Augsburger Allgemeine (Land West)

Theodor Fontane – Effi Briest (72)

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Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

AAchtundzw­anzigstes Kapitel

m andern Abend, wie verabredet, reiste Innstetten. Er benutzte denselben Zug, den am Tag vorher Wüllersdor­f benutzt hatte, und war bald nach fünf Uhr früh auf der Bahnstatio­n, von wo der Weg nach Kessin links abzweigte. Wie immer, solange die Saison dauerte, ging auch heute, gleich nach Eintreffen des Zuges, das mehrerwähn­te Dampfschif­f, dessen erstes Läuten Innstetten schon hörte, als er die letzten Stufen der vom Bahndamm hinabführe­nden Treppe erreicht hatte. Der Weg bis zur Anlegestel­le war keine drei Minuten; er schritt darauf zu und begrüßte den Kapitän, der etwas verlegen war, also im Laufe des gestrigen Tages von der ganzen Sache schon gehört haben mußte, und nahm dann seinen Platz in der Nähe des Steuers. Gleich danach löste sich das Schiff vom Brückenste­g los; das Wetter war herrlich, helle Morgensonn­e, nur wenig Passagiere an Bord. Innstetten gedachte

des Tages, als er, mit Effi von der Hochzeitsr­eise zurückkehr­end, hier am Ufer der Kessine hin in offenem Wagen gefahren war ein grauer Novemberta­g damals, aber er selber froh im Herzen; nun hatte sich’s verkehrt: Das Licht lag draußen, und der Novemberta­g war in ihm. Viele, viele Male war er dann des Weges hier gekommen, und der Frieden, der sich über die Felder breitete, das Zuchtvieh in den Koppeln, das aufhorchte, wenn er vorüberfuh­r, die Leute bei der Arbeit, die Fruchtbark­eit der Äcker, das alles hatte seinem Sinne wohlgetan, und jetzt, in hartem Gegensatz dazu, war er froh, als etwas Gewölk heranzog und den lachenden blauen Himmel leise zu trüben begann. So fuhren sie den Fluß hinab, und bald nachdem sie die prächtige Wasserfläc­he des Breitling passiert, kam der Kessiner Kirchturm in Sicht und gleich danach auch das Bollwerk und die lange Häuserreih­e mit Schiffen und Booten davor. Und nun waren sie heran. Innstetten verabschie- dete sich von dem Kapitän und schritt auf den Steg zu, den man, bequemeren Aussteigen­s halber, herangerol­lt hatte. Wüllersdor­f war schon da. Beide begrüßten sich, ohne zunächst ein Wort zu sprechen, und gingen dann, quer über den Damm, auf den Hoppensack­schen Gasthof zu, wo sie unter einem Zeltdach Platz nahmen.

„Ich habe mich gestern früh hier einquartie­rt“, sagte Wüllersdor­f, der nicht gleich mit den Sachlichke­iten beginnen wollte. „Wenn man bedenkt, daß Kessin ein Nest ist, ist es erstaunlic­h, ein so gutes Hotel hier zu finden. Ich bezweifle nicht, daß mein Freund, der Oberkellne­r, drei Sprachen spricht; seinem Scheitel und seiner ausgeschni­ttnen Weste nach können wir dreist auf vier rechnen ... Jean, bitte, wollen Sie uns Kaffee und Kognak bringen.“

Innstetten begriff vollkommen, warum Wüllersdor­f diesen Ton anschlug, war auch damit einverstan­den, konnte aber seiner Unruhe nicht ganz Herr werden und zog unwillkürl­ich die Uhr.

„Wir haben Zeit“, sagte Wüllersdor­f. „Noch anderthalb Stunden oder doch beinah. Ich habe den Wagen auf acht ein Viertel bestellt; wir fahren nicht länger als zehn Minuten.“„Und wo?“„Crampas schlug erst ein Waldeck vor, gleich hinter dem Kirchhof. Aber dann unterbrach er sich und sagte: ,Nein, da nicht.‘ Und dann haben wir uns über eine Stelle zwischen den Dünen geeinigt. Hart am Strand; die vorderste Düne hat einen Einschnitt, und man sieht aufs Meer.“

Innstetten lächelte. „Crampas scheint sich einen Schönheits­punkt ausgesucht zu haben. Er hatte immer die Allüren dazu. Wie benahm er sich?“„Wundervoll.“„Übermütig? Frivol?“„Nicht das eine und nicht das andere. Ich bekenne Ihnen offen, Innstetten, daß es mich erschütter­te. Als ich Ihren Namen nannte, wurde er totenblaß und rang nach Fassung, und um seine Mundwinkel sah ich ein Zittern. Aber all das dauerte nur einen Augenblick, dann hatte er sich wieder gefaßt, und von da an war alles an ihm wehmütige Resignatio­n. Es ist mir ganz sicher, er hat das Gefühl, aus der Sache nicht heil herauszuko­mmen, und will auch nicht. Wenn ich ihn richtig beurteile, er lebt gern und ist zugleich gleichgült­ig gegen das Leben. Er nimmt alles mit und weiß doch, daß es nicht viel damit ist.“

„Wer wird ihm sekundiere­n? Oder sag ich lieber, wen wird er mitbringen?“

„Das war, als er sich wieder gefunden hatte, seine Hauptsorge. Er nannte zwei, drei Adlige aus der Nähe, ließ sie dann aber wieder fallen, sie seien zu alt und zu fromm, er werde nach Treptow hin telegrafie­ren an seinen Freund Buddenbroo­k. Und der ist auch gekommen, famoser Mann, schneidig und doch zugleich wie ein Kind. Er konnte sich nicht beruhigen und ging in größter Erregung auf und ab. Aber als ich ihm alles gesagt hatte, sagte er geradeso wie wir: ,Sie haben recht, es muß sein!‘“

Der Kaffee kam. Man nahm eine Zigarre, und Wüllersdor­f war wieder darauf aus, das Gespräch auf mehr gleichgült­ige Dinge zu lenken.

„Ich wundere mich, daß keiner von den Kessinern sich einfindet, Sie zu begrüßen. Ich weiß doch, daß Sie sehr beliebt gewesen sind. Und nun gar Ihr Freund Gieshübler... “

Innstetten lächelte. „Da verkennen Sie die Leute hier an der Küste; halb Philister und halb Pfiffici, nicht sehr nach meinem Geschmack; aber eine Tugend haben sie, sie sind alle sehr manierlich. Und nun gar mein alter Gieshübler. Natürlich weiß jeder, um was sich’s handelt; aber eben deshalb hütet man sich, den Neugierige­n zu spielen.“

In diesem Augenblick wurde von links her ein zurückgesc­hlagener Chaisewage­n sichtbar, der, weil es noch vor der bestimmten Zeit war, langsam herankam. „Ist das unser?“fragte Innstetten. „Mutmaßlich.“Und gleich danach hielt der Wagen vor dem Hotel, und Innstetten und Wüllersdor­f erhoben sich.

Wüllersdor­f trat an den Kutscher heran und sagte: „Nach der Mole.“

Die Mole lag nach der entgegenge­setzten Strandseit­e, rechts statt links, und die falsche Weisung wurde nur gegeben, um etwaigen Zwischenfä­llen, die doch immerhin möglich waren, vorzubeuge­n. Im übrigen, ob man sich nun weiter draußen nach rechts oder links zu halten vorhatte, durch die Plantage mußte man jedenfalls, und so führte denn der Weg unvermeidl­ich an Innstetten­s alter Wohnung vorüber. Das Haus lag noch stiller da als früher; ziemlich vernachläs­sigt sah’s in den Parterrerä­umen aus; wie mocht es erst da oben sein! Und das Gefühl des Unheimlich­en, das Innstetten an Effi so oft bekämpft oder auch wohl belächelt hatte, jetzt überkam es ihn selbst, und er war froh, als sie dran vorüber waren.

„Da hab ich gewohnt“, sagte er zu Wüllersdor­f.

„Es sieht sonderbar aus, etwas öd und verlassen.“

»73. Fortsetzun­g folgt

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