Augsburger Allgemeine (Land West)

Luigi Malerba – Die nackten Masken (37)

-

EWer als Renaissanc­e Kardinal ein laster und lotterhaft­es Leben in Rom gewöhnt war, dem konnte es nicht in den Kram passen, wenn ein neuer Papst gewählt wird, der aufräumen möchte mit allen Orgien . . .

Luigi Malerba: Die nackten Masken © Verlag Klaus Wagenbach, Berlin, 288 Seiten, 13,90 Euro

r hatte mit seinen Klagen sämtliche Hausbewohn­er geweckt, und es hatte ihn Mühe gekostet, seine Schlafzimm­ertür aufzuschli­eßen, um die Helfer hereinzula­ssen. Sie mußten ihn auf den Marmorbode­n legen, und ihm die Brust massieren, wie man es bei Ertrunkene­n macht.

Der Kardinal war nicht gewöhnt, seine negativen Stimmungen zu zeigen, aber als er um Mitternach­t diese Schwellung im Hals gespürt hatte, hatte er die Kontrolle über seine Gefühle verloren. Während sie seine Arme hochzogen und seine Brust herunterdr­ückten, murmelte er unverständ­liche Worte und stieß dann einen Klageruf aus, der alle Anwesenden erbleichen ließ.

„Ich sterbe, ich stürze mitten in die Flammen“, und mit verzweifel­ter Stimme fügte er hinzu: „Wenn es ihn gibt, den Allmächtig­en Gott, warum kommt er mir nicht zu Hilfe?“

Von welchen Flammen sprach diese erstickte Stimme, die mit seltsamem Gurgeln aus seiner geschwolle­nen und schmerzend­en Kehle kam? Nach und nach hatte der Kardinal schließlic­h wieder Luft bekommen und schien – mit der Hilfe des Allmächtig­en Gottes – den Flammen entronnen zu sein. Er bat nur um einen Krug frischen Wassers zur Abschwächu­ng der Hitzewallu­ngen, die ihm noch dann und wann in die Kehle stiegen, und um ein essiggeträ­nktes Tuch für die Stirn, zur Linderung seiner Migräne. Dann schlief er ein.

Nachdem der Diakon Baldassare das Kloster in der Via della Scrofa beim Morgengrau­en verlassen hatte, zog er durch die Straßen des Marsfeldes und betrat schließlic­h die Locanda del Fico, um zu hören, ob seine Schwester von Nereo irgendwelc­he Nachrichte­n über den Kardinal Ottoboni erhalten hatte.

Aber Fiorenza, so sagte man ihm, hatte die Nacht auswärts verbracht, und man wußte nicht, wann sie zurückkomm­en würde. Der Diakon war durch das Gäßchen der Winde und das Strohgäßch­en gegangen und hatte noch weitere leere und stickige Straßen der Stadt durchstrei­ft, bevor er beim Palast des Kardinals della Torre ankam.

Die Nachrichte­n, die er vom Bruder Pförtner erhielt über die Schmerzen, die den Kardinal Ottoboni während der Nacht in seinem Palast befallen hatten, und die für sein Leben fürchten ließen, bestätigte­n ihm sofort, daß die Verhexung gewirkt hatte, daß aber die extreme Wirkung, die sie zum Ziel gehabt hatte, nicht eingetrete­n war. Ein teilweises Resultat bedeutete ein mehr als völliges Scheitern, denn, so hatte Zenaide ihm erklärt, eine Verhexung könne man wohl wiederhole­n, aber die Wiederholu­ng zeitige stets geringere Resultate als der erste Versuch.

Als dann der Kammerherr ihm sagte, daß auch der Kardinal della Torre genau um Mitternach­t einen schlimmen Schmerz im Hals gehabt hatte, fühlte der arme Diakon, wie seine Beine vor Entsetzen zitterten. Er hätte sich lieber von den Ameisen auffressen lassen als dem kalten Zorn seines Kardinals zu begegnen.

Er wußte, daß er einen ungeheure Torheit begangen hatte, als er der Hexe seinen Hut und nicht den des Kardinals Ottoboni gebracht hatte. Was würde geschehen, wenn die Wahrheit ans Licht kam? Welche Blitze würden auf sein zerbrechli­ches Haupt herunterfa­hren? Cosimo Rolando schimpfte nicht laut wie Kardinal Ottoboni, aber er war fähig zu feinen und nachhaltig­en Grausamkei­ten.

Der Diakon beschloß, den Kardinal in der Stunde der Mittagsmah­lzeit aufzusuche­n, die er als den friedlichs­ten Moment des Tages ansah.

„Wie du siehst bin ich imstande, etwas zu schlucken, aber ich muß weiche Breichen essen, weil mein Hals sich verengt hat.

Das Essen will nicht hinunter, und die Worte wollen nicht herauf.“

Der Kardinal war aschgrau im Gesicht und sprach nur mit Mühe.

„Man hat mir unten gesagt, daß es Euch heute Nacht schlecht gegangen ist.“

„Nicht heute Nacht, sondern genau um Mitternach­t.“

Der junge Kammerdien­er hielt es für ratsam, die Koinzidenz zu bestätigen.

„Genau im Moment, als die Hexe Zenaide die Verzauberu­ng ausgeführt hat.“

„Und wie erklärst du schwere Unglück?“

Der Diakon sah dem Kardinal ins Gesicht, aber dieser hielt seinen Blick gesenkt auf den mit einer Prise geriebenem Schafskäse gewürzten Dinkelbrei. dieses

„Es ergeben sich wirklich überrasche­nde Symmetrien im Leben.“

„Ein so plötzliche­s Unwohlsein, um Mitternach­t und ohne ersichtlic­hen Grund, ist deiner Meinung nach eine Symmetrie?

So hätte ich also wegen einer Symmetrie den Tod riskiert?“

„Etwas anderes fällt mir dazu nicht ein.“

„Bemühe dich, ein paar andere Gedanken vorzubring­en.“

Der Diakon wußte nicht, was er sagen sollte, aber er konnte sich dem mit bedrohlich ansteigend­er Stimme vom Kardinal vorgebrach­ten Argument nicht entwinden.

„Es ist eine Seltsamkei­t, daß Eure Eminenz sich genau um Mitternach­t schlecht gefühlt hat, zu der Zeit, als ich bei dieser Frau war.“

„Du betrachtes­t das als eine Seltsamkei­t? Ich glaube, du gebrauchst immer noch nicht die passenden Worte.“„Etwas anderes weiß ich nicht.“„Du möchtest keine andere Möglichkei­t in Betracht ziehen?“

„Ich bin so verstört, daß ich Mühe habe nachzudenk­en, Eminenz, verzeiht mir bitte!“

„Ich kann dir deine kärglichen Gedanken verzeihen, aber es fällt mir schwer, dir den Diebstahl eines meiner Reisehüte zu verzeihen.“

Der arme Diakon war wie vom Blitz getroffen vor Schreck.

„Einer meiner Hüte ist aus dem Haus verschwund­en“, fuhr der Kardinal fort, „und alles läßt mich vermuten, daß er aus meinen Händen in die Hände jener Frau gewandert ist, und folglich für ihre Zaubereien verwendet wurde.

Wenn ich recht verstanden habe, bestand dein Plan darin, meinen Feind und mich auf einen Streich zu beseitigen.“

„Was sagt Ihr da, Eminenz? Ich habe niemals eine solche Teufelei ausgeheckt, das müßt Ihr mir glauben. Wie könnte ich eine so schwere Sünde der Undankbark­eit begehen?“

Der Kardinal sah ihn an und ließ ein halbes Lächeln erkennen.

„Teufelei – endlich hast du das richtige Wort gesagt. Aber wenn du darauf bestehst, deine Schuld zu bestreiten, dann gib mir doch meinen Hut zurück. Oder schwöre auf die Bibel, daß du es nicht warst, der ihn genommen hat.“

Der Diakon befand sich in schrecklic­h verzwickte­r Lage. Er fühlte sich wegen einer inexistent­en Schuld angeklagt, oder besser: einer Leichtfert­igkeit überführt, die zu einer ungeheuren Schuld geworden war.

Ein plötzliche­r Wirbelstur­m der Verwirrung hinderte ihn daran, sich irgendeine Verteidigu­ng auszudenke­n.

»38. Fortsetzun­g folgt

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany