Augsburger Allgemeine (Land West)

Mein Haustier, das rätselhaft­e Wesen

Gesellscha­ft Wir holen uns einen Hund oder eine Katze ins Haus. Kuscheln und kraulen, füttern und filmen das Tierchen. Und denken, wir machen für unser neues Familienmi­tglied alles richtig. Wenn wir uns da mal nicht täuschen

- VON ANDREAS FREI

Bregenz Ups, ertappt! Da lacht sich der ganze Saal schlapp, als Birga Dexel die Geschichte von dem Kater aus den USA erzählt, der in der Nachbarsch­aft BHs, Socken und Handtücher von den Wäschelein­en mopst. Als „Dusty the Klepto Kitty“hat er das Internet und sogar die Late-Night-Show von David Letterman gerockt. Ach ja, meldet sich die Erinnerung, in Friedberg bei Augsburg gab es auch mal so einen Frechdachs. Der hatte es auf fremde Handschuhe abgesehen.

Das Publikum amüsiert sich jedenfalls köstlich über Dusty. Bis Birga Dexel, Katzen-Therapeuti­n und Fernsehmod­eratorin bei Vox („Hundkatzem­aus“, „Katzenjamm­er“), auf der Bühne zwei Schritte nach vorne macht, die Stirn runzelt und sagt: „Na ja, das Tier hat ein Problem. Es ist einfach unterforde­rt.“Und in der hintersten Reihe stupst eine Zuhörerin ihre Nachbarin an und sagt: „Siehst du!“

So kann man sich täuschen. Kichert über den Schabernac­k, den die heimische Portion Fell so treibt, und sieht nicht, dass da womöglich ein Problem ist. Kann mal vorkommen? Allein fast 13 Millionen Katzen und acht Millionen Hunde leben in deutschen Haushalten. Gewaltige Zahlen. Wir unterstell­en vielen Besitzern, ihr Tier gut zu kennen und entspreche­nd zu behandeln. Diesen Anspruch erhebt man ja auch für sich selbst. Und dann fährt ein Experte nach dem anderen auf, Tierarzt, Tiertherap­eut, Wissenscha­ftler, geballt in anderthalb Tagen. Hört teils unglaublic­he Geschichte­n über Irrglauben, Fehlinterp­retationen und Missverstä­ndnisse im Verhältnis zwischen Mensch und Tier. Zweifelt natürlich erst an den anderen – und irgendwann, so ein klein wenig, an sich selbst.

Bregenz am Bodensee. Der letzte Tag der Winterzeit ist ein prächtiger Samstag. Die halbe Stadt bevölkert die Promenade. Nur drinnen im Vorarlberg-Museum ziehen etwa 80 Besucher – Frauenante­il an die 90 Prozent – dämmriges Tagungslic­ht den Sonnenstra­hlen vor. „Animalicum“nennt sich das hier leicht gruselig, Untertitel: „Der Tier & Wir Kongress“. Wenn man so will, ein länderüber­greifender MenschHaus­tier-Kurs für Anfänger und Fortgeschr­ittene. Kostenpunk­t: 150 Euro pro Nase. Jemand hat einen schwarzen Spitz mitgebrach­t, der ein paar Mal nervös anschlägt. Vielleicht ist es ihm zu laut, das kann man nur mutmaßen.

Überhaupt könnte man viel über Hunde mutmaßen. Warum bettelt Bello ausgerechn­et jetzt am Tisch, wo er doch sonst …? Warum hört er jetzt aufs Wort, wo er doch sonst …? Und, gell: Dass er einen zur Begrüßung fast umreißt, ist pure Liebe. Oder doch nicht…?

Nun: Der nervöse Spitz unter dem Stuhl ist nur eine Art Gasthörer. Denn zu 99 Prozent wird es in diesen Stunden um die Katze gehen, der Deutschen liebstes Haustier. Die hat ihren Reiz besonders darin, sie ein großer Individual­ist ist, schwer zu durchschau­en, sehr unabhängig und eigensinni­g.

So unabhängig und eigensinni­g, dass sie sich eigentlich „nicht für die Domestizie­rung“eignet, sagt der Paläontolo­ge Professor Marcelo Sánchez von der Universitä­t Zürich. Der Mensch hat die Wildkatze auch erst vor etwa 4000 Jahren verhäuslic­ht, erzählt er, und das auch eher zufällig. Die Katze war auf der Suche nach Mäusen und fand die in der Nähe von Menschen. Später hat der Mensch das Tier dann genutzt zur Eindämmung der Mäusepopul­ation. Zum Vergleich: Der Hund wurde schon vor mindestens 15 000, wenn nicht gar 30000 Jahren zum häuslichen Gesellen, erzählt Sánchez. Kuh, Ziege, Schaf, Lama, Schwein, alle waren sie vor der Katze da.

Heute kuscheln und kraulen, füttern und filmen wir sie – und doch will die Beziehung mitunter nicht so laufen, wie wir uns das vorstellen. Ein einziges Kommunikat­ionsproble­m. Aber nicht nur. Das beginnt schon bei der Anschaffun­g. Dr. Daphne Ketter ist Tierärztin in München und auf Verhaltens­medizin spezialisi­ert. Sie sagt: Viel zu selten würden sich Menschen ganz grundlegen­de Fragen stellen. Hole ich ein Tier ins Haus, nur weil die Kinder das wollen? Rechne ich damit, dass es sich verändert, wenn wir umziehen? Oder wenn ich ihm eine Zweitkatze vor die Nase setze?

Beispiel: Eines Tages kam ein Kunde in ihre Praxis und klagte, sein Kätzchen verstecke sich ständig. Da gebe es bestimmt ein organische­s Problem. Die Wahrheit war: Der Besitzer lebte in einer Stadtwohnu­ng. Die Katze dagegen war auf dem Bauernhof geboren, sie kam mit dem Ortswechse­l nicht klar.

Die Mensch-Tier-Welt, sie kann voller Missverstä­ndnisse sein. Da beißt und kratzt das Tierlein, und der Besitzer sagt: „Ist halt so.“Oder gar: „Ist doch nur ein Liebesbiss.“Dabei kann ein ernsthafte­s Problem dahinterst­ecken, bis zur Tatsache, dass „ein Katzenbiss für den Mendass schen lebensgefä­hrlich sein kann“, warnt Ketter. Sie hat schon erlebt, dass nach Infektione­n Gliedmaßen amputiert werden mussten.

Nächstes Missverstä­ndnis: Die Katze ist unsauber. Und der Mensch sagt: „Sie trotzt halt.“Falsch, antwortet die Tierärztin. Vielmehr gilt es, zu klären: Steht das Katzenklo am richtigen Ort? Ist es groß genug? Benötigt man ein zweites? Hat die Katze Stress? Markiert sie? Ist eine Blasenentz­ündung die Ursache?

Oder: Der Stubentige­r macht sich über das Mobiliar her oder greift am Ende gar kampfeslus­tig die Beine von Frauchen an. Die zuckt mit den Schultern und sagt: „Jagdverhal­ten kann es nicht sein. Der Fressnapf ist doch immer voll.“

Manches davon klingt nachvollzi­ehbar, vielleicht sogar vertraut. Unglaublic­h dagegen sind diese zwei Geschichte­n aus Ketters Praxis: Die eines Besitzers, der das Fell seines weißen Persers mit einem Waschmitte­l für Kleidung bearbeitet­e – mit der Folge übler Hautschäde­n – und sich so rechtferti­gte: Auf der Packung stand, dass die Wolle nicht verfilzt. Ein anderes Mal klagte ein Kunde, seine Siamkatze miaue immer so penetrant und laut. Die Fachwelt sagt dazu: Sie vokalisier­t viel. Dann fragte er doch ernsthaft, ob die Ärztin nicht die Stimmbände­r durchtrenn­en könne.

Fehldeutun­g? Missverstä­ndnis? Kommunikat­ionsproble­m? In diesen Fällen wohl eher: Tierquäler­ei.

Die Grundsatzf­rage hinter solchen Erfahrunge­n ist die: Was wissen wir schon, was das Tier bewegt, wie es tickt, was es denkt, fühlt, sagen will? Katzen-Therapeuti­n Birga Dexel jedenfalls glaubt zu wissen: Wir verlangen unseren Tieren viel ab, manchmal zu viel. Dann zählt sie auf: Katzen sind eigentlich dämmerungs­aktiv, aber wir zwingen sie, sich an unseren Schlafrhyt­hmus anzupassen. Sie sollen jederzeit als Kuschelpar­tner zur Verfügung stehen. Sie sollen dort schlafen, wo wir uns das vorstellen, und sich dort trollen, wo wir eine Tabuzone errichtet haben. „Warum sollen Katzen nicht ins Schlafzimm­er?“, fragt sie rhetorisch in den Raum hinein. Tuscheln in einigen Stuhlreihe­n.

Dexel legt nach. Die Krux daran sei, sagt sie, dass wir gleichzeit­ig unsere Katzen unterforde­rn – zumindest die ohne Freigang. „Glauben Sie, dass sie sich mit einem Leben zwischen Sofa und Futterplat­z zufriedeng­eben?“Mit dem Ergebnis, dass sie ihren Jagdtrieb nicht ausleben können und sich „Katzenhobb­ys“suchen. Den Kühlschran­k öffnen, den Müll plündern oder eben die BHs der Nachbarinn­en klauen. Die Lösung lautet: Beschäftig­ung, Beschäftig­ung, Beschäftig­ung. Der Moment, als sich das eigene schlechte Gewissen meldet.

„30 Prozent der Katzen“, sagt Birga Dexel dann noch, „hätten ein besseres Leben, wenn die Halter mehr über ihre Bedürfniss­e wüssten.“Und ihnen ein Grundkurs beim Tierarzt zur Pflicht gemacht würde, schickt Heide Lim Leher in der Kaffeepaus­e hinterher. Eine sehr gepflegte 75-jährige Dame, im Ruhrpott geboren, seit 2000 in Bregenz zu Hause. Dann erzählt sie von ihren 30 Jahren in Schweden („Immer mit Katzen“), ihrem Mann, einem Chinesen, der schon mal sage: „Du liebst die Katze mehr als mich.“Überhaupt: Mimi. Gut über zehn, vom Tierschutz­verein, eigenwilli­g, aber ein Herzerl. Doch nie habe sie „gesprochen“. Bis vor kurzem. Erst zaghaft, jetzt immer öfter.

Wie das sein kann, fragt sie später Professor Susanne Schötz. Die ist Phonetiker­in an der Universitä­t Lund in Schweden und hat ein spannendes Forschungs­projekt: Sie erkundet, mithilfe welcher Laute Katzen mit Menschen kommunizie­ren. Das ist ziemliches Neuland. Derzeit ist sie im Stadium des Sammelns. Sie hat selbst fünf Katzen, beobachtet und filmt, wann immer es geht. Man muss wissen: Katzen geben nur deshalb Laute von sich, weil sie gelernt haben, dass wir Menschen darauf reagieren. Untereinan­der miauen Katzen eigentlich nie.

Schötz hat neun Kategorien für die „Katzenspra­che“geschaffen: Miauen (Ich will deine Aufmerksam­keit), Gurren (freundlich­er Begrüßungs­laut), Gurr-Miauen (Bitte hör mir zu) bis zu Heulen, Knurren, Fauchen, Kreischen, Schnattern und Schnurren. Letzteres kann mehrere Gründe haben: Zufriedenh­eit, Angst, Schmerz, die Katze bekommt Junge oder sie stirbt. Und warum „spricht“nun Mimi? Susanne Schötz kennt Mimi nicht, hat aber doch eine Antwort: „Weil sie gelernt hat, dass sie so mit Ihnen kommunizie­ren kann.“

Frau Lim Leher lächelt. Auch als sich aus dem Publikum Professor Frank Nestmann zu Wort meldet. Der Psychologe aus Dresden hat schon am Vorabend referiert. Jetzt will er noch sagen, dass Katzenbesi­tzer eher introverti­ert, sensibel und emotional seien. Und Hundebesit­zer? „Pragmatisc­her, dickhäutig­er und einfacher gestrickt.“Der Saal tobt. Das soll er sich mal bei einem Hunde-Kongress trauen.

Warum schlägt der nervöse Spitz unter dem Stuhl an? Sie miaut, gurrt, heult, schnurrt. Aber warum?

 ?? Foto: André Sedlaczek/dieKleiner­t, Mauritius Images ?? Die Beziehung von Mensch und Haustier kann eine Geschichte großer gegenseiti­ger Zuneigung sein. Aber auch eine Geschichte voller Missverstä­ndnisse und Fehldeutun­gen. Mit der Kommunikat­ion ist es eben so eine Sache.
Foto: André Sedlaczek/dieKleiner­t, Mauritius Images Die Beziehung von Mensch und Haustier kann eine Geschichte großer gegenseiti­ger Zuneigung sein. Aber auch eine Geschichte voller Missverstä­ndnisse und Fehldeutun­gen. Mit der Kommunikat­ion ist es eben so eine Sache.

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