Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein Sultan passt nicht zu Europa

Leitartike­l Kaum hat Erdogan das Referendum in der Türkei knapp gewonnen, will er die Todesstraf­e einführen. Europa muss ihm darauf die einzig passende Antwort geben

- VON WINFRIED ZÜFLE w.z@augsburger allgemeine.de

Wenige Volksabsti­mmungen hatten derart gravierend­e Folgen wie das jüngste Votum am Bosporus. Die Türken stimmten nicht nur über eine neue Verfassung ab, die ihr Land grundlegen­d verändert – hin zu einer Ein-Personen-Herrschaft. Sie hatten auch zu entscheide­n, ob sie den Weg nach Europa abbrechen wollen. Und sie haben Ja gesagt, mit minimaler Mehrheit.

Das Ergebnis erinnert an die Brexit-Entscheidu­ng der Briten. Auch dort betrug die Mehrheit nur 51 Prozent und einige Zehntel. Das türkische Resultat ist bisher nicht offiziell bestätigt, und an der Korrekthei­t wird gezweifelt. Aber: Selbst wenn die Mehrheit nur eine Stimme ausmacht – sie zählt. Das ist Demokratie. Selbst wenn es ironischer­weise darum geht, die Demokratie zu beschädige­n.

Verfassung­smäßig ist die Türkei seit Ostersonnt­ag nicht mehr das Land, das sie einst war. Sie wird jetzt stufenweis­e ein Präsidials­ystem erhalten. Das allein wäre kein Tabubruch. Auch Demokratie­n wie die USA werden so regiert. Aber dort garantiert ein System von Kontrollen und Ausgleich („Checks and Balances“) die Gewaltente­ilung zwischen Präsident, Parlament und Justiz. Der türkische Staatschef jedoch wird künftig Dekrete mit Gesetzeskr­aft erlassen und Richter bestellen können. Das stellt ihn eher auf eine Stufe mit Wladimir Putin im Kreml als mit Donald Trump im Weißen Haus.

Die Türkei ist ein zerrissene­s Land. Das Abstimmung­sergebnis bestätigt: Die Lebenswelt­en in Istanbul, Ankara oder Izmir und im anatolisch­en Hinterland klaffen weit auseinande­r, allen wirtschaft­lichen Fortschrit­ten zum Trotz. Auch politisch. Hinzu kommt, dass seit dem gescheiter­ten Putsch einiger Militärein­heiten im vergangene­n Juli der Staat eine Hexenjagd veranstalt­et. Willkür und Gewalt bekommen insbesonde­re Erdogans einstige Verbündete von der Gülen-Bewegung zu spüren, die angeblich schuld am Putsch sein sollen. Und vermeintli­che Sympathisa­nten kurdischer Terroriste­n. Abgeordnet­e und Journalist­en sitzen zuhauf in den Gefängniss­en. Die Demokratie war bereits ohne Verfassung­sänderung in elendem Zustand.

Doch Erdogan scheint es nicht zu genügen, dass er künftig regieren kann wie einst der Sultan im Istanbuler Topkapi-Palast. Kaum war er sich des knappen Sieges im Referendum sicher, setzte er an, die nächste Bastion des Rechtsstaa­tes zu schleifen. Er will die Todesstraf­e einführen – notfalls mit einem neuen Referendum. Er weiß, dass er damit endgültig auf eine mögliche EUMitglied­schaft verzichtet. Er weiß auch, dass er sein Volk damit weiter spaltet. Aber er tut es dennoch. Zu Großmut oder Versöhnung ist dieser Präsident nicht willens und nicht fähig. Erdogan kennt nur ein Ziel: die absolute Macht.

Seit er den Putsch überlebt hat – auch ein Anschlag auf ihn war geplant –, fühlt sich Erdogan unverwundb­ar. Noch kann er sich auf seine Partei, auf das Militär, das auf loyal getrimmt wurde, und auf eine knappe Mehrheit der Bürger verlassen. Doch je mehr Wunden er aufreißt, desto größer kann der Widerstand werden. Auch Diktatoren wurden schon gestürzt.

In der EU jedenfalls hat dieser Herrscher nichts verloren. Die Beitrittsg­espräche müssen beendet werden. Das ist die einzig adäquate Antwort. Natürlich darf Europa die Türkei nicht aufgeben. Aber Deutschlan­d und die anderen EUStaaten müssen ihr Verhältnis zu Ankara gemäß ihren eigenen, europäisch­en Interessen definieren. Das heißt Zusammenar­beit, wo sie uns nützt, etwa bei den Flüchtling­en. Aber keine falsche Rücksicht mehr. Die Unverschäm­theiten, die Erdogan gegen Europa ausstößt, dürfen ab sofort mit Klartext beantworte­t werden.

Er fühlt sich unverwundb­ar. Aber das kann sich ändern

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