Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Enkel will ein Ehrengrab für August Wessels
Geschichte Die letzte Ruhestätte des erfolgreichen Augsburger Schuhfabrikanten droht aufgelöst zu werden. Die Stadt will sie nicht erhalten. Dieter Schmitt kann diese Entscheidung aus vielen Gründen nicht verstehen
Dieter Schmitt versteht die Welt nicht mehr. Der 86-Jährige ist ein Enkel des bekannten Unternehmers August Wessels – jenes Mannes, der Anfang des 20. Jahrhunderts nicht nur als „Sandalenkönig von Augsburg“galt, sondern auch als einer der größten Schuhfabrikanten in Deutschland. Das Grab von August Wessels ist heute noch auf dem Protestantischen Friedhof an der Haunstetter Straße zu finden. Aber wohl nicht mehr lange. Enkel Schmitt hatte bei der Stadt ein Ehrengrab beantragt, um das Andenken an seinen Großvater lebendig zu halten. Doch sein Antrag wurde abgelehnt. „Diese Entscheidung verstehe ich nicht“, sagt er.
Bislang kümmerten sich Nachkommen von August Wessels um die Grabstätte. Eine Cousine von Schmitt, die mit der Pflege betraut war, sei dazu gesundheitlich nicht mehr in der Lage, sagt er. Er selbst lebe von einer kleinen Rente und könne sich in seinem Alter auch nicht mehr kümmern. Das Grab steht kurz vor der Auflösung. Deshalb wünschte sich der 86-Jährige, dass die Stadt es als Ehrengrab übernimmt – so wie es auch bei 24 ande- ren bekannten Persönlichkeiten der Stadtgeschichte der Fall ist. Doch mit seinem Antrag hatte Schmitt keinen Erfolg. Das Ehrengrab wurde abgelehnt. Auch ein weiterer Vorstoß bei Oberbürgermeister Kurt Gribl brachte keine Wende.
Die Gründe erläutert Pressesprecher Richard Goerlich. Die Enttäuschung sei nachvollziehbar, sagt er. „Dennoch bitten wir um Verständnis für die Entscheidung.“Bei Anträgen auf Ehrengräber handele es sich um Anliegen, die mit großem Respekt und höchster Sensibilität behandelt werden müssten. Aus diesem Grund habe die Verwaltung nicht alleine entschieden, auch der Ältestenrat des Stadtrates sei eingeschaltet gewesen. Klar sei auch, dass nicht alle verdienten Bürgerinnen und Bürger mit einem Ehrengrab geehrt werden könnten, so Goerlich. „Daher kommen wir nicht darum, auch einmal Entscheidungen fällen zu müssen, die individuell gesehen kritisch betrachtet werden können.“
Im vorliegenden Fall sei es so, dass August Wessels im Stadtteil Oberhausen bereits durch eine Straßenbenennung öffentlich gewürdigt worden sei. Nach umfänglicher Prüfung habe sich der Ältestenrat auf Empfehlung der Verwaltung deshalb gegen eine zusätzliche Ehrung durch ein Ehrengrab entschieden. „Eine solche Entscheidung ist niemals angenehm und vom Grunde her bedauerlich“, so Goerlich. Aber auch die Gleichbehandlung und das Schaffen von Präzedenzfällen müssen berücksichtigt werden. Allerdings gibt es einen Präzedenzfall, der für Wessels sprechen würde: Auch der frühere Gögginger Bürgermeister August Anton Ulrich hat 2017 ein Ehrengrab bekommen, obwohl nach ihm schon die Bürgermeister-Ulrich-Straße benannt ist.
Schmitt kann die städtischen Argumente deshalb nicht nachvollziehen. Er ist weiterhin überzeugt, dass August Wessels (1870 bis 1952) ein Ehrengrab verdient hat. Wessels führte schon vor dem Ersten Weltkrieg die größte deutsche Spezialfabrik für Sandalen, Leinen- und Sportschuhe und exportierte auch ins Ausland. Noch 1965 beschäftigte er etwa 2500 Mitarbeiter. Der Unternehmer war auch sozial sehr engagiert, wie sein Enkel betont. Er habe als einer der ersten deutschen Unternehmer eine Betriebskrankenkasse gegründet, baute Wohnungen für Mitarbeiter, unterstützte das Krankenhaus Josefinum und das Augsburger Theater. „Ich habe selbst als Kind miterlebt, wie sehr mein Großvater vielen Leuten geholfen hat“, erzählt Schmitt.
Der 86-Jährige verweist auch auf eine frühere Nachfrage bei der Stadt. 2013 habe der damalige Hauptamtsleiter noch keine Probleme bei der Genehmigung eines Ehrengrabes gesehen. Hat sich an der Vergabepraxis etwas geändert? Auch das sei nicht der Fall, sagt Goerlich. Die städtische Geschäftsanweisung gelte seit 1984 unverändert. Die Pflege der Ehrengräber ist allerdings aufwendig. Sie kostet die Stadt jährlich bis zu 24 000 Euro.
Schmitt fände es trotz allem schade, wenn mit dem Wessels-Grab ein Stück Geschichte verloren geht. Gerade auf dem Protestantischen Friedhof sind Grabstätten vieler Industrieller, Künstler und Baumeister zu finden. Sie werden für Besucher in eigenen Friedhofsführern ausgewiesen und beschrieben.