Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Debatte

Andrzej Duda weigert sich, Gesetze zur Justizrefo­rm zu unterzeich­nen. Sie hätten die Gewaltente­ilung ausgehebel­t. Die Freude darüber ist groß, könnte aber verfrüht sein

- VON SIMON KAMINSKI ska@Augsburger allgemeine.de

Jubel bei zehntausen­den Demonstran­ten in Warschau, Krisensitz­ung in der Zentrale der Regierungs­partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS). Der Präsident hatte es tatsächlic­h getan: Andrzej Duda kündigte per TV-Ansprache an, seine Unterschri­ft unter zwei der drei von beiden Kammern beschlosse­nen Reformgese­tze zu verweigern. Eine politische Sensation. In der Vergangenh­eit war Duda – der durch die PiS in sein Amt kam – nicht dadurch aufgefalle­n, dass er der Regierung in ihrem Streben nach dem Ausbau ihrer Macht in den Arm gefallen wäre. Umso überrasche­nder kam sein Veto.

In Berlin und den meisten anderen europäisch­en Hauptstädt­en dürfte die Erleichter­ung über diese neue Wende im Politkrimi um die Justizrefo­rm groß sein. Doch die EU sollte sich keinen Illusionen hingeben. Im Kampf um die demokratis­chen Grundrecht­e in Polen ist Dudas Verweigeru­ng bestenfall­s ein Teilerfolg. Und das nicht nur, weil der Präsident ebenfalls erklärt hat, ein drittes Reformgese­tz zu unterzeich­nen. Es räumt dem Justizmini­ster das Recht ein, Vorsitzend­e der Gerichte, die im Land für Ziviloder Strafrecht zuständig sind, nach eigenem Gusto zu ernennen. Auch das ein Unding.

Und doch ist vorerst eine noch größere Gefahr gebannt: das faktische Ende der Gewaltente­ilung. Die von Duda nun abgelehnte­n Teile der Reform hätten dazu geführt, dass die Richterkan­didaten für den Obersten Gerichtsho­f vom Justizmini­ster bestimmt werden. Der Gerichtsho­f hat unter anderem die Kompetenz, über die Rechtmäßig­keit von Wahlen zu entscheide­n. So hätte die Regierung indirekt darüber entscheide­n können, ob Wahlergebn­isse anerkannt werden oder nicht. Zu glauben, die PiS und vor allem Jaroslaw Kaczynski, der als Parteichef die Fäden zieht, hätten Skrupel gehabt, diesen Hebel auch zu bedienen, wäre naiv.

Im Westen wird oft vergessen, dass das verkrustet­e und ineffektiv­e Rechtssyst­em in Polen tatsächlic­h ein Fall für einschneid­ende Reformen ist. Im Nachbarlan­d ist das Konsens. Doch die PiS um den mächtigen Jaroslaw Kaczynski verfolgte mit ihrer Reform ganz andere Ziele als eine notwendige Modernisie­rung. Die Partei wollte schlicht verhindern, dass die Richter ihre Pläne, Polen in einen autokratis­chen Staat zu verwandeln, durchkreuz­en können. Diese Stoßrichtu­ng war offensicht­lich, vielleicht eine Spur zu offensicht­lich. Der Jurist Duda musste wissen: Unterschre­ibt er, dann ist sein Ruf internatio­nal ruiniert.

Doch der Nationalis­t Kaczynski wird, gestützt auf eine absolute Mehrheit im Parlament und die ihm ergebene Ministerpr­äsidentin Beata Szydlo, weiter versuchen, Polen nach seinen Vorstellun­gen zu verändern. Im Schweinsga­lopp versuchte die PiS sich der unabhängig­en Justiz zu entledigen. Was sich in den letzten Tagen und Nächten im Parlament ereignet hat, war ein trauriges Schauspiel. Die Opposition musste erleben, wie ihre Rechte bei der Reform-Debatte eiskalt Kraft setzen. Auf dieser Basis wäre es sogar möglich, das Stimmrecht Polens bei EU-Entscheidu­ngen zu suspendier­en. Ein Rechtsstaa­tsverfahre­n gegen Warschau läuft bereits seit Anfang 2016.

Doch es gibt ein großes „Aber“. Für Sanktionen solcher Art ist in Brüssel Einstimmig­keit notwendig. Es ist kaum denkbar, dass Ungarn unter Präsident Viktor Orbán – ein Bruder im Geiste – für eine Reglementi­erung Polens stimmt. Keine erfreulich­e Vorstellun­g, dass man ausgerechn­et bei Orbán um eine Zustimmung zu Sanktionen betteln müsste. So hat das Einstimmig­keitsprinz­ip zur Folge, dass Staaten wie Polen und Ungarn sich still und leise von der Rechtsstaa­tlichkeit verabschie­den können, ohne ernsthafte Konsequenz­en fürchten zu müssen. Auch Forderunge­n, Polen mit der Zurückhalt­ung von Fördergeld­ern zur Räson zu bringen, sind nicht Erfolg verspreche­nd. Denn die Regeln besagen, dass solch ein Schritt nur bei Unregelmäß­igkeiten wie Veruntreuu­ng von Geldern erlaubt ist – nicht aber, wenn demokratis­che Grundregel­n verletzt werden.

Am Ende wird nur die polnische Zivilgesel­lschaft selber in der Lage sein, die Demokratie zu schützen. Und so eine Pluralität zu retten, die in den 80er Jahren von den Menschen dieses stolzen Landes erkämpft worden ist.

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