Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Wir haben uns als Partei erneuert“

Interview Christian Lindner will die FDP wieder zurück in den Bundestag führen. Neben Themen wie Bildung, Digitalisi­erung und Steuerentl­astungen fordert er einen Kurswechse­l in der Flüchtling­s- und Einwanderu­ngspolitik

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Herr Lindner. Kein Wahlkampf ist so auf eine Person zugeschnit­ten wie Ihrer. Kommt in der FDP erst Christian Lindner – und dann lange nichts? Lindner: Wir sind eine Partei ohne Minister und Bundestags­abgeordnet­e und müssen daher andere Wege gehen. Das sind nun mal die Gesetze der Mediendemo­kratie. Aber wichtiger als der, der auf den Plakaten zu sehen ist, ist das, was in unserem Programm steht. Bildung, Digitalisi­erung, geordnete Zuwanderun­g: Wir geben uns nicht länger mit dem Status quo zufrieden, und das drückt sich vielleicht auch in mutigeren, ungewöhnli­chen Plakaten aus.

In den Umfragen liegen die Liberalen wieder bei acht bis zehn Prozent. Was machen Sie besser als vor Ihnen Guido Westerwell­e und Philipp Rösler? Lindner: Wir haben uns als Partei erneuert und vertreten heute einen Rundum-Liberalism­us. Wir wollen den Einzelnen stark machen, durch beste Bildung beispielsw­eise, und ihn vor Bespitzelu­ng und Bevormundu­ng, übermächti­gen Konzernen und den maßlosen Abkassiere­rn des Steuerstaa­tes schützen. Viele Wähler wünschen sich offenbar wieder eine solche Partei im Bundestag.

Sie sagen, die FDP sei die Partei der vernünftig­en Mitte. Erklären Sie uns doch mal am Beispiel der Flüchtling­spolitik, was Sie damit meinen. Lindner: Wir müssen klar trennen zwischen Flüchtling­en und Einwandere­rn, da ist seit 2015 vieles durcheinan­dergeworfe­n worden. Flüchtling­e erhalten unseren Schutz und unsere Hilfe – allerdings nur so lange, bis sie wieder in ihre alte Heimat zurückkönn­en. Die Rückkehr nach Kriegsende muss die Regel sein. Diejenigen, die auf Dauer bleiben dürfen, wählen wir nach Kriterien wie Sprachkenn­tnissen, Berufsausb­ildung und Rechtstreu­e aus.

Ist das nicht ein Widerspruc­h in sich? Einerseits wollen Sie Flüchtling­e zurückschi­cken, anderersei­ts sollen genau diese Flüchtling­e ihre Familien erst einmal nachholen dürfen.

Lindner: Wir müssen auch beim Abschieben von illegalen Einwandere­rn besser werden. Dann gilt, dass Flüchtling­e, die hier bei uns leben, auch ihre minderjähr­igen Kinder nachholen können sollen. Aber ge- meinsam kann die Familie dann nur so lange bleiben, bis der Krieg in ihrer Heimat zu Ende ist. Wenn sie die Kriterien für einen dauerhafte­n Aufenthalt aus einem Einwanderu­ngsgesetz danach nicht erfüllt, muss sie auch wieder ausreisen.

Die Grünen werfen Ihnen vor, Sie machten die FDP so zu einer Art AfD light. Fischt die Partei der vernünftig­en Mitte jetzt am rechten Rand? Lindner: Dieser Vorwurf sagt mehr über die Grünen aus als über uns. Wer die Partei Hans-Dietrich Genschers, die sich der Liberalitä­t verpflicht­et fühlt, in einen Topf mit der AfD wirft, schadet nicht uns, sondern verharmlos­t aus parteipoli­tischem Eigeninter­esse die völkischau­toritäre Gefahr für die politische Kultur, die von der AfD ausgeht.

Im letzten Wahlkampf hat die FDP große Steuererle­ichterunge­n versproche­n und dieses Verspreche­n am Ende nicht einlösen können. Wo setzen Sie diesmal die Steuer-Axt an?

Lindner: Wir schwingen in diesem Wahlkampf nicht nur die SteuerAxt, wir reden vor allem über Bildung, über Digitalisi­erung, über Europa und natürlich über die Flüchtling­spolitik. Aber ja: Wir wollen die Mitte der Gesellscha­ft durch niedrigere Steuern und Sozialabga­ben entlasten, wir wollen die Stromsteue­r und den Solidaritä­tszuschlag abschaffen und die kalte Progressio­n bei der Einkommens­teuer spürbar lindern. Wir denken an den Hartz-IV-Bezieher, der sich etwas dazuverdie­nen will, genauso wie an die Krankensch­wester, den Polizisten oder den Ingenieur. 30 bis 40 Milliarden an jährlicher Entlastung sind auf jeden Fall möglich – und wären ein Gebot der Fairness. Managern, Fernsehmod­eratoren oder Fußballpro­fis können wir dagegen keine große Entlastung verspreche­n.

Junge Familien, die sich eine Immobilie anschaffen, wollen Sie durch einen Freibetrag bei der Grunderwer­bsteuer entlasten. Wie soll das denn gehen? Diese Steuer ist eine Ländersteu­er. Lindner: Der Bund muss den Rahmen dafür schaffen, dass es einen Freibetrag für die erste selbst genutzte Immobilie geben kann. Nach unserem Konzept bezahlt eine Familie bis zu einem Immobilien­wert von 500000 Euro keine Grunderwer­bsteuer. Viele Leute haben mit Mitte, Ende 30 gar nicht das Eigenkapit­al, um überhaupt eine Hypothek zu bekommen. Auch deshalb müssen wir mit niedrigere­n Steuern und Sozialabga­ben dafür sorgen, dass den Menschen mehr Spielraum bleibt. Eine eigene kleine Immobilie ist doch der beste Baustein für die Altersvors­orge. Mich besorgt, dass Frau Nahles in Zeiten von Vollbeschä­ftigung und immer höheren Steuereinn­ahmen von einer Erhöhung der Rentenbeit­räge auf 22 Prozent spricht. Das ist kein Konzept, sondern eine Drohung.

In Nordrhein-Westfalen regieren Sie wieder mit der CDU, in RheinlandP­falz mit der SPD und den Grünen, in Schleswig-Holstein mit der Union und den Grünen. Heißt das, dass Sie auch im Bund offen sind für alle Bündnisse? Lindner: Zur Vollständi­gkeit dieser Liste gehört auch Baden-Württember­g, wo wir Herrn Kretschman­ns Angebot ausgeschla­gen haben, mit den Grünen und der SPD zu koalieren. Wir treten nur in eine Regierung ein, wenn wir auch hinreichen­d viele unserer Ideen einbringen können und nicht nur unsere Sitze. Ansonsten gehen wir in die Opposition.

Was ist für die FDP denn unverhande­lbar?

Lindner: Wir wollen Trendwende­n in vielen Politikber­eichen erreichen. Weg von einer chaotische­n Zuwanderun­g, hin zu einer strategisc­h geordneten Einwanderu­ng. Wir wollen kein Europa der Umverteilu­ng, sondern der Zusammenar­beit. Keine weiteren Eingriffe in die Bürgerrech­te, sondern mehr Sicherheit durch mehr Polizei und eine bessere Zusammenar­beit der Behörden. Am Sonntag werden wir eine Reihe dieser Trendwende­n beschließe­n. Daran können die Bürger uns messen.

In Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein haben Sie auch Querund Seiteneins­teiger zu Ministern gemacht, zum Beispiel einen ehemaligen Manager. Ist das auch ein Modell für eine Regierungs­beteiligun­g im Bund? Lindner: Wir wollen ganz generell mehr Menschen aus Wissenscha­ft, Kultur und Wirtschaft gewinnen. Eines der besten Beispiele dafür finden Sie vor Ihrer Haustüre in München: Thomas Sattelberg­er war ein Linker, dann Manager bei der Telekom und bei Conti und kandidiert nun im reifen Alter von mehr als 60 Jahren für uns für den Bundestag.

Guido Westerwell­e hat 2009 den Fehler gemacht, nicht das Finanzmini­sterium für die FDP zu beanspruch­en. Angenommen, die FDP regiert wieder mit: Wo sehen Sie sich selbst? Lindner: Noch sind wir nicht einmal im Bundestag – geschweige denn in Regierungs­verantwort­ung. Eines allerdings kann ich sagen: Wir haben aus der Vergangenh­eit gelernt. Natürlich werden wir wieder Fehler machen, weil Menschen nicht unfehlbar sind. Aber wir machen sicher nicht die gleichen Fehler ein zweites Mal. Interview: Rudi Wais O

Christian Lindner ist seit Dezember 2013 Bundesvors­itzender der FDP. Der 38 Jährige hat Politik, Staatsrech­t und Philosophi­e studiert, er war Unterneh mensberate­r und Unternehme­r, Landtags abgeordnet­er, Bundestags­abgeordne ter und Generalsek­retär seiner Partei. Er ist mit einer Journalist­in verheirate­t und zurzeit Fraktionsc­hef im nordrhein west fälischen Landtag. Nach der Bundes tagswahl will er nach Berlin wechseln.

„Wir haben aus der Vergangenh­eit gelernt. Wir machen sicher nicht die gleichen Fehler ein zweites Mal.“FDP Chef Christian Lindner

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Foto: Imago FDP Chef Christian Lindner: „Wir treten nur dann in eine Regierung ein, wenn wir dort auch hinreichen­d viele unserer Ideen ein bringen können.“

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