Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Nur noch elektronische Fahrkarten?
Endlich ist Schluss mit dem lästigen Drucken und der gigantischen Papierverschwendung. Wenn die Millionen Bahnkunden ihr Ticket nicht mehr auf Papier mit sich führen, sondern auf dem Handy, dann dürfen ziemlich viele Bäume weiterleben. Und vom praktischen Aspekt ganz zu schweigen, den die Bahn-App mit sich bringt: Man hat alle Zugverbindungen in der Tasche, spart sich den lästigen TicketKauf-Weg zum Bahnhof oder muss auch nicht schnell vor Abfahrt des Zuges einen Fahrschein am Automaten oder am Schalter lösen. Kein Anstehen, kein „Nimmt den Schein nicht“-Frust mehr. Und wenn unterwegs mal ein Zug voll ist, bucht man sich via Handy einfach schnell ab der nächsten Station eine Expressreservierung – schon hat man einen Sitzplatz. Das ist alles keine Zukunftsmusik mehr, alles jetzt schon möglich. Mit ein paar Klicks nur hat man den Fahrschein in die große, weite Welt – dieser Gedanke hilft manchmal sogar gegen Fernweh. Man könnte ja, nur ein paar Klicks…
Natürlich gibt es noch viele, die weder Smartphone noch Internet haben – sie können sich keine elektronischen Fahrkarten kaufen. Aber laut Statistik werden das immer weniger, denn die Zahl der MiniComputer zum Telefonieren und der Haushalte mit Internetanschlüssen steigt. Dass die Bahn nun darüber nachdenkt, in einigen Jahren Papiertickets abzuschaffen, ist nur logisch. Dass sogar per Handy registriert wird, wann der Kunde ein- und aussteigt und dann automatisch der Fahrpreis abgebucht werden soll, klingt noch sehr nach Science Fiction. Nachdem sich aber ohnehin schon viele SmartphoneNutzer freiwillig von Konzernen wie Facebook orten lassen, hätten sie beim Zugfahren möglicherweise wenigstens durch das Handyticket einen Nutzen davon.
Mal ganz abgesehen davon, dass es da ja kürzlich diese Hackerattacke namens „Wannacry“gab, die mal wieder gezeigt hat, wie anfällig die Computernetze (auch der Deutschen Bahn) sind. Es geht ja hier allein um die Frage: Darf es einen Zwang zur Digitalisierung geben? Ausgerechnet im öffentlichen Fern- und Nahverkehr, der doch betont allen Menschen in diesem Land zur Verfügung stehen soll? Weil es womöglich für die meisten und ganz sicher das Unternehmen selbst so eben einfacher ist – und für angeschlossene Technologie-Unternehmen profitabel? Ganz klar: Nein! Und nichts anderes als ein Diktat der Lebensabläufe wäre es ja, wenn nur noch elektronische Fahrkarten gelten würden. Oder soll Oma Erna oder Hippie Fritz oder der Grundschülerin Jacqueline das Zugfahren verwehrt bleiben, weil sie aus Gründen, die keinen etwas angehen, eben über kein Smartphone oder Tablet verfügen? Und als Nächstes? Darf man in kein Museum, kein Fußballstadion, kein Theater, kein Schwimmbad mehr gehen ohne Online-Registrierung? Nicht mehr Auto fahren, nicht mehr wählen vielleicht auch mal?
Der technische Fortschritt mag toll sein und den Menschen am Puls der Zeit wunderbar praktisch und zeitsparend erscheinen – aber zur Gängelung derer, die sich die Freiheit nehmen, nicht mitzumachen, oder derer, die es nur noch schwerlich können, darf das nicht werden. Und komme bloß keiner mit dem Argument, dass damit Papier gespart würde. Mag sein. Aber was wird noch mal alles in den digitalen Geräten verbaut? Auch ein altes Handy reichte fürs Ticket ja nicht – und bald auch das ältere Smartphone für die nötige neue Software nicht mehr … Soll mitmachen können, wer will – aber auch nicht mitmachen müssen, wer nicht will.