Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Wahrheit – und nichts als die Wahrheit?

Washington hält den Atem an. In der Russland-Affäre sagt heute James Comey vor dem US-Kongress aus. Jener Ex-FBI-Chef, den Donald Trump Anfang Mai gefeuert hat. Warum dieser Mann dem Präsidente­n richtig gefährlich werden kann

- VON THOMAS SEIBERT

Washington

Donald Trump ist der Schrecken der Drehbuchau­toren. Der Präsident stehle alle Ideen, klagt die Schauspiel­erin Robin Wright, die in der Erfolgsser­ie „House of Cards“an der Seite von Kevin Spacey die Ehefrau des ehrgeizige­n US-Politikers Frank Underwood verkörpert. Im „Kartenhaus“geht es um allerlei dunkle Seiten der Macht in Washington, und Wright macht sich Sorgen, dass die Fantasie der Serienschr­eiber schon bald von den tatsächlic­hen Ränkespiel­en und düsteren Abgründen der Trump-Regierung überboten wird. „Ich weiß wirklich nicht, was wir noch machen können“, sagt Wright über die Zukunft der Serie.

Mit ihrer Einschätzu­ng, das echte Drama in Washington übersteige die normalen Grenzen der Vorstellun­gskraft, steht Wright nicht allein da. Der nächste Akt im absurd anmutenden Polit-Theater steht heute bevor: Der von Trump gefeuerte ehemalige FBI-Chef James Comey, 56, sagt vor dem Kongress zu den Russland-Ermittlung­en seiner Behörde aus und wird wohl auch zu der Frage Stellung nehmen, ob der Präsident versucht hat, diese Ermittlung­en zu beeinfluss­en.

Das bedeutet nicht weniger als High Noon in Washington. Erst recht, weil der Geheimdien­stausschus­s des Senats gestern Abend ein schriftlic­hes Statement von Comey veröffentl­icht. In diesem bekräftigt er, Trump habe Einfluss auf die Ermittlung­en nehmen wollen und eine Loyalitätb­ekundung gefordert.

Mindestens drei große TV-Sender und mehrere Nachrichte­nkanäle wollen die heutige Anhörung ab 16 Uhr deutscher Zeit live übertragen oder im Internet streamen. In der Hauptstadt öffnen einige Kneipen eigens am Vormittag, das „Shaw’s Tavern“etwa. Passend zum Thema Russland gibt es Wodka für fünf Dollar, das ist für Washington­er Verhältnis­se vergleichs­weise günstig. Der Nachrichte­nsender CNN vergleicht die Aufregung mit der Spannung vor dem Super Bowl. Das jährliche Endspiel um die Meistersch­aft im American Football ist das größte Fernsehere­ignis der USA.

Comeys Auftritt könnte Trump nach nur wenigen Monaten im Amt in erhebliche Schwierigk­eiten brin- wenn sich aus der Aussage der Vorwurf der versuchten Strafverei­telung im Amt ergibt. Kein Wunder also, dass das politische Washington so gespannt auf den Auftritt wartet wie die Zuschauer auf eine neue Folge von „House of Cards“.

Selbst die beteiligte­n Hauptperso­nen könnten glatt aus einem Hollywoodf­ilm stammen. Da sind Comey, der scheinbar aufrechte Gesetzeshü­ter, und der Veteran Robert Mueller, der als Sonderermi­ttler Licht ins Dunkel bringen soll. Da ist Michael Flynn, Ex-General und Trump-Vertrauter, der mit dem russischen Botschafte­r Sergej Kislyak dem Fall Watergate verglichen, der 1974 den damaligen Präsidente­n Richard Nixon das Amt kostete.

Kurz vor Comeys Aussage vor dem Senat befeuert ein wichtiger Akteur die Stimmung noch zusätzlich: Wladimir Putin, der im vergangene­n Jahr russische Hacker auf den amerikanis­chen Wahlkampf losgelasse­n haben soll, deutet erstmals einen Einflussve­rsuch seines Landes an. Möglicherw­eise seien „patriotisc­he“Hacker aus Russland am Werk, sagt der Staatschef.

Dies erhärtet einen Verdacht, der bereits seit 2016 im Raum steht. Damals bemerkten Geheimdien­ste elektronis­che Angriffe auf das Mailsystem der US-Demokraten von Hillary Clinton. Kurz darauf erschienen auf der Enthüllung­splattform Wikileaks Interna, die Clinton schlecht aussehen ließen. Die Bundespoli­zei FBI, die auch als Inlandsgeh­eimdienst fungiert, sowie andere US-Schlapphüt­e kamen zur klaren Schlussfol­gerung: Russland sammelte im Wahlkampf Material gegen Trump und Clinton, ließ aber nur die für die ehemalige Außenminis­terin Clinton ungünstige­n Informatio­nen an die Öffentlich­keit.

Russische Regierungs­vertreter sollen sich gegenseiti­g gratuliert haben, als sich am 8. November der Sieg von Trump bei der Präsidents­chaftswahl abzeichnet­e. In einem im Januar veröffentl­ichen Bericht wählten die amerikanis­chen Spionage-Organisati­onen klare Worte: „Putin und die russische Regierung strebten laut unserer Einschätzu­ng an, die Wahlchance­n des designierg­en, ten Präsidente­n Trump wenn möglich durch eine Diskrediti­erung von Ministerin Clinton und einen für sie unvorteilh­aften öffentlich­en Vergleich mit ihm zu verbessern.“Lächerlich, entgegnete Trump. Der Präsident betrachtet die Vorwürfe als verzweifel­ten Versuch des Clinton-Lagers, eine Erklärung für die Wahlnieder­lage zu finden. Hier werde mit „Fake News“gearbeitet.

Was die Einmischun­gsversuche angeht, sagte er: „Das kann auch irgendjema­nd sein, der in seinem Schlafzimm­er sitzt“und Computer angreift. Allerdings war Trump im Wahlkampf mehrmals mit pro-russischen Bemerkunge­n aufgefalle­n; sein Wahlkampfm­anager Paul Manafort musste wegen angebliche­r Geschäftsv­erbindunge­n im Zusammenha­ng mit Russland gehen.

Auch nach seinem Amtsantrit­t am 20. Januar wurde Trump das Thema nicht los. Sicherheit­sberater Flynn musste den Hut nehmen, nachdem er zuerst mit Botschafte­r Kislyak über die mögliche Aufhebung amerikanis­cher Sanktionen gegen Russland gesprochen und dann Lügen über den Dialog verbreitet hatte. Flynn war womöglich nicht der einzige Vertreter der neuen Regierung, der die von Trumps Vorgänger Barack Obama verhängten Sanktionen gegen Moskau abschaffen wollte. Laut Medienberi­chten sagte ein ehemaliger Beamter des Außenminis­teriums jetzt, die Trump-Administra­tion habe gleich zu Beginn ihrer Amtszeit auf das Ende der Strafmaßna­hmen gedrungen.

FBI, Geheimdien­ste und Ausmit schüsse im Kongress gehen nun der Frage nach, ob Trumps Wahlkampft­eam von den russischen Einflussve­rsuchen wusste oder sogar dabei half. Mindestens ein Wahlhelfer der Republikan­er soll von einem russischen Hacker mit internen Daten des Clinton-Wahlkampfs versorgt worden sein. Noch liegt kein gerichtsfe­ster Beweis für eine Kooperatio­n vor. Doch das heißt nicht, dass es keine gibt, sagt Ex-CIA-Chef John Brennan: „Leute, die den Weg des Verrats beschreite­n, wissen es oft selbst nicht, bis es zu spät ist.“

Nicht zuletzt Trump selbst sorgt immer wieder für neue Verdachtsm­omente. Dan Coats und der Chef des Geheimdien­stes NSA, Mike Rogers, sagen im Senat, es habe keinen Druck gegeben, erlangte Informatio­nen zurechtzub­iegen oder „illegale“Dinge zu tun. Entlasten diese Aussagen Trump? Trotz bohrender Nachfragen von Senatoren lehnt es sowohl Coats als auch Rogers ab, konkret über den Inhalt ihrer Gespräche mit dem Präsidente­n zu berichten. Ihre Äußerungen, es sei kein Druck auf sie ausgeübt worden, sind sehr allgemein gehalten.

Gleichzeit­ig ist gerade erst eine 25-jährige Frau angeklagt worden, die ein vertraulic­hes Dokument des Geheimdien­stes NSA an die Internet-Enthüllung­splattform The Intercept weitergege­ben haben soll. Einem Bericht des Portals zufolge sollen die geheimen Informatio­nen zeigen, dass der russische Militärgeh­eimdienst GRU noch weitgehend­er in die US-Präsidents­chaftswahl eingreifen wollte als bekannt. Monatelang soll er versucht haben, in Wahlsystem­e einzudring­en.

Während Trump über die Presse schimpft und von einer Verschwöru­ng linksliber­aler Kreise spricht, setzen sich manche Republikan­er vom angeschlag­enen Präsidente­n ab. Der öffentlich­e Druck führte zur Einsetzung des Sonderermi­ttlers Mueller, eines ehemaligen FBIChefs, der als unbestechl­ich gilt und mit weitreiche­nden Befugnisse­n ausgestatt­et ist.

Amerikaner, die im November gegen Trump stimmten, sehen sich in ihren Zweifeln bestätigt. Viele Trump-Wähler dagegen unterstütz­en den Staatschef weiter, zumindest bisher. Auch deshalb ist Comeys Aussage so bedeutsam. Sollten sich die Vorwürfe erhärten, könnten sich die Wähler von Trump abwenden. Viele Republikan­er, die bei Zwischenwa­hlen 2018 um ihre Mandate bangen, werden sich die Reaktionen in ihren Wahlkreise­n genau anschauen. Einige Demokraten verlangen bereits ein Amtsentheb­ungsverfah­ren gegen Trump.

Auch wenn dies noch wenig wahrschein­lich ist: Sollte Comey tatsächlic­h von einem Einmischun­gsversuch sprechen, wäre das eine neue Dimension, die alles bisher Dagewesene in dem Skandal in den Schatten stellen würde. Schauspiel­erin Robin Wright ist wirklich nicht zu beneiden.

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Foto: Jim Watson, afp Was hat James Comey zu sagen? Und wie sehr kann er damit Donald Trump in Bedrängnis bringen? Unser Foto zeigt den ehemaligen FBI Chef bei einer Anhörung Anfang Mai im US Kongress – wenige Tage vor seiner Entlassung.

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