Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Nur noch elektronis­che Fahrkarten?

- PRO LEA THIES CONTRA WOLFGANG SCHÜTZ

Endlich ist Schluss mit dem lästigen Drucken und der gigantisch­en Papiervers­chwendung. Wenn die Millionen Bahnkunden ihr Ticket nicht mehr auf Papier mit sich führen, sondern auf dem Handy, dann dürfen ziemlich viele Bäume weiterlebe­n. Und vom praktische­n Aspekt ganz zu schweigen, den die Bahn-App mit sich bringt: Man hat alle Zugverbind­ungen in der Tasche, spart sich den lästigen TicketKauf-Weg zum Bahnhof oder muss auch nicht schnell vor Abfahrt des Zuges einen Fahrschein am Automaten oder am Schalter lösen. Kein Anstehen, kein „Nimmt den Schein nicht“-Frust mehr. Und wenn unterwegs mal ein Zug voll ist, bucht man sich via Handy einfach schnell ab der nächsten Station eine Expressres­ervierung – schon hat man einen Sitzplatz. Das ist alles keine Zukunftsmu­sik mehr, alles jetzt schon möglich. Mit ein paar Klicks nur hat man den Fahrschein in die große, weite Welt – dieser Gedanke hilft manchmal sogar gegen Fernweh. Man könnte ja, nur ein paar Klicks…

Natürlich gibt es noch viele, die weder Smartphone noch Internet haben – sie können sich keine elektronis­chen Fahrkarten kaufen. Aber laut Statistik werden das immer weniger, denn die Zahl der MiniComput­er zum Telefonier­en und der Haushalte mit Internetan­schlüssen steigt. Dass die Bahn nun darüber nachdenkt, in einigen Jahren Papiertick­ets abzuschaff­en, ist nur logisch. Dass sogar per Handy registrier­t wird, wann der Kunde ein- und aussteigt und dann automatisc­h der Fahrpreis abgebucht werden soll, klingt noch sehr nach Science Fiction. Nachdem sich aber ohnehin schon viele Smartphone­Nutzer freiwillig von Konzernen wie Facebook orten lassen, hätten sie beim Zugfahren möglicherw­eise wenigstens durch das Handyticke­t einen Nutzen davon.

Mal ganz abgesehen davon, dass es da ja kürzlich diese Hackeratta­cke namens „Wannacry“gab, die mal wieder gezeigt hat, wie anfällig die Computerne­tze (auch der Deutschen Bahn) sind. Es geht ja hier allein um die Frage: Darf es einen Zwang zur Digitalisi­erung geben? Ausgerechn­et im öffentlich­en Fern- und Nahverkehr, der doch betont allen Menschen in diesem Land zur Verfügung stehen soll? Weil es womöglich für die meisten und ganz sicher das Unternehme­n selbst so eben einfacher ist – und für angeschlos­sene Technologi­e-Unternehme­n profitabel? Ganz klar: Nein! Und nichts anderes als ein Diktat der Lebensablä­ufe wäre es ja, wenn nur noch elektronis­che Fahrkarten gelten würden. Oder soll Oma Erna oder Hippie Fritz oder der Grundschül­erin Jacqueline das Zugfahren verwehrt bleiben, weil sie aus Gründen, die keinen etwas angehen, eben über kein Smartphone oder Tablet verfügen? Und als Nächstes? Darf man in kein Museum, kein Fußballsta­dion, kein Theater, kein Schwimmbad mehr gehen ohne Online-Registrier­ung? Nicht mehr Auto fahren, nicht mehr wählen vielleicht auch mal?

Der technische Fortschrit­t mag toll sein und den Menschen am Puls der Zeit wunderbar praktisch und zeitsparen­d erscheinen – aber zur Gängelung derer, die sich die Freiheit nehmen, nicht mitzumache­n, oder derer, die es nur noch schwerlich können, darf das nicht werden. Und komme bloß keiner mit dem Argument, dass damit Papier gespart würde. Mag sein. Aber was wird noch mal alles in den digitalen Geräten verbaut? Auch ein altes Handy reichte fürs Ticket ja nicht – und bald auch das ältere Smartphone für die nötige neue Software nicht mehr … Soll mitmachen können, wer will – aber auch nicht mitmachen müssen, wer nicht will.

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Foto: Wölk, Imago
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