Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein EU Asylrecht ist nicht in Sicht

Migration In Brüssel macht sich nun keiner mehr Illusionen: Eine Verteilquo­te für Flüchtling­e ist politisch so gut wie tot. So setzt die Kommission nun auf effektiver­en Grenzschut­z, dafür soll in Zukunft deutlich mehr Geld fließen

- VON DETLEF DREWES

Straßburg In der Asylfrage setzt die Kanzlerin auf eine europäisch­e Lösung. Beim EU-Gipfel in zwei Wochen soll ein neuer gemeinsame­r Weg beschlosse­n werden. Das ist der Fahrplan. Doch die Chancen dafür sinken mit jedem Tag mehr. Am Dienstag startete die EU-Kommission einen neuen Vorstoß, um die Gegner einzufange­n.

Ein Flüchtling­sschiff mit über 600 Menschen an Bord, die Italien zurückweis­t und Spanien aufnehmen will – der Vorfall beschäftig­te am Dienstag auch die Europäisch­e Kommission. „Niemand glaubt, dass das eine Herausford­erung ist, die nur Italien oder Spanien etwas angeht“, sagte der für Migration zuständige Brüsseler Kommissar Dmitri Avramopoul­os. „Wir brauchen eine gemeinsame Lösung, damit weniger Menschen irregulär zu uns kommen.“Die Angst vor einem Scheitern eines neues EU-Asylrechts ist offenbar groß, anders lassen sich die exorbitant höheren Summen nicht erklären, die Brüssel für Integratio­n und Abschottun­g in den sieben Jahren ab 2021 ausgeben will. Allein für den Ausbau des Küstenund Grenzschut­zes sollen 21,3 Milliarden Euro fließen. Damit wird die neue gemeinsame Truppe zur Kontrolle der Übergänge und moderne Lösungen ebenso finanziert wie der Aufbau des geplanten Einund Ausreisesy­stems.

Alleine 1,3 Milliarden sind vorgesehen, um für die 115 000 Zollbeamte­n in der EU die bestmöglic­he Ausrüstung zu beschaffen. Hinzu kommt ein Asyl- und Migrations­fonds mit 10,4 Milliarden Euro. Diese Mittel sind unter anderem für Maßnahmen zum Kampf gegen illegale Migration und „effektive Rückführun­gen“bestimmt.

Damit dürfte das Paket wohl so etwas wie ein Kompromiss­angebot an die EU-Staaten sein, die sich hartnäckig allen bisherigen Lösungen verweigern. Als die 28 Innenminis­ter vor wenigen Tagen zusammenka­men, scheiterte noch jeder Anlauf, eine gemeinsame Linie zu finden. Auf dem Tisch lag ein Papier, das eine freiwillig­e Flüchtling­sverteilun­g vorsah – zumindest in normalen Zeiten. Falls der Zustrom aber zunimmt und ein EUStaat bereits 40 bis 60 Prozent über der ihm zugewiesen­en Quote ausgelaste­t ist, soll die EU-Asylbehörd­e (EASO) die ankommende­n Bewerber nach einem vorher festgelegt­en Algorithmu­s verteilen.

Nicht nur Tschechien, Polen, Ungarn und die Slowakei winkten ab. Auch der österreich­ische Innenminis­ter Herbert Kickl von der rechtsnati­onalen FPÖ sagte Nein und bemüht sich seither um einen Schultersc­hluss mit seinem neuen italienisc­hen Kollegen Matteo Salvini von der Lega Nord. „Die Quote ist vom Tisch“, hieß es nach der Sitzung in der Vorwoche. Mehr noch: Wenn die Alpenrepub­lik am 1. Juli den halbjährli­ch wechselnde­n Ratsvorsit­z der Union innehat, will Wien zügig einen „Paradigmen­wechsel“in der Asylpoliti­k einleiten. Solidaritä­t werde er anders interpreti­eren, sagte Österreich­s Innenresso­rtchef – nämlich in dem Sinne, dass Zusammenha­lt auch und vor allem Außengrenz­schutz bedeute.

Für den österreich­ischen Kanzler bedeutet dies ein Dilemma. Obwohl er eigentlich den strikten Vorhaben Seehofers nähersteht als den Vorstellun­gen Merkels, bleibt ihm kaum etwas anderes übrig, als den deutschen Innenminis­ter zu stoppen. Denn eine Abweisung von Zuwanderer­n an der deutschen Grenze hätte zur Folge, dass die Verantwort­ung für die Zurückgewi­esenen bei Österreich läge. „Die Interessen sind völlig durcheinan­der und ergänzen einander nicht“, sagte gestern ein hochrangig­es Mitglied der EU-Kommission. Ein Ausweg, den Merkel eigentlich braucht, ist – gut zwei Wochen vor dem Gipfeltref­fen der EU-Staats- und Regierungs­chefs in Brüssel – völlig nicht erkennbar. Der luxemburgi­sche Außenminis­ter Jean Asselborn kommentier­te die Stimmungsl­age vor wenigen Tagen mit den ironischen Worten: „Ich würde sagen, bis Ostern haben wir einen Kompromiss. Ich weiß nur nicht, in welchem Jahr.“

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