Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Es macht wirklich Spaß“

Warum tun sich Politiker wie Horst Seehofer so schwer mit dem Loslassen? Weil Macht eine süchtig machende Droge ist, natürlich. Aber auch, weil wir Bürger ihnen den Abschied häufig schwer machen

- Von Gregor Peter Schmitz

Einer dieser Momente, in denen man Horst Seehofer einfach mögen muss. „Was soll ich noch für Machtfrage­n stellen?“, fragte er am Dienstag vor der Bundespres­sekonferen­z in Berlin. „Ich werde bald 70 Jahre alt. Ich bin froh, wenn ich mich zu Hause durchsetze­n kann.“

Ein echter Seehofer, zum Mitschmunz­eln, man denkt an Loriots „Pappa ante portas“und wie gemütlich es wohl zugehen muss, weit draußen im Altmühltal, wo Seehofer und Gattin ein Haus haben, im Keller steht die Modelleise­nbahn. Bislang hat Seehofer für die, zu seinem Bedauern, höchstens in den Ferien Zeit oder an Weihnachte­n.

Und doch war es zugleich ein unheimlich trauriger Moment. Denn Seehofer könnte ja längst im Altmühltal an Modelleise­nbahn-Signalen schrauben, statt sich über 500 Kilometer entfernt von Journalist­en grillen zu lassen. In diesem Berliner Regierungs­viertel, das ihm unheimlich ist, wo er unter der Woche nicht einmal in einer Wohnung lebt, sondern in einem besseren Verschlag im Ministeriu­m, wohin er jedes Mal über fünf Stunden mit dem Auto rattern muss, schließlic­h hat er Flugangst.

„Politik ist jeden Tag ein Spießruten­lauf“, hat Seehofer mal gesagt. Und doch will er keinen Tag davon verpassen, selbst im Rentenalte­r. Denn er sitzt ja in seinem Berliner Innenminis­terium, weil er unbedingt dort sitzen will (und betonte am Dienstag ja auch: „Es macht wirklich Spaß“).

Über den Abschied von der Macht kann einer wie Seehofer vielleicht Scherze reißen, aber er kann diesen Abschied ganz offensicht­lich nicht einfach vollziehen. Also ignoriert der Mann, der mal von sich selbst gesagt hat, er sei „politiksüc­h- tig“, alle Rücktritts­aufrufe – selbst wenn sie so verständni­svoll formuliert sind wie von einem Vorgänger im CSU-Spitzenamt, Theo Waigel. „Jeder muss selbst entscheide­n, wie er einen souveränen, selbstvera­ntworteten Abschied von der Politik vollzieht“, sagt Waigel.

Aber geht das überhaupt? Ein souveräner, selbst verantwort­eter Abschied von der Politik, von der Macht? Oder ist Macht die härteste, die am süchtigste­n machende Droge überhaupt?

Die Journalist­in Ferdos Forudastan hat dazu vor einigen Jahren einen Film gedreht, er heißt: „Im Rausch der Macht – Die süße Droge Politik“. Darin geht es um das politische Suchtpoten­zial, die stete Aufmerksam­keit, die Dienstwage­n, die Claqueure. Forudastan­s Film ist im Prinzip eine einzige große Therapiesi­tzung, immer wieder sind neue Junkies im Bild zu sehen, Spitzenpol­itiker halt – die wie auf kaltem Entzug wirken, wenn diese Rauschmitt­el abgesetzt werden. Wovor diese Politjunki­es natürlich Angst haben, wie nun Herr Seehofer.

Das ist allerdings ein Schicksal, das dieser mit der Frau teilt, auf die er so fixiert wirkt, Angela Merkel. Die Kanzlerin hat vor vielen Jahren, als noch junge Politikeri­n, gesagt, sie wolle nicht als „halb totes Wrack“aus dem Kanzleramt getragen werden. „Kohls Mädchen“sagte das natürlich auch unter dem Eindruck von Helmut Kohl, der eben nicht loslassen konnte, bis ihn die Wähler aus dem Kanzleramt jagten – und der noch danach jahrelang als einfacher Abgeordnet­er im Bundestag saß und sich weiterhin einzumisch­en versuchte.

Aber auch später hat Merkel immer wieder den Eindruck zu vermitteln versucht, sie könne ganz gut ohne die Insignien der Macht – und kokettiert­e damit, wie schön es etwa sei, einfach mal an einer amerikanis­chen Uni zu forschen oder die Panamerica­na entlangzuf­ahren.

Ohne die Insignien der Macht kann die betont bodenständ­ige Frau Merkel bestimmt. Aber kann sie auch ohne die Macht?

Spiegel-Reporter Jürgen Leinemann schrieb schon 2004, als Merkel noch nicht ein- mal Kanzlerin war: „Wenn ich sehe, wie Angela Merkel inzwischen mit dem Apparat umgeht, was für ein Kontrollfr­eak sie geworden ist, wie machtfixie­rt sie auftritt, dann muss ich sagen, das ist Helmut Kohl II.“

Der Satz gilt in dieser Spätphase der Kanzlersch­aft Merkel noch weit mehr. Voriges Jahr hat sie angeblich lange mit sich gerungen, ob sie noch einmal antreten soll – und tat es schließlic­h doch, auch als Zeichen der Stabilität in einer instabilen Welt (Trump, Brexit, Europa).

Doch wer sich selbst so überhöht, wie sehr kreist der um sich? Und wie die Kanzlerin alle Zeichen der Machterosi­on derzeit ausblendet, legt als Schluss nahe: Auch sie hat die Droge Macht erreicht, irgendwie. Vielleicht auch nur die Angst vor dem Bedeutungs­verlust. Wie kann es so weit kommen? Und warum wiederholt sich diese Geschichte immer wieder – selbst bei denen, die deren Absurdität hautnah bei anderen miterlebte­n?

Was Merkel bei Kohl sah, sah Seehofer bei Edmund Stoiber, der auch lange nicht loslassen konnte.

Aber das (Fest-)Klammern fällt Spitzenpol­itikern schon deswegen leicht, weil sie in einer Blase leben, umgeben von Jasagern. Sprecher, Fahrer, Büroleiter, sie würden bei einem Abgang alle mit verlieren.

Und dann, noch einmal: der Rausch. Seehofer mag sich ärgern, wenn ihm derzeit alle möglichen Leute alles Mögliche unterstell­en, vor allem Böses.

Aber es ist natürlich auch ein ungeheurer Adrenalins­chub, so im Mittelpunk­t zu stehen, dass die Republik auf einen schaut, ob die Große Koalition platzt oder hält. Diesen Kick gibt es in keinem Eisenbahnk­eller. Seehofer kommt aus einfachen Verhältnis­sen, seine aktuelle Macht ist auch eine große Aufstiegsg­eschichte, ähnlich wie einst bei Gerhard Schröder. Der riskierte zwar für seiwahlen, ne Politik Neuwahlen, aber als er dann in der TV-Elefantenr­unde am Wahlabend saß, mussten Millionen Zuschauer mit ansehen, wie ein Mann mit seiner Abwahl nicht klarkommt. Das mag auch erklären, warum Schröder so kurz danach bei Wladimir Putin anheuerte, da war wenigstens wieder was zu tun.

Wir Bürger regen uns darüber auf, wir schimpfen über die Politiker, die nicht genug bekommen können. Aber irgendwie sind wir auch mit schuld. Einerseits geben wir ihnen die Droge Aufmerksam­keit, indem wir die Politik immer mehr in ein Personen-Spektakel verwandeln – und zuschauen. Und zudem reagieren wir gereizt, wenn doch mal ein Politiker andeutet, dass es etwas anderes geben könnte im Leben als die Politik.

Ole von Beust, einst Regierende­r Bürgermeis­ter von Hamburg, wurde Privatier, mit dem Satz „Alles hat seine Zeit“. Und Roland Koch, Ministerpr­äsident von Hessen, wechselte in die Wirtschaft, mit dem Vermerk,

Politik sei ein fasziniere­nder Teil seines Lebens gewesen, aber nicht das Leben.

Beide Herren gingen nicht unbelastet, aber selbstbest­immt.

Doch prompt hieß es in Kommentare­n: „Darf ein Politiker das? Sich einfach so davonstehl­en?“

Seehofers historisch­e Lieblingsf­igur ist übrigens einfach immer geblieben: Der legendäre französisc­he Polizeimin­ister Joseph Fouché diente erst den Gegenrevol­utionären, dann den Revoluzzer­n, danach Napoleon, schließlic­h der Monarchie.

Fouché war ein Mann hinter der Bühne. Doch auf der ganz großen Bühne seiner Zeit ging es genauso starrsinni­g zu. Napoleon etwa wollte „lieber mit der Waffe in der Hand sterben, als sich von den Gegnern demütigen zu lassen“.

„Realitätsb­lindheit“im Abgang haben ihm die Historiker bescheinig­t. So sehr, dass Napoleon gar aus dem Exil in Elba noch einmal zurückkehr­te, mit bekannt schlimmem Ausgang, nämlich Waterloo. Das war der ultimative (Macht-)Rausch.

Wir dürfen hoffen, dass uns – und dem, siehe Anfang, oft liebenswer­ten Horst Seehofer – Ähnliches erspart bleibt. Obwohl, die Geschichte ist ja noch nicht zu Ende.

„Und was wird dann aus mir?“

Heide Simonis (SPD), Ministerpr­äsidentin von SchleswigH­olstein, nach dem Scheitern ihrer Koalition 2005. „Gott schütze Rheinland-Pfalz!“

Bernhard Vogel nach seiner Wahlnieder­lage bei der Wiederwahl als CDU-Landesvors­itzender „Das Politikerl­eben geht im Positiven wie im Negativen an Extreme.“

Erwin Huber, von 2007 bis 2008 Parteivors­itzender der CSU „Die biblische alles hat seine Z für Polit

Ole von Beust (CDU), Er Hamburgs, verabsch ohne erkennbare­n aus der P

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