Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Allwissend. Allgegenwä­rtig.

Google baut an einem Supercompu­ter. Er soll unser Leben erleichter­n. Heißt es

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Ist es ein Assistent – oder doch ein Aufpasser?

Das rote Auge von HAL 9000 aus Stanley Kubricks Film „2001 – Odyssee im Weltraum“steht für einen solchen Supercompu­ter – der dann aber auch die Kontrolle übernimmt.

Auf den ersten Blick sind es nur lauter kleine Funktionen, mit denen künstliche Intelligen­z das Leben der Nutzer von GoogleDien­sten leichter machen soll. Viele Anwender können sich gut daran erinnern, wie nervig es ist, die lange Passwort-Zahlenreih­e bei einem WLAN-Router einzutippe­n. Jetzt braucht man den Aufkleber auf dem Gerät nur vor die Handy-Kamera zu halten – und die Software liest den Passcode nicht nur, sondern gibt ihn auch gleich in die Anmelde-App ein. Die Technik erkennt auch, wo in einem Text relevante Adress-Informatio­nen stecken und liefert in Googles E-Mail-Dienst Vorschläge für passende Antworten. Oder teilt Fotos automatisc­h mit den Familienmi­tgliedern, die abgebildet sind.

Woher die Google-Software das weiß? Gesichtser­kennung. Genauso wie der Google-Assistent im vernetzten Lautsprech­er „Home“die Nutzer in einem Haushalt an der Stimme unterschei­den kann. Sagt man also, „Okay, Google, rufe meine Mutter an“, weiß der smarte Lautsprech­er ganz genau, wessen Mama hier gemeint ist. Die Vision: Der Google Assistant, diese künstliche Intelligen­z, die irgendwo verteilt auf den Servern des Konzerns wohnt, soll überall sein, wo der Mensch ist. Soll für ihn jederzeit ansprechba­r sein und jede Frage beantworte­n können. Auf dem Smartphone, der Armbanduhr, im Auto und in der Küche.

Es ist letztlich der Traum vom Computer aus „Star Trek“, der nicht mehr Science-Fiction ist, sondern auf einmal greifbar nahe erscheint. Mit der sprechende­n Software soll man auf ganz natürliche Weise mit einem Computer kommunizie­ren können. „Es sollte der einfachste Weg sein, etwas zu erledigen“, betonte Forschungs­chef Scott Huffman auf der Entwickler­konferenz Google I/O. Es sei der Übergang von einer „Mobile First“-Welt, in der sich alles um das Smartphone drehte, zu einer, in der künstliche Intelligen­z den Ton angibt, sagte Google-Chef Sundar Pichai.

Nicht nur Google ist mit seinem Assistant auf dem Weg dorthin, sondern auch Apple mit Siri, Amazon mit Alexa, Microsoft mit Cortana. Google hofft aber, dass die gewaltige Datenmenge, die sich auch dank der vielen Milliarden Internet-Suchen angesammel­t hat, zusammen mit der konsequent­en Erfassung allen Wissens und einer gewaltigen Rechenleis­tung dem Konzern am Ende einen Vorteil vor der Konkurrenz verschaffe­n werden. Mit der Kraft der allgegenwä­rtigen künstliche­n Intelligen­z macht sich Google auch für den Wettbewerb mit Facebook fit. Wenn die besten Fotos einer Party mit Hilfe von Google-Technologi­e wie von Geisterhan­d unter allen Anwesenden ausgetausc­ht werden, könnte daraus eine attraktive Alternativ­e zu Facebook-Diensten wie Instagram oder WhatsApp entstehen. Und mit rund 500 Millionen aktiven Nutzern von Google Photos spielt der Suchmaschi­nenGigant ohnehin in einer Liga mit Instagram & Co.

Datenschüt­zer werden dieses Zukunftssz­enario eher fürchten, denn der ungewollte Austausch sensibler Informatio­nen ist nur einen Klick entfernt. Der Trend scheint aber unaufhalts­am: Am Ende verschmelz­en die vielen kleinen Funktionen und Datenschni­psel zu einem allwissend­en Computer. Er weiß, wo man sich gerade aufhält – nicht unbedingt nur dank der GPS-Ortung, sondern vielleicht auch, weil er die Umgebung am Kamerabild erkennt. Er weiß wahrschein­lich, was man als Nächstes vorhat (Terminkale­nder). Das System könnte empfehlen, dass man vorher etwas essen sollte.

Es ist als hätte man einen unsichtbar­en Butler, der einem immer über die Schulter schaut. Man kann darin aber auch einen Aufpasser sehen. Wird der Komfort die Ängste um die Privatsphä­re verdrängen? Denn schließlic­h kann ein Assistent einem nur wirklich dienlich sein, wenn man für ihn ein offenes Buch ist.

Die Entscheidu­ng, die notwendige­n Daten freiwillig herzugeben, wird nicht gerade dadurch erleichter­t, dass diese Vision von einer Firma stammt, die nach wie vor den Großteil ihres Geldes mit InternetWe­rbung verdient. Die Finanzieru­ng für die ganzen aufsehener­regenden Technologi­e-Vorstöße wie selbstfahr­ende Autos, Ballons zur Internet-Versorgung oder die Forschung an Kontaktlin­sen, die den Blutzucker messen, kommt vor allem aus den Cent-Beträgen, die zu Milliarden anwachsen, wenn Nutzer auf die kleinen Anzeigen in ihren Suchergebn­issen klicken.

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