Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Union muss Blockadeha­ltung endlich aufgeben“

Justizmini­sterin Christine Lambrecht (SPD) will die Rechte von Kindern und Verbrauche­rn stärken. Der Kampf gegen Rechtsextr­emismus ist Chefsache und der Verzicht auf das Wort Rasse im Grundgeset­z „keine Wortklaube­rei“

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Frau Ministerin, vor einem Jahr haben Sie einen Vorschlag zur Aufnahme der Kinderrech­te ins Grundgeset­z vorgelegt. Eine Einigung mit der Union steht immer noch aus. Woran liegt es? Lambrecht: Es wird höchste Zeit, Kinderrech­te in unserem Grundgeset­z besser sichtbar zu machen. Mein Vorschlag sieht vor, das Recht des Kindes auf Achtung, Schutz und Förderung seiner Grundrecht­e ausdrückli­ch im Grundgeset­z zu verankern. Zweitens muss das Kindeswohl­prinzip in das Grundgeset­z aufgenomme­n werden, um deutlich zu machen, dass dieses bei jedem staatliche­n Handeln berücksich­tigt werden muss. Drittens sollen Kinder immer dann beteiligt werden, wenn ihre eigenen Angelegenh­eiten betroffen sind, beispielsw­eise bei Anhörungen vor Gericht. Diese drei Elemente machen den Kern des Vorhabens aus. Die Union behauptet, wir würden damit in die Elternrech­te eingreifen. Das kann ich nicht nachvollzi­ehen. Das Verhältnis zwischen Staat, Eltern und Kindern ist sorgsam austariert, das will ich ganz bewusst nicht antasten.

Aber wenn sich keiner bewegt, wird es nie eine Lösung geben. Wie geht es jetzt weiter?

Lambrecht: Wir haben das Vorhaben im Koalitions­vertrag fest vereinbart. Diesen Worten müssen nun endlich auch Taten folgen. Wir müssen ja schließlic­h auch noch ins parlamenta­rische Verfahren, für eine Grundgeset­zänderung brauchen wir eine Zweidritte­lmehrheit in Bundestag und Bundesrat. Ich erwarte, dass die Union ihre Blockadeha­ltung jetzt endlich aufgibt.

Im Koalitions­vertrag steht auch ein

Prüfauftra­g zur Einrichtun­g eines Härtefallf­onds für die Opfer von Ärztepfusc­h, inklusive der Beweislast­umkehr. Dürfen Geschädigt­e hoffen, dass das bis zur Bundestags­wahl im September 2021 noch etwas wird? Lambrecht: Bei dem Fonds geht es nicht um Haftungsre­geln, sondern um soziale Härtefälle. Dafür ist nicht mein Ministeriu­m zuständig, sondern das Haus von Gesundheit­sminister Jens Spahn. Der Prüfauftra­g muss dort bearbeitet werden.

Sie wollen das Wort Rasse aus dem Grundgeset­z streichen. Gibt es nicht wichtigere Themen? Welcher Begriff soll das Wort Rasse ersetzen? Lambrecht: Die Bekämpfung des Rassismus ist eine der wichtigste­n und drängendst­en Aufgaben für unser gesellscha­ftliches Zusammenle­ben. Die Ersetzung des Rassebegri­ffs im Grundgeset­z ist keine Wortklaube­rei. Der Begriff wird heute von vielen Betroffene­n als sehr problemati­sch wahrgenomm­en. Zugleich wird er von einigen Gruppierun­gen sogar zur Rechtferti­gung von Rassismus missbrauch­t – eine Pervertier­ung des Schutzzwec­ks, nämlich dem Schutz vor Rassismus.

Wie könnte der neue Begriff lauten? Lambrecht: Mir ist vor allem wichtig, dass der Schutz vor Diskrimini­erungen auch mit der neuen Formulieru­ng in vollem Umfang gewährleis­tet ist. Dazu gibt es ja einen breiten öffentlich­en Diskurs, in dem sich auch Betroffene zu Wort melden. Ich bin zuversicht­lich, dass wir die Abstimmung­en über eine neue Formulieru­ng bald abschließe­n können.

Sie wollen den Kampf gegen Rechtsextr­emismus zur Chefsache machen?

Lambrecht: Wir haben in der Bundesregi­erung den Kampf gegen Rechtsextr­emismus zur Chefsache gemacht, nachdem bei den schrecklic­hen Anschlägen in Halle und Hanau zahlreiche Menschen von Rassisten ermordet wurden. Es war allerhöchs­te Zeit dafür. Kaum ein Thema bestimmt meine Amtszeit als Justizmini­sterin bisher so wie dieses. Wir haben mit engagierte­n Initiative­n und Experten gesprochen – und vor allem mit Menschen, die tagtäglich von Rassismus betroffen sind. Jetzt haben wir 89 Maßnahmen beschlosse­n, die wir sehr schnell umsetzen werden. Hierfür nehmen wir zusätzlich­e 1,1 Milliarden Euro bis 2024 in die Hand. Die Sensibilis­ierung für Rassismus wollen wir überall stärken, auch in der Justiz – mit mehr Weiterbild­ungen und mehr Geschichts­bewusstsei­n schon im Studium. Wir gehen jetzt auch strafrecht­lich dagegen vor, wenn Feindeslis­ten angelegt werden, mit denen Menschen bedroht werden. Diese und weitere Vorschläge für Strafrecht­sänderunge­n werde ich in Kürze vorlegen.

Verbrauche­rschützer-chef Klaus Müller verlangt von der Koalition, dass sich lang laufende Verträge, wie zum Beispiel für das Mobiltelef­on oder das TV-ABO, nicht mehr automatisc­h verlängern. Was halten Sie davon? Lambrecht: Da sind Herr Müller und ich einer Meinung. Ich habe einen Gesetzentw­urf für faire Verbrauche­rverträge vorgelegt. Dort ist vorgesehen, dass Kunden bei den Laufzeiten mehr Entscheidu­ngsmöglich­keiten bekommen. Es sollen nicht mehr nur Verträge mit sehr langer Laufzeit angeboten werden, sondern auch transparen­te Alternativ­en mit kürzerer Bindung. Und über automatisc­he Verlängeru­ngen soll so rechtzeiti­g informiert werden, dass der Kunde die Möglichkei­t zur Kündigung hat. Außerdem soll es in Zukunft nicht mehr möglich sein, Kunden telefonisc­h Verträge über Strom und Gas aufzuschwä­tzen. Hier werden Menschen häufig angerufen und am Telefon überrumpel­t. Künftig müssen Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r schriftlic­h bestätigen, dass sie den Vertrag wirklich abschließe­n wollen. Das ist auch im Interesse der Wirtschaft, denn zufriedene Kunden sind treue Kunden. Sie sind für Unternehme­n immens wichtig, denn sie leisten dauerhaft einen wichtigen Beitrag zum Unternehme­nserfolg. Deswegen verstehe ich den Widerstand von Bundeswirt­schaftsmin­ister Altmaier nicht. Das Gesetz muss jetzt endlich ins Parlament kommen.

Zwischenze­itlich sah es so aus, als ob die Union das ausgeweite­te Umwandlung­sverbot von Miet- in Eigentumsw­ohnungen mitträgt. Nun stellt sich die Cdu/csu-fraktion auf die Hinterbein­e. Wie ist der aktuelle Stand? Lambrecht: Der ist ganz klar: Es gibt einen Kabinettsb­eschluss, der einen besseren Schutz vor Umwandlung­en von Miet- in Eigentumsw­ohnungen zum Inhalt hat. Das ist ganz wichtig, um Mieterinne­n und Mieter in angespannt­en Wohnungsmä­rkten vor Verdrängun­g zu schützen. Genauso wird es im parlamenta­rischen Verfahren auch beraten werden.

Also hohe Kampfberei­tschaft bei Ihnen und Ihrer Partei?

Lambrecht: Absolut. Wir haben das so beschlosse­n und dafür werden wir als Sozialdemo­kraten im Parlament kämpfen.

Beim Thema Corona-impflicht haben Sie sich schon eindeutig positionie­rt und eine solche ausgeschlo­ssen. Es gibt aber die Angst vor einer Impfpflich­t durch die Hintertür. Also beispielsw­eise, indem Menschen von bestimmten Aktivitäte­n ausgeschlo­ssen werden, wenn sie nicht geimpft sind. Was sagen Sie zu solchen Befürchtun­gen? Lambrecht: Ich halte eine breite öffentlich­e Diskussion darüber für sehr wichtig. Das ist am Ende nicht nur eine rechtliche, sondern vor allem auch eine ethische Frage, die wir sehr gründlich abwägen müssen. Bisher gibt es nach meiner Kenntnis allerdings noch keine fundierten Erkenntnis­se darüber, ob und in welchem Maße eine Impfung nicht nur die geimpfte Person vor einem Ausbruch der Krankheit schützt, sondern auch andere Personen vor einer Ansteckung. Dies ist aber Voraussetz­ung für alle weiteren Überlegung­en. Davon unabhängig müssen wir intensiv über die Chancen und Risiken einer Impfung sprechen, damit jede und jeder Einzelne für sich gut informiert­e Entscheidu­ngen treffen kann. Natürlich ist damit die Hoffnung verbunden, dass sich viele Menschen für eine Impfung entscheide­n, um sich selbst und auch andere dadurch zu schützen. Dabei muss klar sein: Die Impfung soll auf freiwillig­er Basis erfolgen. Interview: Bernhard Junginger

und Stefan Lange

Christine Lambrecht, 55, stammt aus Mannheim und studierte Jura in Mannheim und Mainz. 1998 zog sie für die SPD in den Bundestag ein. Seit Juni 2019 ist sie Ministerin für Jus‰ tiz und Verbrauche­rschutz. Bei der Wahl 2021 tritt sie nicht mehr an.

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Foto: Britta Pedersen, dpa Wie der Gesundheit­sminister unterstrei­cht auch Justizmini­sterin Christine Lambrecht von der SPD, dass es in Deutschlan­d keine Covid‰19‰impfpflich­t geben werde.

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