Augsburger Allgemeine (Land West)
Ob Fahrer jetzt noch einen Diesel kaufen sollen
Markt Die Dieselaffäre verunsichert viele. Darf ich mit meinem Auto bald nicht mehr in die Innenstadt? Was ist mein Auto überhaupt noch wert? Wir zeigen, wie sich der Skandal bisher auf den Restwert der Gebrauchtwagen auswirkt und ob der Kauf eines Diesel
Augsburg
Der Diesel begeisterte über Jahre viele deutsche Autofahrer. Dieselautos fahren sparsam, die Kosten an der Tankstelle sind niedrig. Dass rote und gelbe FeinstaubPlaketten alte Fahrzeuge aus den Innenstädten aussperrten, ließ nur kurze Zeit Zweifel aufkommen. Feinstaubfilter lösten das Problem. Nun steht der Diesel aber wieder massiv in der Kritik. Auslöser war der VW-Abgas-Skandal. Das Thema heute sind Stickoxide. Was bedeutet das für die Fahrer der rund 15 Millionen Dieselautos in Deutschland? Was ist ihr Auto noch wert? Soll man sich noch einen Diesel kaufen? Dies klären wir zusammen mit Fachleuten.
Drohen Dieselfahrern Fahrverbote?
Zeitweise Fahrverbote für Dieselautos kann es bald in Stuttgart geben. Dort gelten ab 2018 verschärfte Regeln. Dieselautos, die nicht der neuen Schadstoffklasse Euro 6 genügen, dürfen dann bei Feinstaubalarm nicht mehr in allen Stadtgebieten genutzt werden, berichtet der ADAC Württemberg. Das Problem aktueller Dieselautos ist aber weniger Feinstaub, sondern Stickoxid. Die Dieselfahrzeuge, die heute in der Breite auf unseren Straßen fahren, haben dieses Problem, berichtet ein ADAC-Sprecher. Fachleute schließen deswegen Fahrverbote für bestimmte Dieselautos nicht aus.
Kommt die blaue Umweltplakette also doch noch, sodass man nicht mehr in Innenstädte fahren kann?
Die Einführung einer blauen Umweltplakette, ohne die ältere Dieselautos nicht mehr in die Innenstadt kämen, war ein Vorstoß aus dem Umweltministerium von Barbara Hendricks. Vorerst liegen die Pläne auf Eis, das muss aber nichts heißen. „Die Einführung einer blauen Plakette ist nicht auszuschließen“, be- richtet der ADAC, der sich gegen die blaue Plakette ausspricht, in einem Positionspapier. „Fahrverbote für Diesel-Pkw der Abgasstufe Euro 5 sind in einigen Jahren zu erwarten.“Aktuell ist die Euro-6-Norm Stand der Technik. Wer aber vor rund eineinhalb Jahren einen Diesel kaufte, erwarb mit großer Wahrscheinlichkeit noch ein Auto mit Euro5-Norm. Professor Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen hält Maßnahmen wie die blaue Plakette für wahrscheinlich: „Die Politiker müssen etwas machen – womöglich ist das die blaue Plakette“, sagte er unserer Zeitung. Der Grund ist, dass die noch nicht festzustellen. Im April wurden dem Kraftfahrtbundesamt zufolge aber weniger Diesel verkauft als im März und auch weniger als im April 2016. „Da sind auch saisonale Schwankungen dabei, aber man spürt schon eine leichte Kaufzurückhaltung“, berichtet Martin Endlein von der Deutschen Automobil Treuhand.
Wie entwickelt sich der Neuwagenmarkt?
Hier ist die Dieseldebatte deutlicher spürbar als bei den Gebrauchtwagen. Einer Untersuchung des Center Automotive Research an der Universität Duisburg-Essen zufolge betrug der Anteil an Dieselfahrzeugen bei Privatkäufern im April nur noch 23,8 Prozent. Das sei der niedrigste Wert seit dem Auslaufen der Abwrackprämie.
Aber mit dem Kauf eines Diesels der neuesten Euro-6-Norm bin ich doch auf der sicheren Seite, oder?
Nein, dies täuscht, warnt Autoexperte Dudenhöffer. „Selbst die heute und in den kommenden Jahren neu verkauften Diesel-Pkw müssen in wenigen Jahren mit Fahrverboten in Innenstädten rechnen“, heißt es auch in einem ADAC-Papier an die Mitglieder. Die Euro-6-Norm bedeutet, dass die Autos zwar nach allen gesetzlichen Vorgaben zugelassen seien, erklärt Dudenhöffer. Es gibt aber „zu viele Löcher“, die es erlauben, die Abgasreinigung zurückzufahren, wenn man nicht im Testzyklus fährt. „Dies führt dazu, dass bei Renault oder Fiat der bis zu 16-fache Wert an Stickoxiden vorkommt, als eigentlich erlaubt ist“, sagt Dudenhöffer. Auch der ADAC warnt davor, sich auf die Euro6-Norm zu verlassen. Im ADACTestzentrum in Landsberg sind Fahrzeuge geprüft worden. Das Ergebnis war, dass selbst derzeit verfügbare Euro-6-Diesel hohe Schadstoffwerte aufweisen. „Die Problematik liegt darin, dass viele Fahrzeuge zwar im Typgenehmigungszyklus den geforderten Grenzwert einhalten, im realen Fahrbetrieb aber deutlich höhere StickoxidEmissionen aufweisen“, sagt ADAC-Experte Kolke. Im strengeren ADAC-EcoTest schneiden derzeit nur zwei Diesel-Modelle als empfehlenswert ab – der Mercedes E220 d 9G-Tronic und der BMW 118d Urban Line Steptronic.
Trifft dies nur VW oder auch andere Marken?
Volkswagen ist nach Ansicht Dudenhöffers bei neuen Dieseln „inzwischen eher ein weißes Schaf in einer Herde von schwarzen Schafen“. berichtet ein ADAC–Sprecher. „Bis zur flächendeckenden Markteinführung solcher Nachrüstlösungen kann es aber noch dauern“, sagt er. Zudem müsse die Industrie klären, ob Nachrüstlösungen für alle Fahrzeugtypen möglich sind. Neben dem Katalysator sind dem ADAC zufolge auch SoftwareUpdates denkbar, sie seien aber nicht ganz so effektiv. Über Software-Updates könnten StickoxidEmissionen im realen Betrieb um immerhin bis zu 60 Prozent reduziert werden. Der Klub fordert, dass Nachrüstlösungen dem Verbraucher nichts kosten.
Jetzt noch einen Diesel kaufen? Was empfehlen Fachleute?
Wer auf dem Land wohnt, meint Ferdinand Dudenhöffer, für den kann der Diesel weiter eine Option sein. „Wenn Sie aber in einer Stadt wie München oder Stuttgart unterwegs sind, sollten Sie genau überlegen, ob Sie wirklich einen Diesel kaufen – ich würde eher abraten“, sagt er. Wegen der drohenden Fahrverbote, des Risikos sinkender Gebrauchtwagenwerte – „und vielleicht auch wegen Ihres Gewissens gegenüber den Mitmenschen“.
Welche Tipps gibt es für DieselNeuwagenkäufer?
Der ADAC rät Neuwagenkäufern, auf die neue Norm „Euro 6d“zu achten. Diese Fahrzeuge haben auch im realen Fahrbetrieb bewiesen, dass sie die Abgaswerte einhalten. Problem: „Diese Fahrzeuge kommen erst in nächster Zeit auf den Markt“, sagt ein ADAC-Sprecher. Dudenhöffer rät zudem, einen neuen Diesel über Leasing anzuschaffen. Er empfiehlt ein sogenanntes „Kilometer-Leasing“. Dann trage die Bank das Risiko eines sinkenden Restwerts. „Wenn es dann Einbrüche am Gebrauchtwagenmarkt gibt, gebe ich mein Auto zurück und muss nichts draufbezahlen“, sagt Dudenhöffer.