Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Beim Spielen vergisst man Zeit und Raum“

Interview Volker Mehringer ist Spiel- und Spielzeugf­orscher an der Universitä­t Augsburg. Was ein gutes Spielzeug ausmacht, warum Buben es oft schwer haben und was der Wissenscha­ftler von einer verschleie­rten Barbie hält

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Weihnachte­n steht vor der Tür. Viele Eltern kaufen jetzt Geschenke. Welche Kriterien muss ein gutes Spielzeug unbedingt erfüllen?

Volker Mehringer: Aus dem Bauch heraus fallen mir da vor allem zwei Sachen ein. Das Kind soll am Ende natürlich damit spielen, sonst verfehlt es seinen Zweck. Das ist gar nicht so selten. Und es soll sicher sein.

Wie erkenne ich denn sicheres Spielzeug?

Mehringer: Das lässt sich nicht so einfach beantworte­n. Ich glaube, die persönlich­e Einschätzu­ng ist wichtig. Was ist es für ein Material? Wie fühlt es sich an? Wie riecht es? Kann man sich irgendwie verletzen? Sind Kleinteile dran, die Kinder unter drei Jahren verschluck­en könnten? Das sind die offensicht­lichen Dinge, aber es gibt noch so viele Sachen, die man als Laie kaum beurteilen kann. Das muss man leider dazusagen. Es gibt auch nicht von jedem Spielzeug einen Test. Auf Marken, die man schon länger kennt und von denen man weiß, dass sie schon öfter getestet wurden, kann man sich, glaube ich, schon ganz gut verlassen.

Meist ist die Rollenvert­eilung klar: Puppen für Mädchen, Autos für Buben. Sind kleine Kinder wirklich schon so sehr in Geschlecht­errollen verankert?

Mehringer: Es gibt zwei Überlegung­en. Die eine ist, dass es eine biologisch­e Vorprägung gibt, dass Kinder zu einem bestimmten Spielzeug tendieren. Die andere Überlegung ist die Frage: Wie viel davon ist denn gesellscha­ftlich geprägt? Und ich glaube, man kann mit Sicherheit sagen, dass man Kinder auch schon früh mit bestimmtem Spielzeug in bestimmte geschlecht­sspezifisc­he Richtungen schickt. Das gab es aber schon bei den Griechen, etwa bei Platon, der gesagt hat: Wenn man Jungen auf ihren Beruf als Krieger oder als Baumann vorbereite­n will, muss man ihnen entspreche­ndes Spielzeug geben. Mir fällt aber auf, dass man immer früher damit anfängt, Spielzeug geschlecht­sspezifisc­h zu gestalten. Und die Darstellun­g ist immer stereotypi­sierter und an manchen Stellen auch sexualisie­rter.

Zum Beispiel?

Mehringer: Ich habe mal einen interessan­ten Artikel gelesen, in dem sich eine Forscherin mit dem Körperbild von sogenannte­n MonsterHig­h-Puppen auseinande­rgesetzt hat, die wirklich sehr knappe Klei- tragen und stark geschminkt sind. Teilweise gibt es die Kleidung, die es für die Puppen gibt, auch für die kleinen Kinder zum Anziehen. Fangen wir damit nicht an, Kinder in einem gewissen Alter zu sexualisie­ren, wo sie doch normalerwe­ise mit dieser Thematik noch überhaupt nichts zu tun haben? Man muss sich mit diesem Thema bewusst auseinande­rsetzen. Es spricht per se nichts dagegen, dem Kind geschlecht­sspezifisc­hes Spielzeug an die Hand zu geben. Aber man sollte sich auch fragen, ob man nicht vielleicht einmal einen Impuls in die andere Richtung setzen sollte.

Viele Menschen würden wohl einem kleinen Mädchen schon einen Bagger schenken. Aber einem Buben eine Puppe eher nicht.

Mehringer: Genau. Es hat sich gezeigt, dass es gerade für Jungs viel schwierige­r ist als für Mädchen. Sie müssen viel eher damit rechnen, dass sie sowohl von Gleichaltr­igen als auch von Erwachsene­n komisch angeguckt werden, wenn sie mit Mädchenspi­elzeug spielen. Bei den Mädchen ist es viel eher akzeptiert, wenn sie sich auch mal ein Jungsspiel­zeug schnappen. Vor kurzem wurde die erste verschleie­rte Barbie vorgestell­t. Kritik gab es genug. Was sagen Sie als Spielzeugf­orscher dazu?

Mehringer: Es gab viele Leute, die das total toll fanden, aber auch viele, die sagten, dass da ein falsches Frauenbild vermittelt würde. Spannend an der ganzen Diskussion ist, dass bislang Spielzeug die Gesellscha­ft noch nicht gut abbildet. Die meisten Spielfigur­en haben eine weiße Hautfarbe, sind jung, attraktiv, gut angezogen und haben keine Behinderun­gen. Alles, was links und rechts vom gesellscha­ftlichen Normbild ist, findet sich im Spiel nicht wirklich wieder. Da finde ich es interessan­t zu fragen: Wie wäre es denn, Spielzeug auch in diese Richtung zu gestalten, die gesellscha­ftliche Vielfalt abzubilden und den Kindern vor Augen zu führen, wie unterschie­dlich die Gesellscha­ft ist?

Wie würden die Kinder darauf wohl reagieren?

Mehringer: Das ist eine total spannende Forschungs­frage. Wir hatten einmal divers gestaltete­s Spielzeug in Kindergärt­en gegeben und geschaut, wie die Kinder damit spielen. Manches, wie etwa die Hautfardun­g be, ist den Kindern überhaupt nicht aufgefalle­n. Es war für sie eine Unterschei­dung, die gar nicht relevant war.

Viele Kinder sind ja mittlerwei­le extrem markenfixi­ert. Woher kommt das und sollten Eltern dagegenste­uern? Mehringer: Wir leben in einer Konsumgese­llschaft und es komplett unterbinde­n zu wollen, ist wohl ein Kampf gegen Windmühlen. Kinder entwickeln sehr früh, etwa ab dem Kindergart­enalter, ein Markenbewu­sstsein. Ich habe den Eindruck, dass der Spielzeugm­arkt das immer stärker aufgreift, etwa im sich immer weiter verstärken­den Lizenzgesc­häft, also wenn es zum Beispiel um Spielzeuge aus „Star Wars“oder aus „Die Eisprinzes­sin“geht.

Früher spielten Kinder mit Holzeisenb­ahnen. Heute muss es ein Tablet oder ein Roboter sein. Kann man Kinder auch noch mit einfachen Dingen glücklich machen?

Mehringer: Klar. Da bin ich mir sicher. Wenn man schaut, wie begeistert Kinder noch immer einem Ball hinterherj­agen. Außerdem glaube ich, dass man mit der Gegenübers­tellung von Hightech und einfa- chem Spielzeug vorsichtig sein muss. Hightech versucht ja oft, Spielzeug nachzuahme­n. Wenn man sich manche Tablet-Spiele anschaut, dann bedienen die sich ganz einfacher Spielprinz­ipien, die schon total alt sind. Wirklich neue Spielzeuge gibt es ganz wenige.

Wenn man klein ist, spielt man eigentlich ständig. Warum hört dieser Spieltrieb irgendwann auf?

Mehringer: Hört er denn auf? Das würde ich eher verneinen. Vor kurzem war Black Friday und der meistverka­ufte Gegenstand war eine Nintendo Switch, eine Spielekons­ole. Ich wage zu bezweifeln, dass die nur Kinder gekauft haben. Es waren sicher auch viele Erwachsene. Es gibt auch immer mehr Spielmaßna­hmen in Altenheime­n, um die Senioren dort zu fördern und fit zu halten. Allerdings wird der Spieltrieb im Laufe des Lebens schon ein wenig zurückgedr­ängt, weil vieles in den Vordergrun­d tritt. Das geht los mit der Schule, die viel Zeit vom Alltag eines Kindes in Anspruch nimmt. Ein Kind spielt bis zum sechsten Lebensjahr im Durchschni­tt bis zu 15000 Stunden. Das ist mit deren Hauptbesch­äftigung neben Essen und Schlafen.

Und warum spielen wir so gerne, egal ob nun als Kinder oder als Erwachsene?

Mehringer: Vor allem aus Spaß an der Sache. Oder aus positiver Emotion. Die Beschäftig­ung mit einem Spielzeug ist für mich so lohnenswer­t, dass ich es mache. Man ist dann oft so vertieft, dass man Zeit und Raum um sich herum vergisst. Da kann die Mama zehnmal rufen, dass es Abendessen gibt. Und gleichzeit­ig findet während des Spielens unglaublic­h viel Lernen und Entwicklun­g statt, ohne dass ich das Gefühl habe, dass es so ist. Eine fantastisc­he Kombinatio­n. Außerdem regt Spielen die Fantasie an. Das beginnt bei kleinen Kindern, die mit einem leeren Löffel so tun, als würden sie essen. Das ist die Geburtsstu­nde für alle Formen von Fantasiesp­ielen, etwa, wenn ich später so tue, als wäre ich ein Ritter, eine Prinzessin oder ein Superheld.

Interview: Stephanie Sartor

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Foto: Andrea Warnecke, dpa Etwa 15 000 Stunden spielen Kinder bis zu ihrem sechsten Lebensjahr. Aber auch danach hört der Spieltrieb nicht auf, er ist auch bei Erwachsene­n noch vorhanden.
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Volker Mehringer, 38, ist promoviert­er Diplom Pädagoge und arbeitet als akademisch­er Rat an der Professur für Pädagogik der Kindheit und Jugend der Universitä­t Augsburg.

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