Augsburger Allgemeine (Land West)
Der verrückte Hutmacher steppt wie Fred Astaire
Ballett Christopher Wheeldons „Alice im Wunderland“als opulente und einfallsreiche Bühnenshow in München
Es ist eine groteske Welt, die ihren eigenen Regeln folgt: Zeit und Raum sind außer Kraft gesetzt; die Grenzen zwischen Sinn und Unsinn verwischen, und kuriose Figuren bevölkern eine absurde Landschaft, jenes Wunderland, das der englische Schriftsteller Lewis Caroll 1864 für seinen Roman „Alice im Wunderland“ersann. Ein dankbarer Stoff für die Visualisierung, in Kunst, Film und Theater schon vielfach aufgegriffen. Der englische Choreograf Christopher Wheeldon machte daraus 2011 für das Royal Ballet London ein abendfüllendes Ballett, das nun im Nationaltheater eine euphorisch bejubelte Premiere erlebte.
In neoklassischem Stil choreografiert, erinnert der Abend allerdings eher an Broadway-Musicals denn an klassische Handlungsballette. Viele knallbunte Kostüme, detailreiche Bühnenbilder (Ausstattung Bob Crowley), rasante Szenenwechsel und Musik, die sich wie ein Soundtrack anhört (Joby Talbot), machen Wheeldons „Alice“zur opulenten Bühnenshow. Das Abgründige der Romanvorlage geht darin zwar verloren, doch erzählt Wheeldon schlüssig und mit viel Witz die Geschichte eines jungen Mädchens, das sich dem strengen Reglement eines großbürgerlichen Haushalts entzieht und lernt, sich selbst zu behaupten. Wheeldon verwebt den Stoff Carolls – die episodenhafte Reise durch eine verrückte Traum- welt – mit einer Rahmenhandlung, die in viktorianischer Zeit beginnt und in der Gegenwart endet.
Einfallsreich und ironisch setzt er die bekannten Figuren in Szene: allen voran die grausame Herzkönigin (Séverine Ferrolier), die in einer köstlichen Parodie zum Rosen-Adagio aus Dornröschen auftritt. Furios wie Fred Astaire steppt der verrückte Hutmacher (Jonah Cook), und die Raupe (Henry Grey) schlängelt sich hingebungsvoll als orientalischer Radscha. Jede der Figuren hat ihren eigenen Stil. Bezaubernd in ihrer Neugierde und ihrem Staunen tanzt sich Maria Shirinkina als Alice federleicht von Episode zu Episode, bis sie schließlich mit ihrem Herzbuben (Vladimir Shyklyarov) aus dem Traum erwacht.