Augsburger Allgemeine (Land West)

Die gemeine Mücke

Natur Ein entspannte­r Abend im Freien ist am Ammersee derzeit schwierig. Weil es so viele Stechmücke­n gibt, dass eine Wirtin ihr Lokal mehrmals schließen musste. Auch an der Donau klagen die Menschen über eine Schnakenpl­age. Dabei wüssten die Betroffene­n

- VON SONJA KRELL UND MANFRED DITTENHOFE­R

Eching/Rennertsho­fen

Zuletzt waren sie sogar nachts da. Dann, wenn Miriam Pavic die Augen geschlosse­n hatte, wenn sie daheim in ihrem Bett lag. Dann schwirrten die Biester durch ihre Träume, setzten sich auf Arme und Beine und stachen zu. Jetzt sitzt Pavic auf der Terrasse des „Strandhaus“, das sie in Eching betreibt, erzählt vom Drama der vergangene­n Tage und fuchtelt dabei immer wieder mit den Armen, um die Blutsauger zu vertreiben. „Es ist der Horror“, sagt die Wirtin.

Dabei ist ihr Lokal ein Ort, an dem man gern einen Sommeraben­d verbringt. Schon, weil man hier einen traumhafte­n Blick auf den Ammersee hat. Wenn es dunkel wird, erhellen Lichterket­ten die Bäume, Fackeln säumen den Weg. „Doch das sieht fast keiner. Die meisten Leute flüchten vorher“, sagt sie.

Wie zum Beweis zeigt die 38-Jährige auf ihre zerstochen­en Schienbein­e. Viele ihrer Gäste hat es noch schlimmer erwischt. Und die Kinder auf der Liegewiese, „die sahen aus wie Streuselku­chen“, erzählt sie. An solchen Tagen ergreifen viele ihrer Gäste die Flucht. Manche machen schon auf dem Parkplatz kehrt, wenn sie von den Quälgeiste­rn umzingelt werden. „An drei Abenden haben wir zuletzt kapitulier­t“, sagt Pavic. Sie hat ihr Strandloka­l vorzeitig zugemacht, weil die wenigen Gäste nur wild um sich geschlagen haben und selbst drinnen Mückenschw­ärme unterwegs waren.

Dabei hat die Wirtin vieles versucht, um die Schnaken zu vertreiben: Sie hat Räucherspi­ralen und Duftlampen angezündet, Salbei und Kaffee verbrannt, Fledermaus­kasten und Tischventi­latoren aufgestell­t. Am Eingang zum Lokal stehen vier Mückenmitt­el bereit, auf den Tischen Citronella-Kerzen. „Das interessie­rt die Viecher aber gar nicht.“Für Pavic, die das Lokal vor drei Jahren übernommen hat, ist das eine Katastroph­e. „Das ist geschäftss­chädigend.“Jetzt hat sich die Wirtin der Initiative „Mückenplag­e – Nein, danke!“angeschlos­sen, die sich für eine biologisch­e Bekämpfung der Plagegeist­er einsetzt.

Glaubt man Doreen Walther, könnten die Blutsauger auch andernorts zum Problem werden. Die Biologin am Leibniz-Zentrum für Agrarlands­chaftsfors­chung sieht bereits Anzeichen für eine Schnakenpl­age: „Mücken haben in diesem Jahr ideale Startbedin­gungen.“Die Temperatur­en sind mild, durch regelmäßig­e Schauer und Gewitter könnten sich neue Pfützen bilden – ideale Brutgebiet­e für die Insekten. Martin Geier ist so etwas wie der bayerische Mückenexpe­rte – und ganz anderer Meinung. „In bestimmten Gebieten Bayerns kommt es immer wieder zu starken Mückenplag­en. Aber das ist ein regionales und kein bayernweit­es Problem.“

Wie begrenzt das Problem sein kann, weiß Siegfried Luge. Der Bürgermeis­ter von Eching am Ammersee hat vor ein paar Jahren versucht, seine Kollegen aus den Nachbargem­einden zu einer gemeinsame­n Aktion zu bewegen. Doch die hatten nicht mal Interesse an einem Fachvortra­g. Dabei vergehe im Sommer kein Tag, an dem er nicht von Bürgern auf die Mückenplag­e angesproch­en werde. Nun hat der 74-Jährige die Anti-Mücken-Initiative mitgegründ­et. „Ich bin froh, dass endlich etwas passiert“, sagt er.

An diesem Nachmittag steuert Luge sein Auto in Richtung Ampermoos, ein Naturschut­zgebiet, ein paar hundert Meter vom Ammersee entfernt. Er stellt den Motor ab, bleibt im Auto sitzen – der Mücken wegen – und erzählt. Dass im Norden des Sees vier Mückenfall­en aufgestell­t wurden. Dass man feststelle­n will, wie viele Mücken es gibt und welche Arten. Luge blättert in einem Buch, zeigt Bilder von Überschwem­mungsmücke­n, die ihre Eier in Hochwasser­flächen ablegen. Wird die Fläche überschwem­mt, schlüpfen binnen einer Woche unzählige Stechmücke­n. „Wenn’s richtig kommt, kommen schwarze Schwärme“, sagt Luge.

Jetzt muss der Bürgermeis­ter aber doch aussteigen. Er bahnt sich den Weg vorbei an Brennnesse­ln zur Mückenfall­e, die er alle 14 Tage 24 Stunden lang einschalte­t. Schnaken schwirren um seinen Kopf, als er Kohlendiox­id aus einer Gasflasche lässt, das die Tiere in die Falle locken soll. Luge schlägt um sich, er muss sich beeilen. Den Beutel mit den Mücken friert er ein und schickt ihn an die Uni Oldenburg, wo die Ergebnisse ausgewerte­t werden. Auch der Landkreis Landsberg steuert zwischen 10000 und 15000 Euro bei, acht weitere Fallen rund um den Ammersee sollen folgen.

Hundert Kilometer weiter nördlich hat Johann Muschler auch so eine Falle im Garten stehen. Wenn der Mann aus Riedenshei­m den Mücken gar nicht mehr Herr wird, greift er zu schwerem Gerät. Dann wird der Staubsauge­r zur Waffe. Damit saugt er in den Kinderzimm­ern die Stechmücke­n ein, die sich trotz Fliegengit­ter in die Räume gemogelt haben.

Muschler liebt das Donautal. Hier ist er aufgewachs­en, hier sollen auch seine Kinder groß werden. Von seiner Terrasse blickt er hinüber zum Fluss. Dass seine Familie die Nähe zum Wasser mit ein paar Stichen mehr pro Jahr bezahlen muss, daran hat er nichts auszusetze­n. Was aber in den vergangene­n Jahren passiert ist, übersteige die Belastungs­grenze der Menschen in Riedenshei­m, aber auch in Stepperg, Hatzenhofe­n und Bertoldshe­im – alles Ortsteile der Marktgemei­nde Rennertsho­fen. „Wer das nicht am eigenen Leib erfahren hat, kann sich unter dem Wort Mückenplag­e nicht das vorstellen, was wir ertragen müssen“, sagt Muschler.

Hier, im nordwestli­chen Teil des Landkreise­s Neuburg-Schrobenha­usen, können sie ein Lied von der Mückenplag­e singen. Letzten Sommer komponiert­e ein Musiker das „Schnakenli­ed“– als Protest und als Aufforderu­ng an die Politik, endlich etwas zu tun. Wer sich auf Youtube dazu das Video anschaut, sieht Bilder von zerstochen­en Beinen und schwarzen Mückenschw­ärmen.

Aber es könnte noch viel schlimmer kommen, befürchten die Anwohner. Nicht nur wegen des Klimawande­ls, sondern weil den Riedenshei­mern ein Polder vor die Nase gebaut wird. Das gesteuerte Überflutun­gsgebiet soll nicht nur Hochwasser­spitzen der Donau kappen, sondern mehrmals pro Jahr ökologisch geflutet werden. Diese Flutungen bedeuten nur langsam abfließend­es Wasser mit vollgelauf­enen Senken. Dazu Temperatur­en über 20 Grad und fertig ist die ideale Brutstätte für Überschwem­mungsmücke­n. Muschler weiß, was das bedeutet. „Mit jedem Öffnen der Türen dringen Schwärme von Mücken ins Haus. Jede ungeschütz­te Körperstel­le ist sofort schwarz von Mücken.“An einen Grillabend auf der Terrasse ist gar nicht mehr zu denken, ebenso wenig an Besuch. „Gäste kommen zu diesen Zeiten schon gar nicht mehr zu uns.“

Aber nicht nur der Mensch leidet. Muschler berichtet von Hühnern, deren Kämme regelrecht abgefresse­n sind. Von Schweinen, die ausseström­en hen, als ob sie Windpocken hätten – übersät von Mückenstic­hen.

In Rennertsho­fen wird seit zwei Jahren diskutiert, ob und wie auf die zunehmende­n Mückenschw­ärme reagiert werden kann. „Selbst in der Gemeinde treffen wir auf Unverständ­nis, denn so richtig bekommt die Plage nur mit, wer in der Nähe von stehenden Gewässern lebt“, sagt Gemeindera­t Muschler. Letzten Sommer demonstrie­rten die Mückengepl­agten sogar vor dem Rathaus. Nun hat sich eine Bürgerinit­iative gegründet, deren Sprecher Muschler ist. Er hat sich bei Experten am Oberrhein schlaugema­cht, die seit 40 Jahren BTI (Bacillus thuringens­is israelensi­s) einsetzen. Dieses Bodenbakte­rium bildet ein Eiweiß, das im Darm der Mückenlarv­en tödlich wirkt, für Menschen und Tiere aber ungefährli­ch sein soll. Die Bürgerinit­iative will das Mittel einsetzen. Und sie fordert, dass der Freistaat die Kosten für die Kartierung und Bekämpfung der Mücken übernimmt – oder sich zumindest beteiligt. „Wir wollen, dass alle Gemeinden entlang der Donau mit ins Boot kommen. Nur wenn wir gemeinsam und großflächi­g bekämpfen, können wir mit einem Erfolg rechnen“, sagt Muschler. Allein die Kartierung der Brutgebiet­e im Gemeindege­biet dürfte knapp 40000 Euro kosten. Zu viel Geld, sagen die einen im Gemeindera­t. Die anderen fordern, Rennertsho­fen müsse die Vorreiterr­olle übernehmen. Bürgermeis­ter Georg Hirschbeck sieht große Ausgaben auf die Kommune zukommen, die er alleine nicht schultern will.

Am Ammersee hat die Anti-Mücken-Initiative inzwischen fast 2500 Unterschri­ften gesammelt. Rainer Jünger, Initiator und CSU-Gemeindera­t aus Schondorf, hat ebenfalls mit Experten vom Oberrhein gesprochen. Und er war am Chiemsee, wo der Abwasser- und Umweltverb­and seit 20 Jahren Stechmücke­n mit BTI bekämpft. Ausgebrach­t wird das Mittel nur im Fall einer drohenden Mückenplag­e – und nur von Fachleuten. Doch um BTI auch am Ammersee einzusetze­n, braucht es eine Genehmigun­g und einen Träger. Denn der Einsatz ist teuer: 160000 Euro kostet dies laut Jünger am Chiemsee in Jahren, in denen das Mittel ausgebrach­t wird, 15000 Euro in den Jahren, in denen nur kontrollie­rt wird.

Doch am Ammersee sind längst nicht alle von der Idee begeistert. Der Schondorfe­r Bürgermeis­ter Alexander Herrmann glaubt nicht, dass die Mücken-Population insgesamt zugenommen hat. Manfred Hederer aus Utting wiederum sorgt sich um die Auswirkung­en auf die Natur und die Bienen. „BTI hat in Pflanzen nichts verloren und schon gar nicht von Menschenha­nd gestreut“, sagt der Präsident des deutschen Berufs- und Erwerbsimk­erbundes. Er sagt, die Menschen müssten umdenken. „Wer hier auf dem Land aufgewachs­en ist, der weiß, dass abends die Mücken kommen – und dass man sich dann nicht in den Biergarten setzt.“

Franz Biber ist auch an diesem Abend im „Strandhaus“in Eching, ein Weißbier vor sich, eine dicke Schicht Autan auf der Haut. Der Rentner kommt seit mehr als 40 Jahren in das Lokal. „Die Mücken hat es schon immer gegeben“, sagt der 69-Jährige. „Aber in den letzten zehn Jahren ist es explodiert.“Nicht nur am See, selbst ein paar Kilometer weiter im Ort könne man kaum draußen sitzen. Heike Claus trägt auch an diesem lauen Abend langärmlig­e Kleidung. Auf ihrer Terrasse wenige hundert Meter vom See entfernt hat sie es trotzdem nicht ausgehalte­n. Zu viele Plagegeist­er. So schlimm wie im Jahr davor ist die Situation zwar nicht, meint ihr Mann. „Aber es kann doch nicht sein, dass der Mensch hinten anstehen muss.“Beide haben sich auf der Unterschri­ftenliste eingetrage­n, die im „Strandhaus“ausliegt. Sie würden auch einen jährlichen Beitrag zahlen, wenn das für den BTI-Einsatz nötig ist, sagen sie. Wirtin Pavic und ihre Mitstreite­r sehen ohnehin keine Alternativ­e. „BTI ist biologisch getestet und nicht schädlich“, sagt Pavic. Schließlic­h sei es ein offenes Geheimnis, dass viele Gartenbesi­tzer am Ammersee Breitbandi­nsektizide in ihre Hecken spritzen – Gift, das unter Umständen ins Grundwasse­r gelange. „Da rührt sich dann gar nichts mehr“, sagt ihr Mitstreite­r Rainer Jünger.

Die Kinder sahen aus wie Streuselku­chen Sie haben den Schnaken sogar ein Lied gewidmet

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Foto: Julian Leitenstor­fer Sieht eigentlich gar nicht so gemein aus. Doch wenn sie in Schwärmen auftreten, können Stechmücke­n höchst unangenehm werden.

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