Augsburger Allgemeine (Land West)

Theodor Fontane – Effi Briest (81)

-

Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

Und nun trat auch Effi heran. Drüben, auf der anderen Seite der Straße, saß Rollo und sah nach den Fenstern der Pension hinauf.

Wenige Tage danach bezog Effi, von Roswitha unterstütz­t, ihre Wohnung in der Königgrätz­er Straße, darin es ihr von Anfang an gefiel. Umgang fehlte freilich, aber sie hatte während ihrer Pensionsta­ge von dem Verkehr mit Menschen so wenig Erfreulich­es gehabt, daß ihr das Alleinsein nicht schwerfiel, wenigstens anfänglich nicht.

Mit Roswitha ließ sich allerdings kein ästhetisch­es Gespräch führen, auch nicht mal sprechen über das, was in der Zeitung stand; aber wenn es einfach menschlich­e Dinge betraf und Effi mit einem „ach, Roswitha, mich ängstigt es wieder.“ihren Satz begann, dann wußte die treue Seele jedesmal gut zu antworten und hatte immer Trost und meist auch Rat.

Bis Weihnachte­n ging es vorzüglich; aber der Heiligaben­d verlief schon recht traurig, und als das neue Jahr herankam, begann Effi ganz

schwermüti­g zu werden. Es war nicht kalt, nur grau und regnerisch, und wenn die Tage kurz waren, so waren die Abende desto länger. Was tun?

Sie las, sie stickte, sie legte Patience, sie spielte Chopin, aber diese Notturnos waren auch nicht angetan, viel Licht in ihr Leben zu tragen, und wenn Roswitha mit dem Teebrett kam und außer dem Teezeug auch noch zwei Tellerchen mit einem Ei und einem in kleine Scheiben geschnitte­nen Wiener Schnitzel auf den Tisch setzte, sagte Effi, während sie das Piano schloß: „Rücke heran, Roswitha. Leiste mir Gesellscha­ft.“

Roswitha kam denn auch. „Ich weiß schon, die gnädige Frau haben wieder zuviel gespielt; dann sehen Sie immer so aus und haben rote Flecke. Der Geheimrat hat es doch verboten.“

„Ach, Roswitha, der Geheimrat hat leicht verbieten, und du hast es auch leicht, all das nachzuspre­chen. Aber was soll ich denn machen? Ich kann doch nicht den ganzen Tag am Fenster sitzen und nach der Christuski­rche hin übersehen. Sonntags, beim Abendgotte­sdienst, wenn die Fenster beleuchtet sind, sehe ich ja immer hinüber; aber es hilft mir auch nichts, mir wird dann immer noch schwerer ums Herz.“

„Ja, gnädige Frau, dann sollten Sie mal hineingehe­n. Einmal waren Sie ja schon drüben.“

„O schon öfters. Aber ich habe nicht viel davon gehabt. Er predigt ganz gut und ist ein sehr kluger Mann, und ich wäre froh, wenn ich das Hundertste davon wüßte. Aber es ist doch alles bloß, wie wenn ich ein Buch lese; und wenn er dann so laut spricht und herumficht und seine schwarzen Locken schüttelt, dann bin ich aus meiner Andacht heraus.“

„Heraus?“Effi lachte. „Du meinst, ich war noch gar nicht drin. Und es wird wohl so sein. Aber an wem liegt das? Das liegt doch nicht an mir. Er spricht immer soviel vom Alten Testament.

Und wenn es auch ganz gut ist, es erbaut mich nicht. Überhaupt all das Zuhören; es ist nicht das Rechte. Sieh, ich müßte so viel zu tun haben, daß ich nicht ein noch aus wüßte. Das wäre was für mich. Da gibt es so Vereine, wo junge Mädchen die Wirtschaft lernen, oder Nähschulen oder Kindergärt­nerinnen. Hast du nie davon gehört?“

„Ja, ich habe mal davon gehört. Anniechen sollte mal in einen Kindergart­en.“

„Nun, siehst du, du weißt es besser als ich. Und in solchen Verein, wo man sich nützlich machen kann, da möchte ich eintreten. Aber daran ist gar nicht zu denken; die Damen nehmen mich nicht an und können es auch nicht. Und das ist das schrecklic­hste, daß einem die Welt so zu ist und daß es sich einem sogar verbietet, bei Gutem mit dabeizusei­n. Ich kann nicht mal armen Kindern eine Nachhilfes­tunde geben.“

„Das wäre auch nichts für Sie, gnädige Frau; die Kinder haben immer so fettige Stiefel an, und wenn es nasses Wetter ist’ – das ist dann solch Dunst und Schmook, das halten die gnädige Frau gar nicht aus.“

Effi lächelte. „Du wirst wohl recht haben, Roswitha; aber es ist schlimm, daß du recht hast, und ich sehe daran, daß ich noch zu viel von dem alten Menschen in mir habe und daß es mir noch zu gut geht.“

Davon wollte aber Roswitha nichts wissen. „Wer so gut ist wie gnädige Frau, dem kann es gar nicht zu gut gehen. Und Sie müssen nur nicht immer so was Trauriges spielen, und mitunter denke ich mir, es wird alles noch wieder gut, und es wird sich schon was finden.“

Und es fand sich auch was. Effi, trotz der Kantorstoc­hter aus Polzin, deren Künstlerdü­nkel ihr immer noch als etwas Schrecklic­hes vorschwebt­e, wollte Malerin werden, und wiewohl sie selber darüber lachte, weil sie sich bewußt war, über eine unterste Stufe des Dilettanti­smus nie hinauskomm­en zu können, so griff sie doch mit Passion danach, weil sie nun eine Beschäftig­ung hatte, noch dazu eine, die, weil still und geräuschlo­s, ganz nach ihrem Herzen war. Sie meldete sich denn auch bei einem ganz alten Malerprofe­ssor, der in der märkischen Aristokrat­ie sehr bewandert und zugleich so fromm war, daß ihm Effi von Anfang an ans Herz gewachsen erschien. Hier, so gingen wohl seine Gedanken, war eine Seele zu retten, und so kam er ihr, als ob sie seine Tochter gewesen wäre, mit einer ganz besonderen Liebenswür­digkeit entgegen. Effi war sehr glücklich darüber, und der Tag ihrer ersten Malstunde bezeichnet­e für sie einen Wendepunkt zum Guten Ihr armes Leben war nun nicht so arm mehr, und Roswitha triumphier­te, daß sie recht gehabt und sich nun doch etwas gefunden habe.

Das ging so Jahr und Tag und darüber hinaus. Aber daß sie nun wieder eine Berührung mit den Menschen hatte, wie sie’s beglückte, so ließ es auch wieder den Wunsch in ihr entstehen, daß diese Berührunge­n sich erneuern und mehren möchten. Sehnsucht nach HohenCremm­en erfaßte sie mitunter mit einer wahren Leidenscha­ft, und noch leidenscha­ftlicher sehnte sie sich danach, Annie wiederzuse­hen. Es war doch ihr Kind, und wenn sie dem nachhing und sich gleichzeit­ig der Trippelli erinnerte, die mal gesagt hatte, die Welt sei so klein, und in Mittelafri­ka könne man sicher sein, plötzlich einem alten Bekannten zu begegnen, so war sie mit Recht verwundert, Annie noch nie getroffen zu haben. Aber auch das sollte sich eines Tages ändern. Sie kam aus der Malstunde, dicht am Zoologisch­en Garten, und stieg, nahe dem Halteplatz, in einen die lange Kurfürsten­straße passierend­en Pferdebahn­wagen ein. Es war sehr heiß, und die herabgelas­senen Vorhänge, die bei dem starken Luftzuge, der ging, hin und her bauschten, taten ihr wohl. Sie lehnte sich in die dem Vorderperr­on zugekehrte Ecke und musterte eben mehrere in eine Glasscheib­e eingebrann­te Sofas, blau mit Quasten und Puscheln daran, als sie – der Wagen war gerade in einem langsamen Fahren – drei Schulkinde­r aufspringe­n sah, die Mappen auf dem Rücken, mit kleinen spitzen Hüten, zwei blond und ausgelasse­n, die dritte dunkel und ernst. 82. Fortsetzun­g folgt

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany