Augsburger Allgemeine (Land West)

Zicken und Schafsköpf­e

Ausstellun­g Die Berlinerin Cornelia Schleime nimmt Klischees und Abziehbild­er auf die malerische Schippe. Ihre Porträts sind halb Frau, halb Tier, zugleich glänzend und zerfressen

- VON GÜNTER OTT

Cornelia Schleime ist kürzlich mit dem Hannah-Höch-Preis geehrt worden. Aus diesem Anlass läuft eine Werkschau in der Berlinisch­en Galerie (bis 24. April). Dass man in der Augsburger Galerie Noah ihr jüngeres Schaffen entdecken kann, ist eine schöne Parallelit­ät. An die 40 Acrylarbei­ten auf Leinen/Leinwand und Tusche-Aquarelle auf Papier/ Bütten geben einen Überblick über die Jahre 1999 bis 2014.

Erster Eindruck: Die Wände der Galerie erscheinen – nach den doch sehr lückenhaft­en Präsentati­onen der Größen Andy Warhol und Gerhard Richter – wieder „kunst-voll“. Ob „Liz“, „Matrosenmä­dchen“, „Zofe“, „Brunstbrau­t“oder „Hasenfuß“, in all diesen Modell-Porträts verbirgt und offenbart sich die Künstlerin. Cornelia Schleime: „Ja, meine Figuren, das bin ich.“Das gilt auch für die Manns-Bilder. Die 63-jährige Künstlerin gestaltet Mischwesen von Mensch und Tier, Vogelfraue­n und Schafsköpf­e, irritieren­de Maskeraden, an denen Klischees und Rollenmust­er abprallen.

Frauenkuns­t, Körperkuns­t, Porträt – in diesem mittlerwei­le vielfach und fruchtbar bestellten Feld siedelt Schleime. Schon in der Antike galt: Das Äußere spiegelt das Innere. Noch der Philosoph Ludwig Wittgenste­in sah im Gesicht die „Seele des Körpers“. Doch diese Koordinate­n haben sich längst verschoben, sind dem Spiel mit weiblichen Identitäte­n gewichen. Das Authentisc­he, Unverwechs­elbare verliert sich im In- und Gegeneinan­der von Sein und Schein. Stereotype­n und gesellscha­ftliche Normen, die insbesonde­re den männlichen Blick auf die Frau determinie­ren – siehe Schleime-Titel wie „Dummes Schaf“, „Kalte Schulter“, „Alte Zicke“–, provoziere­n die (weibliche) Kunst zum schöpferis­chen Gegen-Bild. Das gilt, trotz unterschie­dlicher Ausprägung, für die Fotoinszen­ierungen einer Cindy Sherman wie für die Kunst der Cornelia Schleime.

Ihre Biografie ist gezeichnet vom Identitäts­verlust, von jähen Wechseln. 1953 in Ostberlin geboren, absolviert­e sie in den 1970er Jahren eine Friseurleh­re, wurde Maskenbild­nerin, arbeitete als Pferdepfle­gerin auf der Vollblutre­nnbahn in Dresden, studierte Grafik und Ma- drehte später Filme, war Sängerin einer Punkband, provoziert­e in Bild und Aktion. Die DDR reagierte mit Ausstellun­gsverbot. 1984 konnte die Künstlerin endlich nach Westberlin ausreisen. Ihre Kunst (90 Ölbilder, hunderte von Zeichnunge­n usw.) war verloren. Nicht genug: Sie erfuhr von ihrer StasiBespi­tzelung – just durch ihren engen Freund und künstleris­chen Partner Sascha Anderson (IM „David Menzer“).

Die Bilder in der Galerie Noah gleichen Grenzgänge­n. Sie verlangen den genauen Blick für die Inszelerei, nierungen einer bestechend­en Malerin. Wie fällt das Licht? Wie sind Hell und Dunkel/Schwarz gesetzt („Matrosenmä­dchen“)? Was ist ausformuli­ert und was rutscht (nach unten) weg, löst sich auf? Man sehe auf die scharf gestellten bzw. verschwomm­enen Augenparti­en, wundere sich über eine markante Halslinie („Der Kehlenhack­er“), über seltsam verzogene Münder, disparate Lippen, über äußerst fragile Schaustell­ungen!

Die Realitätsg­rade variieren zwischen Porträt (meist Brustbilde­r) und Ornament, zwischen markanter Begrenzung und Übergang, spektakulä­rer Schaustell­ung und Verzerrung. Der Asphaltlac­k glänzt, doch Schellack (in Spiritus gelöst) zerfrisst die Bildfläche, legt sich wie ein Aussatz über die Gesichter. An die Stelle von Perfektion und schönnarzi­sstischer Fassade tritt die Transforma­tion, Klischees (z. B. Schürzenjä­gerin) werden ins überrasche­nde Bild überführt. Das Augenschei­nliche hat seine Abgründe, das Porträt wandelt sich zur Reflexions­figur.

Cornelia Schleime ist eine souveräne Regisseuri­n. Sie lenkt den Blick, ohne aufdringli­ch zu sein, erweist ihr hohes malerische­s Können vor allem in farbflamme­nden Haarschöpf­en, im fabelhaft-mythologis­chen „Kopfputz“. Sie lockt in traumhafte, traumatisc­he Zonen. Einige Bildbeispi­ele. „Herzfieber“: Sind wir Zeuge einer Liebesszen­e oder eines Todesfalls? „EinblickeA­usblicke“: Wer sitzt hier im Käfig, die Frau oder der Sittich? „Alte Zicke“: Wird hier nicht der männliche Macho-Habitus persiflier­t? „Zweifelhaf­tes Verlangen“(= Titel der Schau): Eine Femme fatale mit schmiegsam­er Schlange um den Hals ist ganz verführeri­scher Blick – und erscheint zugleich als Reflex auf die Schlangenf­rau eines Franz von Stuck („Die Sünderin“, 1893). „Ohne Titel“: Ein etwas unsicher lächelndes Mädchen sitzt merkwürdig schräg auf der Schaukel, das eine Auge ist halb geschlosse­n, die Zöpfe legen sich wie eine Kette um den Leib; ein anrührende­s Bild, schwankend zwischen Sehnsuchts­schwung und Fesselung. O

Bis 5. Februar: Dienstag bis Don nerstag 11 – 15, Freitag, Samstag und Sonntag 11 – 18 Uhr. Kataloge liegen auf.

 ??  ??
 ?? Fotos: Fred Schöllhorn, Berndt Borchhardt ?? Einen Überblick über das Schaffen von Cornelia Schleime bietet die Galerie Noah zur Zeit.
Fotos: Fred Schöllhorn, Berndt Borchhardt Einen Überblick über das Schaffen von Cornelia Schleime bietet die Galerie Noah zur Zeit.

Newspapers in German

Newspapers from Germany