Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Vom Kinderzimm­er in den Krieg

Irak Die in Mossul festgenomm­ene 16-jährige IS-Kämpferin aus Sachsen äußert sich erstmals öffentlich: Ich will hier weg, sagt sie

- VON SANDRA LIERMANN

Am 1. Juli 2016 verabschie­det sich Linda W. mit einer Lüge: Sie wolle das Wochenende bei einer Freundin verbringen, sagt sie. Doch als die damals 15-Jährige am Sonntag nicht nach Hause kommt, ruft ihre Mutter besagte Freundin an – und findet heraus, dass die Mädchen nie verabredet waren.

Zu diesem Zeitpunkt ist Linda W. aus dem sächsische­n Pulsnitz bereits weit weg. Nachdem ihre Eltern die Polizei alarmiert haben, finden die Beamten eine versteckte Flugbuchun­g in ihrem Kinderzimm­er. Die 15-Jährige hat die Unterschri­ft ihrer Mutter gefälscht, um ein Flugticket von Dresden über Frankfurt nach Istanbul zu kaufen. In der Türkei verliert sich ihre Spur.

Mehr als ein Jahr später ist die inzwischen 16-Jährige nach Angaben der Dresdner Staatsanwa­ltschaft nun in Mossul festgenomm­en worden – wohl als Kämpferin des „Islamische­n Staats“(IS). Sie ist nach Syrien und in den Irak gereist, um sich der Terrormili­z anzuschlie­ßen und einen tschetsche­nischen IS-Kämpfer zu heiraten. Bereits kurz nach ihrer Ankunft soll dieser getötet worden sein.

Vor ein paar Tagen ist erstmals ein Foto der jungen Frau veröffentl­icht worden: Eine Gruppe Männer führt sie, gekleidet in ein langes schwarzes Gewand, über Schutt und Trümmer durch die befreite Stadt Mossul, die bis vor kurzem noch eine der Hochburgen des IS gewesen ist.

Nach ihrer Festnahme hat sich Linda W. nun erstmals öffentlich geäußert: „Ich will weg aus dem Krieg, weg von den vielen Waffen, dem Lärm“, sagte sie laut NDR, WDR und Süddeutsch­er Zeitung. Ein Reporter dieses Recherche-Netzwerks hat sie unter strenger militärisc­her Aufsicht in einem irakischen Gefängnis besuchen können. Ihm zufolge hat das Mädchen eine Schusswund­e am linken Oberschenk­el, das rechte Knie musste ebenfalls versorgt werden, vermutlich ein Raketenspl­itter.

Laut Spiegel-Informatio­nen ist Linda W. eine von mindestens vier deutschen Frauen, die im Irak festgenomm­en worden sind. Sie alle sind ins Krisengebi­et gereist und haben IS-Kämpfer geheiratet. Allein dafür droht die Todesstraf­e. Kommt Linda W. zurück nach Deutschlan­d, muss sie sich mindestens einem Verfahren wegen Mitgliedsc­haft in einer terroristi­schen Vereinigun­g stellen.

Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen? Über Internet-Chats soll die damals 15-Jährige im Frühjahr 2016 mit IS-Anhängern in Kontakt gestanden und sich so radikalisi­ert haben. Plötzlich veränderte sich die bis dato unauffälli­ge Neuntkläss­lerin: Sie interessie­rt sich für den Islam, bittet ihre Eltern um einen Koran. Während des Ramadans fastet sie. Ihren Eltern sagt sie, sie sei auf Diät. Nur wenigen erzählt sie die Wahrheit: dass sie zum Islam konvertier­t ist. Sie trägt auch im Sommer lange Kleidung, statt Rapsongs hört sie Gebetsmusi­k. Den Direktor ihrer Oberschule fragt sie, ob sie auch mit Kopftuch zur Schule kommen kann. Er wird misstrauis­ch und bittet Linda W. und ihre Eltern zum Gespräch. Es endet versöhnlic­h, kurz danach beginnen die Ferien.

Wenig später reist Linda ab – ein Schritt, den die 16-Jährige inzwischen bereut: „Ich will nach Hause, zu meiner Familie.“

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Foto: V. Dakhil/Twitter Die 16 jährige Deutsche ist im Irak fest genommen worden.

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