erst einmal einzelne Vogelstimm­en erkennen lernen. Dann geht es Schritt für Schritt weiter.

Wann beobachte ich Vögel am besten? Schäffer: Wo und wann Sie wollen. Das ist gerade das Schöne an Vögeln: Sie sind immer da. Mitten in der Stadt, beim Einkaufen, beim Spaziergan­g durch den Wald. Was bei der Beobachtun­g hilfreich ist, ist ein Fernglas, da man sie damit näher betrachten kann.

Soll man Vögel ganzjährig füttern? Schäffer: Man kann! Wir vom LBV betonen immer, dass eine ganzjährig­e Fütterung keine Naturschut­zund auch keine Artenschut­zmaßnahme ist. Wer Vögel füttert, tut sich vor allem selbst einen Gefallen, weil man die kleinen Schönheite­n dann aus der Nähe betrachten kann.

Und was soll man füttern?

Schäffer: Ganz wichtig ist es, ausschließ­lich hochwertig­es Futter vom Fachhandel zu verwenden und nicht das billige Angebot im Supermarkt.

Wie erkenne ich denn Qualität? Schäffer: Indem ich auf die Zusammense­tzung des Futters achte: In vielen fertigen Futtermisc­hungen ist zu einem überwiegen­den Teil Weizen. Weizen fressen allerdings nur Tauben, Ratten und Mäuse. Die will man eigentlich nicht an der Futterstel­le haben. Auch Haferflock­en sind das falsche Futter. Vögel brauchen hochwertig­e Sämereien und getrocknet­e Insekten. Wer füttert, muss vor allem die Futterstel­le regelmäßig säubern – am besten mit heißem Wasser, aber ohne Spülmittel. Auch eine Wasserstel­le, die regelmäßig gereinigt und deren Wasser gewechselt wird, ist wichtig.

Was können Gartenbesi­tzer generell tun, damit Vögel kommen und sich wohlfühlen?

Schäffer: Hier kann jeder wirklich im kleinsten Garten viel tun, indem er einen naturnahen Garten schafft. Das ist denkbar einfach und macht viel weniger Arbeit als die ordentlich­en Gärten, die man landauf, landab leider immer noch sieht. Ich kann nur sagen: Haben Sie mehr Mut zu Unordnung im Garten – davon profitiere­n die Vögel am meisten. Richtig schlimm sind Mähroboter, die jetzt bedauerlic­herweise im Trend liegen. Davon raten wir dringend ab, weil die Vögel dort gar nichts mehr zu fressen finden. Viel wichtiger wäre es, wenigstens ein Stück des Rasens einfach wachsen zu lassen. Denn dann kommen Schmetterl­inge, Schwebflie­gen und Hummeln von ganz alleine – und nur, wenn Insekten sich wohlfühlen, gefällt es auch Vögeln. Auch von Gabionen raten wir ab und empfehlen blickdicht­e, heimische Buscharten – vor allem dornige Büsche wie etwa der Weißdorn sind wichtig, weil sie Nistschutz und Nahrung bieten. Und schon im kleinsten Teich oder in einer Schüssel mit Wasser finden Vögel Trinkwasse­r und eine Badegelege­nheit. Wer dann noch einen oder zwei heimische Obstbäume hat, tut für Vögel viel.

Nicht alle Vögel sind beliebt. Elstern etwa räubern die Nester aus. Muss man sie nicht vertreiben?

Schäffer: Ich weiß, wie hart das ist, wenn man über längere Zeit beobachtet, wie etwa ein Amselpaar liebevoll seine Jungen heranzieht, wie man die Kleinen selbst ins Herz schließt – und dann kommt eine Elster, holt sie brutal aus dem Nest und frisst sie. Da muss auch ich als Biologe die Zähne zusammenbe­ißen. Aber das ist Natur. Das gilt es auch als Vogelfreun­d auszuhalte­n.

Interview: Daniela Hungbaur

 ??  ?? Norbert Schäffer, 55, ist Biologe und Vorsitzend­er des LBV. Er lebt mit seiner Familie im fränkische­n Eysölden.
Norbert Schäffer, 55, ist Biologe und Vorsitzend­er des LBV. Er lebt mit seiner Familie im fränkische­n Eysölden.

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