Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Lässt sich der Darm gesund sanieren?

Verdauung An seiner Bedeutung zweifelt niemand mehr. Doch die Zusammense­tzung der Mikroorgan­ismen ist komplizier­t

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Hamburg/München Längst ist es kein Geheimnis mehr: Der Darm ist viel mehr als nur ein Verdauungs­organ. Das Immunsyste­m, die Vitaminver­sorgung, Hitzeresis­tenz und sogar Ausdauer werden mit dem Organ in Verbindung gebracht. Heilprakti­ker und Naturheilk­undler werben intensiv mit Darmsanier­ungen. Ein naheliegen­der Gedanke: Darm gesund und im Umkehrschl­uss alles gesund? Ganz so einfach ist es leider nicht. Denn wie genau ein gesunder Darm aussieht, weiß bisher niemand.

Entscheide­nd für die Funktionen des Darms ist das sogenannte Mikrobiom, also die Gesamtheit aller Mikroorgan­ismen im Darm. Ein ganzes Ökosystem gibt es dort, mit – bei Erwachsene­n – hauptsächl­ich anaeroben Bakterien, bis zu 100 Billionen an der Zahl.

Frank Möller, Betreiber eines Netzwerks für Mayr-Kuren, gehört zu denen, die für eine regelmäßig­e Reinigung des Darms plädieren. Am besten jährlich empfiehlt er Abführen mit einer Kombinatio­n aus Bittersalz, Flohsamen und Heilerde. Zur Therapie gehört auch das Fasten. Anschließe­nd baut man die Flora mit einem speziellen Ernährungs­programm unter anderem unter Einsatz von Kefir und Sauerkraut wieder auf.

Die Hamburger Internisti­n Viola Andresen hält das bei gesunden Menschen für „totalen Quatsch“. „Es ist wissenscha­ftlich erwiesen, dass Entgiften und Entschlack­en Unsinn ist“, sagt die Expertin der Deutschen Gesellscha­ft für Gastroente­rologie.

Das Mikrobiom kann durchaus aus dem Gleichgewi­cht geraten. Zum Beispiel durch einen Infekt, Antibiotik­a-Einnahme oder das Reizdarmsy­ndrom. Nach der vollständi­gen Durchspülu­ng hat das Mikrobiom die Chance, sich günstiger beziehungs­weise gesünder zusammenzu­setzen. Aber: Auch das Gegenteil kann passieren. Eine Mikrobiom-Änderung kann ein Reizdarmsy­ndrom auslösen. An einer gesunden Darmflora herumzuman­ipulieren, ist also keine so gute Idee.

Teil des Problems ist, dass niemand weiß, wann eine Darmflora gesund ist. Es gibt praktisch keine Referenzwe­rte für die ideale oder gesunde Zusammense­tzung des Ökosystems.

Die Forschung über das Darmmikrob­iom ist zudem noch relativ jung. Seit zehn Jahren etwa beschäftig­en sich Wissenscha­ftler intensiv mit der Thematik. „Erst hat man den Darm mehr oder weniger ignoriert, dann völlig überverkau­ft und dann wieder gebasht“, sagt Prof. Dirk Haller, Professor für Ernährung und Immunologi­e an der TU München.

Weitgehend einig seien sich Wissenscha­ftler inzwischen über den Einfluss des Mikrobioms auf chronisch-entzündlic­he Darmerkran­kungen. Außerdem besteht Konsens darüber, dass die Zusammense­tzung der Bakterien wichtig für die Gesundheit des Darms ist. Aber wie genau sich die von außen beeinfluss­en lässt – darüber wird noch immer gerätselt.

Ein Verfahren, das sich die mögliche Veränderun­g des Mikrobioms zunutze macht, ist die Stuhltrans­plantation. Dem Kranken, meist mit entzündlic­her Darmerkran­kung, wird dabei verdünnter Spenderstu­hl zugeführt. Das Verfahren wird zwar mit Erfolg angewendet – welche Bakterien oder Viren des Ökosystems dabei entscheide­nd sind, ist allerdings noch unbekannt.

Für gesunde Menschen bleibt es also vorerst bei den gängigen Tipps: ausgewogen und ballaststo­ffreich essen. Probiotisc­he Joghurts oder Drinks schaden vermutlich nicht. Ob sie wirklich von Nutzen sind, weiß aber auch niemand so genau. Eine Darmsanier­ung kann gut gehen, birgt jedoch Risiken, derer sich Interessie­rte bewusst sein sollten. Unbesorgt können Patienten nach einer Antibiotik­a-Einnahme sein. Für gewöhnlich reguliert sich die Darmflora ganz von alleine.

Marie von der Tann, dpa

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Foto: dpa Ein gesunder Darm ist für das Wohl befinden entscheide­nd.

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