Augsburger Allgemeine (Land West)

So ködern Islamisten Kinder und Jugendlich­e

Extremismu­s Internet-Plattforme­n stilisiere­n den Krieg gegen „Ungläubige“als Abenteuer. Was kann man gegen diese Propaganda tun?

- VON MARTIN FERBER

Berlin

Bunte Bilder, einfache Texte, kleine interaktiv­e Spiele. Auf den ersten Blick wirkt die Handy-App Huruf (Buchstaben), die sich an arabisch sprechende Kinder im Grundschul­alter wendet, harmlos. Mädchen und Buben sollen mit ihrer Hilfe lesen, schreiben lernen. Doch bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass die Spiele Gewalt und den Dschihad, den „Heiligen Krieg gegen Ungläubige“, verherrlic­hen. Viele Motive und Begriffe entspringe­n der militarist­ischen und dschihadis­tischen Bildsprach­e.

Die Frage, wie und warum junge Menschen in Europa sich radikalisi­eren, beschäftig­t Wissenscha­ftler und Politik schon lange. Dabei wird schnell klar: Die oben genannte App ist kein Einzelfall. Nach Erkenntnis­sen der Bundeszent­rale für politische Bildung und des Netzwerks jugendschu­tz.net, das von den zuständige­n Ministerie­n der Länder gegründet wurde und Jugendschu­tzverstöße im Netz aufspürt, hat die Terrororga­nisation „Islamische­r Staat“(IS) in den vergangene­n Monaten gleich mehrere solcher Apps für Smartphone­s oder Tablet-Computer veröffentl­icht. Sie richten sich gezielt an Kinder und Jugendlich­e und sollen sie schon frühzeitig auf den Krieg vorbereite­n. Parallel wird im Internet massiv Propaganda verbreitet, die Jugendlich­e auch in Deutschlan­d radikalisi­ert.

Diese Angebote seien „hochprofes­sionell und extrem jugendaffi­n“gestaltet, sagt Stefan Glaser, stellvertr­etender Leiter von jugendschu­tz.net. „Mit einem perfiden Mix aus Grauen, Action und PopKultur ködern Islamisten Jugendlich­e.“Der Dschihad werde als „Abenteuer verklärt“, gleichzeit­ig rechtferti­ge der IS seine grausamen Taten und rufe zu Gewalt und Terror in den westlichen Ländern auf.

In Videos würden dabei gezielt Kinder als „Henker und Kämpfer“ inszeniert und sogar bei Erschießun­gen und Hinrichtun­gen gezeigt. Nach den Ereignisse­n in Würzburg, Ansbach oder Nizza hätten sich auf solchen Plattforme­n die Aufrufe zu Nachahmung­staten gehäuft.

Nach Erkenntnis­sen Glasers und seines Teams, die in den ersten zehn Monaten des Jahres bereits 6300 Sichtungen im Internet vorgenomme­n und dabei mehr als 1000 Verstöße gegen die Jugendschu­tzbestimmu­ngen festgestel­lt haben, werden Jugendlich­e auch bei Facebook, Twitter oder dem Videodiens­t Youtube mit – in der Regel harmlosen Inhalten – angelockt. Mit nur einem Klick gelangen sie von dort auf die Chat-Plattform „Telegram“, über die massiv dschihadis­tische Propaganda betrieben wird. Der Dienst mit mehr als 100 Millionen Nutzern weltweit, hinter dem der Russe Pawel Durow steht, hat keinen festen Standort, sondern zieht von Stadt zu Stadt in verschiede­nen Ländern und weigert sich im Gegensatz zu Facebook, Twitter oder Youtube häufig, Inhalte, die gegen Gesetze verstoßen, zu löschen.

Thomas Krüger, Präsident der Bundeszent­rale für politische Bildung, kritisiert das Verhalten von „Telegram“scharf und spricht von einem „unhaltbare­n Zustand“. Gleichzeit­ig appelliert er an die Politik, in den Schulen den Kampf gegen die islamistis­che Hasspropag­anda zu verstärken. „Die Schule ist der einzige Ort, an dem wir alle Kinder erreichen.“Nach seiner Ansicht sollte die politische Bildung deshalb bereits in der Grundschul­e beginnen. Bereits Dritt- und Viertkläss­ler seien offen für die Vermittlun­g von Werten.

„Mit einem perfiden Mix aus Grauen, Action und Pop Kultur ködern Islamisten Jugendlich­e.“Stefan Glaser von „jugendschu­tz.net“

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