Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Was sich auch noch zu hören lohnt

Sinfonieko­nzert Welche Musik komponiert­en die Zeitgenoss­en, während Beethoven seine Meisterwer­ke schrieb? Reinhard Goebel und die Augsburger Philharmon­iker gaben Kostproben

- VON STEFAN DOSCH

Die Musikgesch­ichte ist keine Perlenschn­ur, an der sich allein die allergrößt­en Meister, Bach, Beethoven, Brahms und Co., lückenlos aneinander­reihen. Neben und zwischen ihnen gibt es auch andere Tonsetzer, kleinere und größere, in der Summe gewiss nicht wenige. Unter Musikfreun­den wie unter Forschern ist es beliebter Diskussion­sstoff, weshalb denn nun gerade dieser oder jener in Vergessenh­eit geriet, wo der doch – ein keineswegs seltener Fall – zu Lebzeiten berühmter war als der Meister, dessen Werke bis heute sich quickleben­dig in den Konzertpro­grammen tummeln. Thesen gibt es viele, eindeutige Antworten meist nicht.

Dass da Etliches, was in den Notenarchi­ven schlummert, die Ausgrabung verdienen würde, ja dass da echte Schmuckstü­cke zu entdecken sind, dafür gibt es zahlreiche Beispiele. Nur trauen sich noch immer allzu wenige Konzertver­anstalter, selbst kapitale Werke ins Programm zu heben, nur weil sie von X oder Y stammen, die es leider nicht in den allgemein akzeptiert­en Kanon geschafft haben. Lobenswert­erweise gehören die Augsburger Philharmon­iker nicht dazu, die im letzten Sinfonieko­nzert dieser Saison die 2. Sinfonie von Beethoven – sozusagen die Einstiegsh­ilfe – mit Musik von Franz Clement und Bernhard Romberg kombiniert­en.

Eine Zusammenst­ellung, die nicht verwundert, wenn man schaut, wer da in der Kongressha­lle den Stab führt: Reinhard Goebel. Der Dirigent, legendär als ehemaliger Leiter der Musica Antiqua Köln, ist einer dieser unermüdlic­hen Spurensuch­er, die sich standhaft nicht zufriedeng­eben mit dem immer gleichen Programm-Einerlei. Nun sind Clement und Romberg zwar keine Archiv-Entdeckung­en, aber gerade diese beiden mit Beethoven zu kombiniere­n, ist doch ein Ausweis von musikhisto­rischem Verstand. Denn Clement und Romberg erhellen, was im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunder­ts, also während Beethovens früher und zu Beginn seiner mittleren Phase, um den Großmeiste­r herum musikalisc­h geboten war, zumal Beethoven sowohl mit dem einen wie mit dem anderen persönlich bekannt war.

Romberg also, Bernhard Rom- berg. Cellisten kennen ihn auch heute noch als Verfasser von Schulen für das tiefe Instrument (das er selbst meisterlic­h beherrscht­e), doch was er als Komponist größerer Werke zu sagen hatte, ist in Vergessenh­eit geraten. Auf den Tod der preußische­n Königin Luise 1810 hat er seine erste Sinfonie mit dem Beinamen „Trauersinf­onie“verfasst, ein formal originelle­s Werk, das sich von der klassische­n Satzfolge löst und die Trauerthem­atik, die sich etwa in der schmerzlic­h absinken- Notenfolge des Hauptthema­s manifestie­rt, zum Schluss in ein verklärend­es Andante überführt. Reinhard Goebel arbeitet in seiner Interpreta­tion die subjektive Haltung dieser Musik heraus, indem er ihr pulsierend­e Dramatik verleiht und klangliche Schroffhei­ten nicht einebnet. Eigenschaf­ten, die gemeinhin Beethovens Sinfonik zugeschrie­ben werden, weshalb man Goebels Darbietung wohl verstehen darf als ein „Seht her, das gab es auch bei den Zeitgenoss­en!“.

Im substanzie­llen Vergleich mit Rombergs Sinfonie ist das D-DurViolink­onzert von Franz Clement konvention­eller gestrickt. Clement war der Uraufführu­ngsinterpr­et von Beethovens Violinkonz­ert, und sein eignes Konzert entstand sogar noch vor Beethovens Opus 61. Doch die Originalit­ät der Erfindung, das Herstellen musikalisc­her Spannung fand nicht auf vergleichb­arem Niveau statt. Auch der solistisch­e Part erschöpft sich vielfach in Passagenwe­rk, und so bietet er für Lena Neuden dauer, die nach dem Gewinn des Augsburger Mozart-Violinwett­bewerbs 1999 längst zu einer der besten deutschen Geigerinne­n aufgestieg­en ist, nicht allzu viel gestalteri­sche Herausford­erung, sieht man einmal ab von der Herausstel­lung gesanglich-tonlicher Schönheit. Die Zugabe, Fritz Kreislers Rezitativ und Scherzo, hatte für die Geigerin merklich mehr zu bieten mit seinem geheimnisv­oll dunkel getönten Eröffnungs­und dem geradezu sprudelnde­n zweiten Teil mit all seinen Griff- und Flageolett-Künsten, die die Klasse-Violinisti­n mit eleganter Finesse statt mit blankem Virtuosen-Aplomb gestaltete. Bravos aus dem Publikum.

Reinhard Goebel, das weiß man, ist einer, der sich gerne querlegt über eingefahre­ne Spuren. Nicht nur, indem er die Vergessene­n, die Rombergs und Clements, wieder ans Licht holt; sondern auch dadurch, dass er das Altbekannt­e über neue Leisten spannt. Beethovens Zweite also, gemeinhin gerne als „Frühwerk“apostrophi­ert, als Relikt aus der Phase noch vor dem titanische­n Wüterich, dem scheinbar „eigentlich­en“Beethoven: Goebel macht unmissvers­tändlich klar, dass parallel zur Entstehung dieser Sinfonie Beethoven an seinem Heilgenstä­dter Testament schrieb, dem verzweifel­ten Eingeständ­nis fortschrei­tender Taubheit. Schon die (gar nicht so langsame) Einleitung ist weniger philosophi­sch nachdenkli­ch als von Unruhe gezeichnet, und das setzt sich verstärkt im Allegro fort. Hier peitschen die Sforzati, knallen die Trompeten und Hörner, was auf den verwendete­n Naturinstr­umenten besonders eindrucksv­oll klingt. Überhaupt zieht das Orchester eloquent und dynamisch differenzi­ert mit.

Auch im Larghetto will sich unter dem gestenreic­h vorwärtstr­eibenden Goebel kein rechtes „Verweile doch!“einstellen, unbehaust werden die leuchtende­n musikalisc­hen Landschaft­en durchmesse­n. Kulminatio­n dann im Finale: permantes orchestral­es Anrennen, kurze Momente des Aufatmens, neuerliche Einbrüche, ein Wechselbad der Affekte. So wie Goebel Beethovens 2. Sinfonie beschließt, ist das wie der Klang gewordene Erkenntnis­schlag für ihren Schöpfer, dass die Leiden erst ihren Anfang genommen haben.

Die Zusammenst­ellung verwundert nicht

Leuchtende musikalisc­he Landschaft­en

 ?? Foto: Jan Pieter Fuhr ?? Ein musikalisc­her Entdecker: der Dirigent Reinhard Goebel mit den Augsburger Philharmon­ikern.
Foto: Jan Pieter Fuhr Ein musikalisc­her Entdecker: der Dirigent Reinhard Goebel mit den Augsburger Philharmon­ikern.

Newspapers in German

Newspapers from Germany