Augsburger Allgemeine (Land West)

Ohne Wohnung in den Winter

Gesellscha­ft Die Zahl obdachlose­r Menschen steigt in Augsburg. Sie finden keine Unterkunft mehr, weil der Mietmarkt angespannt ist. Eine Betroffene erzählt von ihrer Not

-

Seit Juli lebt Karin* auf der Straße. Als die Nächte noch nicht so kalt waren, schlief sie unter der Dieselbrüc­ke in Oberhausen. Jetzt versucht sie, bei Bekannten unterzukom­men. Mal drei Tage hier, dann wieder ein paar Tage da. Nie für lange Zeit, aber es reicht immerhin für ein Dach über dem Kopf. „Und eine Dusche“, sagt sie. Körperhygi­ene ist nicht so einfach, wenn das gesamte Hab und Gut in wenigen Taschen verpackt und das Bett eine vom Sperrmüll geholte Matratze ist. Seit vielen Jahren ist das Leben der 48-Jährigen ein einziges Auf und Ab.

2001 muss sie ins Gefängnis, weil sie Drogen verkauft hat. In der Justizvoll­zugsanstal­t in Aichach lernt sie Bärbel Marbach-Kliem vom Sozialdien­st katholisch­er Frauen (SkF) kennen. Als sie im Jahr 2005 das Gefängnis verlassen kann, kommt sie in einer Wohngruppe für haftentlas­sene Frauen der Einrichtun­g in Augsburg unter. „Es ist als ein Sprungbret­t für die Frauen gedacht. Hier haben sie ein halbes Jahr Zeit, sich wieder neu zu sortieren und wieder neu anzufangen“, sagt Bärbel Marbach-Kliem.

„Ruckizucki“findet Karin wieder Arbeit, dann eine neue Wohnung. Was ihr bleibt, ist ihr ExFreund, mit dem sie wieder zusammenko­mmt. „Ein Mann, der schon einen schlechten Einfluss auf mich hatte“, sagt sie. So auch dieses Mal. Karin arbeitet damals bei einem Supermarkt an der Kasse und willigt in ein erneutes Verbrechen ein: Ihr Freund leert damals den Tresor, Karin fungiert als Fahrerin – für beide endet diese Aktion wieder in Haft. Aber auch nachdem Karin diese Haftstrafe abgesessen hat, rappelt sie sich schnell wieder auf und findet einen Job als Verkäuferi­n auf dem Stadtmarkt.

Doch die Vergangenh­eit holt sie ein und sie zieht wieder mit ihrem Ex-Freund zusammen. Schon bald legt er sich mit den Nachbarn an, die ihm zu laut sind. Das Paar kündigt die Wohnung in der Annahme, schon bald eine genauso günstige, aber ruhigere Wohnung zu finden. Fehlanzeig­e.

Allein mindestens 200 Frauen haben derzeit wegen des angespannt­en Wohnungsma­rkts kaum eine Chance auf eine eigene Unterkunft in Augsburg. Bärbel Marbach-Kliem hat einen starken Anstieg festgestel­lt. Sie kann es gut nachvollzi­ehen, weil der SkF in seiner Beratungss­telle für Frauen in besonderen Lebenslage­n den Frauen ein Postfach bietet, welches sie für ihre Korrespond­enz mit beispielsw­eise Ämtern, Jobcenter oder Gericht verwenden können. Eine genaue Zahl der obdachlose­n Männer in Augsburg kann nicht angegeben werden. Der katholisch­e Sozialdien­st SKM hat aber ebenfalls eine Zunahme in den vergangene­n Jahren festgestel­lt. Eines ist sicher: Die Zahl wird sicherlich noch über der der wohnungslo­sen Frauen liegen.

Die steigende Nachfrage nach Obdachlose­nhilfe ist aber nicht nur in Augsburg präsent. Vor wenigen Tagen besuchte Sozialbürg­ermeister Stefan Kiefer (SPD) die Fachtagung zur Wohnungslo­senhilfe in Bayern, die in München stattfand. Dort wurde unter anderem darüber diskutiert, dass Obdachlose­n, denen keine Unterkunft angeboten werden kann, gerade jetzt im Winter die Übernachtu­ng in einer leer stehenden Asylunterk­unft ermöglicht werden soll. Kiefer: „Einen verbindlic­hen Beschluss diesbezügl­ich konnimmer te diese Versammlun­g nicht fassen.“Er ergänzt aber: „Ich bin mir sicher, dass wir hier in Augsburg niemand auf der Straße stehen lassen, während Häuser, über die wir verfügen, leer sind.“Derzeit wird im Sozialrefe­rat an einem größeren Konzept gearbeitet, das dem Stadtrat vorgelegt

Hinzu kommt, dass es kürzlich in der städtische­n Obdachlose­nunterkunf­t in der Johannes-Rösle-Straße gebrannt hat und das Erdgeschos­s dort nicht mehr bewohnbar ist. Die Etage muss renoviert werden. Die Stadt verfügt über 80 Wohnungen für Menschen ohne Unterkunft. Die Einrichtun­g in der Johannes-RösleStraß­e in Pfersee bot zusätzlich 80 Menschen Platz. Nach dem Brand wurden einige Betten in Aufenthalt­sräume gebracht, zehn obdachlose Menschen vorübergeh­end in eine Unterkunft für Flüchtling­e ausquartie­rt.

Harald Eckart, Leiter des Bodelschwi­ngh-Hauses der Diakonie in Augsburg, stellt ebenfalls eine verstärkte Nachfrage nach einem Zimmer in seiner Einrichtun­g fest. Dort ist Platz für 35 haftentlas­sene und obdachlose Männer. „Natürlich ist der Bedarf im Winter höher. Aber insgesamt spüren wir auch eine größere Bedürftigk­eit. Viele Menschen haben aufgrund von Schulden oder Privatinso­lvenzen gar keine Chance mehr, auf dem normalen Weg eine Wohnung zu bekommen“, sagt er. Früher sei das „Geld vom Amt“eine Sicherheit für die Vermieter gewesen. Heutzutage könnten sie sich ihre Mieter aussuchen.

Karin lässt sich von dieser schwierige­n Situation nicht unterkrieg­en. „Bis Weihnachte­n habe ich eine Wohnung“, ist sie sich sicher. * Name geändert

»Kommentar

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Nach einem Brand ist das Erdgeschos­s in der Obdachlose­nunterkunf­t in der Johan nes Rösle Straße derzeit nicht bewohn bar.
Foto: Silvio Wyszengrad Nach einem Brand ist das Erdgeschos­s in der Obdachlose­nunterkunf­t in der Johan nes Rösle Straße derzeit nicht bewohn bar.
 ?? Foto: Annette Zoepf ?? Karin (links) sucht Rat bei Bärbel Mar bach Kliem vom Sozialdien­st katholi scher Frauen (SkF). Sie ist 48 und findet keine Wohnung.
Foto: Annette Zoepf Karin (links) sucht Rat bei Bärbel Mar bach Kliem vom Sozialdien­st katholi scher Frauen (SkF). Sie ist 48 und findet keine Wohnung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany