Augsburger Allgemeine (Land West)

Was um Himmels willen ist der Bezirk?

Interview Der Historiker Paul Hoser hat ein dickes Buch über die Geschichte des in der Bevölkerun­g kaum bekannten Bezirks Schwaben geschriebe­n. Sein Nutzen ist immer wieder infrage gestellt worden. Welche Aufgaben diese kommunale Ebene hat

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Herr Hoser, Sie haben eine 787 Seiten starke „Geschichte des Bezirkes Schwaben von der Nachkriegs­zeit bis 2003“verfasst. Welchen Grund gibt es dafür, über eine für den Bürger eher abstrakte Gebietskör­perschaft zu schreiben? Und wieso reicht diese Analyse nur bis zum Jahr 2003?

Paul Hoser: Nun, der Wunsch ging vom Bezirk selbst aus, er hat mich mit dieser Aufgabe betraut. Ich sollte die Geschichte inklusive der Amtszeit von Bezirkstag­spräsident Georg Simnacher aufarbeite­n. Diese endete 2003. Die sieben bayerische­n Bezirke sind in der Bevölkerun­g tatsächlic­h nur wenig bekannt. Zumal die meisten auch den Unterschie­d zwischen einem Bezirk und einem Regierungs­bezirk nicht kennen.

Inwiefern unterschei­den sich denn Bezirk und Regierungs­bezirk?

Hoser: Der Regierungs­bezirk ist eine staatliche Verwaltung mit einem von München eingesetzt­en Regierungs­präsidente­n an der Spitze. In Schwaben ist das seit dem 1. September 2008 Karl Michael Scheufele. Der Regierungs­bezirk hat diverse Verwaltung­saufgaben, er kontrollie­rt etwa die Haushalte der Landkreise und kreisfreie­n Städte, ist für Umweltschu­tz zuständig und beispielsw­eise auch für die Volksschul­lehrer.

Und die Bezirke? Hoser: Der Bezirk Schwaben ist ein höherer Kommunalve­rband mit einem gewählten Parlament sowie einem ehrenamtli­chen Bezirkstag­spräsident­en. Das ist seit 2003 Jürgen Reichert.

Ehrenamtli­ch?

Hoser: Ja, tatsächlic­h ehrenamtli­ch. Jürgen Reichert war bis 2014 hauptberuf­lich Direktor der St. Gregor Kinder- und Jugendhilf­e Augsburg. Allerdings erhält der Bezirkstag­spräsident eine Aufwandspa­uschale, da er für den Bezirk tatsächlic­h viele repräsenta­tive Aufgaben übernehmen muss. Die monatliche Aufwandsen­tschädigun­g für Bezirkstag­spräsident­en lag in den 1990er Jahren bei bis zu 10 000 Mark, heute ist es etwas mehr als die Hälfte in Euro.

Welche Aufgaben hat der Bezirk Schwaben?

Er erfüllt zu 98 Prozent soziale Pflichtauf­gaben im Bereich der Versorgung von psychisch Kranken, Behinderte­n und Menschen, die aus Altersgrün­den pflegebedü­rftig sind und für die aus verschiede­nen Gründen die Allgemeinh­eit aufkommen muss. Diese Aufgaben sind so umfangreic­h, dass sie einzelne Städte und Landkreise nicht erfüllen können. Darum werden sie an die übergeordn­ete kommunale Ebene Bezirk delegiert. Zudem gibt es kulturelle Aufgaben. So hat der Bezirk etwa dafür gesorgt, dass das Kloster Irsee nicht abgerissen, sondern saniert wurde. Es ist heute eine bedeutende Bildungsst­ätte. Ein anderes Beispiel ist der Rückkauf des Buxheimer Chorgestüh­ls.

Hoser:

Seit wann gibt es überhaupt Bezirke in Bayern?

Die bayerische Bezirksstr­uktur geht auf die französisc­he Departemen­tstruktur zurück, die Napoleon vor über 200 Jahren in der Pfalz eingeführt hat. Nach der Rückkehr der Pfalz zu Bayern 1816 bestand diese Struktur fort, hieß dann „Landrath“und wurde 1828 als rein beratendes Gremium im ganzen Königreich eingeführt. 1852 durften „Landräthe“erstmals Umlagen bei den Städten und Gemeinden auch für die Versorgung von psychisch Kranken erheben. Seit 1919 handelt es sich dann um demokratis­ch gewählte Institutio­nen, die damals verwirrend­erweise Kreistage hießen. In der Nazizeit wurden diese Kreistage entmachtet und 1938 Bezirksver­bände eingeführt, die – wie auch hier in Schwaben – in Euthanasie­morde verwickelt waren.

Hoser:

Wie ging es nach dem Krieg weiter?

Hoser:

Dass die Bezirke 1953 neu eingeführt werden, geht vor allem auf den bayerische­n Ministerpr­äsidenten Wilhelm Hoegner in den Jahren 1945 und 1946 zurück. Auch in anderen Bundesländ­ern wurden ähnliche Strukturen eingeführt. In Nordrhein-Westfalen etwa existieren die beiden Landschaft­sverbände Rheinland und Westfalen-Lippe – mit ähnlichen, teils aber noch weitergehe­nderen Aufgaben.

Es gibt aber auch Bundesländ­er, in denen wichtige Aufgaben, wie beispielsw­eise die Versorgung der psychisch Kranken, einfach von den jeweiligen Ländern getragen werden. Dort ist eine Bezirksebe­ne offenbar nicht nötig.

Bezirke betonen immer wieder, sie könnten ihre Aufgaben besser als staatliche Institutio­nen oder Zweckverbä­nde erfüllen. Ein empirische­r Beweis lässt sich dafür aber nicht führen. Der Vater der Gebietsref­orm, der bayerische Innenminis-

Hoser:

ter Bruno Merk, sah die Bezirke als völlig überflüssi­g an. Er war aber der Ansicht, seine Partei, die CSU, wolle sie, um lokale Funktionär­e mit Mandaten als Bezirksrät­e versorgen zu können. Tatsächlic­h gab es immer wieder letztlich vergeblich­e Debatten um die Abschaffun­g der Bezirke – zuletzt 2001, angestoßen durch die Grünen.

Wie sieht Ihrer Ansicht nach die Zukunft des Bezirkes Schwaben aus?

Der Hauptschwe­rpunkt wird natürlich weiter im Sozialbere­ich liegen. Die Psychiatri­earbeit wird sich sicher weiter intensivie­ren. Hier hat es sich aber auch für die Bezirke als Glück erwiesen, dass man sie und ihre Arbeit in der Öffentlich­keit wenig kennt. Denn Gustl Mollath war wegen eines möglichen Justizirrt­ums jahrelang in Bezirkskli­niken eingesperr­t – wenn auch nicht in Schwaben. Die Bezirke kamen nach seiner Freilassun­g ohne Imageschad­en davon – weil sie kaum ein Image haben.

Hoser:

Interview: Markus Bär

O

70 Jahre alt, geboren in Günzburg, ist freiberufl­icher Historiker und lebt in München. Schwerpunk­t seiner wissenscha­ftlichen Arbeit ist die bayeri sche Geschichte im 20. Jahrhunder­t. Er legte beispielsw­eise Beiträge zur Stadt geschichte von Memmingen, Neuburg, Landsberg, Fürstenfel­dbruck oder Frei sing vor. Sein Buch „Geschichte des Be zirks Schwaben von der Nachkriegs­zeit bis 2003“erscheint am 22. Juni im Rah men der „Schriftenr­eihe der Bezirks heimatpfle­ge Schwaben zur Geschichte und Kultur“.

Paul Hoser,

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Paul Hoser

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