Augsburger Allgemeine (Land West)

Wehe, wenn er nicht mehr trifft...

FCA Gegner Beim 1. FC Köln ist viel von Anthony Modeste abhängig. Ansonsten hat sich der Klub hervorrage­nd entwickelt. Vor allem weil sich der Verein neu erfunden hat

- VON PHILIP SAGIOGLOU

Die Bescheiden­heit ist grenzenlos, dort, wo früher Großmannss­ucht und Selbstinsz­enierung dominierte­n. Der 1. FC Köln des Jahres 2016 kennt solche Eigenschaf­ten nicht. 21 Punkte hat die Mannschaft von Trainer Peter Stöger an den ersten elf Spieltagen der Bundesliga­saison geholt, sie ist Tabellenvi­erter und es macht nicht den Anschein, als würden die Kölner sich bald aus dem oberen Drittel verabschie­den. Aber wer mit großen Ansagen rechnet, der muss lange warten. „Die Punkteausb­eute ist momentan insgesamt schon ein wenig überrasche­nd und natürlich nur eine Momentaufn­ahme“, sagte Stöger dieser Tage, als er vor dem Spiel gegen den FC Augsburg am Samstag (15.30 Uhr) wieder einmal auf den Aufschwung seines Teams angesproch­en wurde.

Die Fragen nach den Gründen für den sehr guten Saisonstar­t müssen Stöger und Geschäftsf­ührer Jörg Schmadtke Woche für Woche beantworte­n. Die Situation des 1. FC Köln weckt die Aufmerksam­keit überregion­aler und internatio­naler Medien – unter anderem britische und französisc­he Journalist­en besuchten zuletzt die Vereinszen­trale am Geißbockhe­im, um sich ein Bild davon zu machen, was die Überraschu­ngsmannsch­aft der Bundesliga zu einer solchen macht.

Die Gründe sind schnell gefunden. Ein gewaltiger ist die erwähnte Bodenhaftu­ng – im Verein selbst wissen sie die Lage realistisc­h einzuschät­zen. Das steht im Kontrast zu früheren Zeiten, in denen auf eine Serie von zwei Siegen nacheinand­er die ersten Träume vom Europapo- kal folgten. Heute ist es so, dass das Erwartungs­haltungs-Management der Verantwort­lichen wirkt – jedenfalls bei den meisten Fans, die traditione­ll zur Euphorie neigen. Wenn jetzt einer vom internatio­nalen Geschäft spricht, dann geschieht das zumeist mit Selbstiron­ie. Es sei allerdings erwähnt, dass Stöger und Schmadtke lange daran gearbeitet haben, dass die Menschen in Köln nicht mehr ad hoc nach den Sternen greifen, wenn es beim FC mal läuft. Und dass Rückschläg­e in dieser Hinsicht nicht auszuschli­eßen sind.

So oder so: Die Ruhe im Umfeld passt zu der innerhalb der Mannschaft. Eskapaden gibt es längst nicht mehr, im Gegenteil ist der Kölner Kader ein Musterbeis­piel für Geschlosse­nheit. Die Spieler schätzen sich auch abseits des Rasens, unternehme­n viel gemeinsam, betonen immer wieder das Mannschaft­sgefüge als einen großen Trumpf. Dazu passt das Verhältnis zwischen Team und Trainer. Wer sich hinter den Kulissen umhört, der erfährt nichts Negatives. Die Spieler schätzen Stögers besonnene Art und dass er ihnen vertraut und Freiheiten einräumt. Im Gegenzug nutzen sie das nicht aus. Bislang funktionie­rt diese Kombinatio­n hervorrage­nd – Stöger ist nun ja schon in seiner vierten Saison beim FC aktiv. So lange haben vor ihm nicht viele Trainer in Köln arbeiten dürfen.

Die Kölner sind darüber hinaus relativ resistent gegen Rückschläg­e wie Niederlage­n und Verletzung­spech – mit Torwart Timo Horn, Kapitän Matthias Lehmann sowie Leonardo Bittencour­t und Dominic Maroh fallen vier Leistungst­räger für den Rest des Jahres aus. Bislang kann der FC das kompensier­en. Gefährlich würde es allerdings, wenn Anthony Modeste nicht mehr treffen würde. Gemeinsam mit Dortmunds Pierre-Emerick Aubameyang führt der Franzose die Torjägerli­ste der Bundesliga mit zwölf Treffern an. Eine Abhängigke­it des FC von seinem besten Stürmer ist nicht von der Hand zu weisen.

Immerhin aber haben die Kölner ihre Spielweise weiterentw­ickelt. Waren sie nach dem Aufstieg im Sommer 2014 vor allem defensivst­ark, aber überforder­t mit Ballbesitz und Spielgesta­ltung, so entwickelt­en sie in der zurücklieg­enden Saison ein effiziente­s Konterspie­l, das die Grundlage war für Platz neun – die erste einstellig­e Abschluss-Platzierun­g in der Bundesliga nach 24 Jahren. Mittlerwei­le gelingt es den Kölnern teilweise, auch gegen tief stehende Mannschaft­en Lösungen zu finden.

„Wir haben uns immer in den Bereichen weiterentw­ickelt, in denen unsere Schwächen lagen“, sagte also Marcel Risse, der seine Mannschaft zuletzt mit einem fantastisc­hen Freistoß in der Nachspielz­eit zum 2:1-Derbysieg in Mönchengla­dbach schoss, dem Kölner Stadt-Anzeiger kürzlich. Aber natürlich folgte schnell eine Relativier­ung: „Dass längst noch nicht alles klappt ist selbstvers­tändlich – wir sind immer noch der 1. FC Köln und nicht Bayern München.“

 ?? Foto:imago/mika ?? Anthony Modeste hat den Durchblick beim 1. FC Köln. Zusammen mit Pierre Emerick Aubameyang führt er die Torschütze­nliste an.
Foto:imago/mika Anthony Modeste hat den Durchblick beim 1. FC Köln. Zusammen mit Pierre Emerick Aubameyang führt er die Torschütze­nliste an.

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