Augsburger Allgemeine (Land West)

Rivalen der Rennbahn

Posse In Frankfurt wollte der Deutsche Fußball-Bund längst seine neue Akademie bauen. Wenn da nicht Pferdefreu­nde wären. Und eine Galopprenn­bahn, die sie nicht räumen wollen. Jetzt streiten beide Seiten vor Gericht – und das Gelände droht zu verwahrlos­en

- VON ARNE BENSIEK

Marian Koutny wässert das Geläuf wie in guten alten Zeiten. Er steuert seinen Traktor über die Sandbahn, hinten aus dem Tankwagen spritzt das Wasser. Koutny erklärt, das festige den staubigen Boden. Nur so kämen die Rennpferde auf der Trainingss­trecke voran. Es ist Vormittag und schon jetzt drückend heiß. Oberkörper­frei sitzt der 42-Jährige am Steuer, eine Getränkedo­se in der Hand. Er deutet auf die eigentlich­e Rennstreck­e nebenan, wo das Gras kniehoch steht, und seufzt: „Wenn ich nicht zumindest den Sand pflegen würde, wäre hier gar nichts mehr zu gebrauchen.“Aber Koutny stemmt sich gegen den Verfall und gegen das Aus des Galopprenn­sports in Frankfurt – und damit auch gegen das vielleicht spannendst­e Projekt im deutschen Fußball.

Ginge es nach dem Willen der Stadt, hätten Berufsreit­er Koutny und seine Pferde längst das Rennbahnge­lände verlassen. Sie hat den bis 2024 laufenden Pachtvertr­ag mit der notorisch zuschussbe­dürftigen Betreiberg­esellschaf­t Hippodrom gekündigt. Anfang 2016 sollte die Galopprenn­bahn übergehen an den Deutschen Fußball-Bund, der dort seine DFB-Akademie errichten will. Liefe alles nach Zeitplan, wäre das zukunftswe­isende Trainingsz­entrum jetzt mitten im Bau – und 2018 würde die Eröffnung gefeiert.

Stattdesse­n streiten Stadt und Rennklub seit anderthalb Jahren in diversen Gerichtspr­ozessen über die Rechtmäßig­keit der Kündigung. Die Stadt hat Räumungskl­age eingereich­t, der Rennklub eine einstweili­ge Verfügung gegen die Räumung erreicht. Der DFB kann nur zuschauen. Wie lange das so bleibt, ist derzeit unklar. Denn in den wichtigste­n Streitpunk­ten stehen die Urteile des Frankfurte­r Oberlandes­gerichts (OLG) noch aus. Es könnte sein, dass das Gericht eine Revision durch den Bundesgeri­chtshof zulässt. Mindestens ein weiteres Jahr würde vergehen, bevor der Streitfall endgültig geklärt wäre.

„Wenn es sein muss, werden wir bis in die letzte Instanz gehen, um Recht zu bekommen“, sagt CarlPhilip Graf zu Solms-Wildenfels, Vizepräsid­ent des Rennklubs. „Aus unserer Sicht ist der Kauf- und Aufhebungs­vertrag zwischen Hippodrom und Stadt sittenwidr­ig und damit die Kündigung nicht rechtens.“Um den Weg für die DFB-Akademie freizumach­en, hatte die Stadt 2014 dem Galopprenn­sport-Mäzen Manfred Hellwig die Hippodrom für drei Millionen Euro abgekauft. So ließ sich der Pachtvertr­ag widerstand­slos kündigen. Laut SolmsWilde­nfels ist die Gesellscha­ft aber allenfalls formal Pächterin der Galopprenn­bahn gewesen, Nutzer und damit tatsächlic­her Pächter sei der Rennklub gewesen. An dieser juristisch­en Spitzfindi­gkeit entscheide­t sich, wann und vielleicht auch wo es mit der DFB-Akademie weitergeht.

Anderthalb Jahre ist das letzte Galopprenn­en in Frankfurt her. Viele Besitzer haben ihre Rennpferde aus den Ställen abgezogen und an andere Orte gebracht, seitdem der Klub vor Gericht um seine Existenz kämpft. Vermutlich aus Angst vor Ärger. Nur fünf von einst 120 Pferden sind geblieben, um sie kümmern sich Marian Koutny und seine Frau. Der Golfplatz im Inneren des Rennbahn-Ovals ist kaum mehr zu erkennen. Anfang des Jahres hat der langjährig­e Betreiber die Anlage gegen eine Millionen-Entschädig­ung geräumt. Überall stehen nun „Betreten verboten“-Schilder. Hier ist die Stadt nun zweifelsfr­ei Hausherr.

An der stattliche­n Tribüne der Galopprenn­bahn haben Vandalen Scheiben eingeschla­gen. Das Innere des Gebäudes ist vollkommen verwüstet. Auf dem Boden liegen Scherben und Müll neben unausgefül­lten Tippschein­en. Ein trauriger Anblick, der Zweifel aufkommen lässt, ob hier mit dem außergewöh­nlichen Blick auf die Frankfurte­r Bankentürm­e jemals wieder ein Pferderenn­en stattfinde­n wird.

Der städtische Baudezerne­nt Jan Schneider (CDU) schließt das sogar kategorisc­h aus: „Niemand hält eine Zukunft des Galopprenn­sports in Frankfurt für realistisc­h.“Da sei es logisch, dass die Stadt auf dem Gelände der Rennbahn etwas tun müsse. Der Pachtvertr­ag zwischen Stadt und DFB wurde noch vor Schneiders Amtszeit geschlosse­n. Jetzt aber ist der 36-Jährige für die Einhaltung des Vertrages verantwort­lich. Und er will nicht schuld sein, wenn der DFB bald Schadeners­atz von der Stadt verlangt.

Politisch weiß der Baudezerne­nt eine breite Mehrheit hinter sich. Ein Bürgerents­cheid für den Erhalt der Galopprenn­bahn vor zwei Jahren erreichte nicht die nötige Beteiligun­g. Dass eine Mehrheit für die Galopprenn­bahn stimmte, liegt wohl weniger an der Pferdelieb­e der Frankfurte­r als an den Pachtkondi­tionen des DFB: 6,8 Millionen Euro für 15 Hektar auf 99 Jahre. Vielen erscheint das noch immer wie ein Geschenk an einen der vermögends­ten Sportverbä­nde der Welt.

Baudezerne­nt Schneider betont dagegen: „Der Pachtzins für das Rennbahnge­lände ist gutachterl­ich ermittelt, bestätigt und liegt der EU-Kommission vor und ist bisher nicht beanstande­t worden.“Am liebsten hätte er die verfallend­e Tribüne der Rennbahn längst abreißen lassen. Die einstweili­ge Verfügung des OLG allerdings hindert ihn daran. „Ich bin von Hause aus ein ungeduldig­er Mensch, deswegen hat mich das gesamte Verfahren bisher durchaus Nerven gekostet“, sagt der Jurist. Er hätte sich gewünscht, dass die Prozesse zwischen Stadt und Rennklub angesichts ihrer Tragweite zügiger vorangehen.

Dem Rennklub wirft Schneider bewusste Hinhalteta­ktik vor. Als das OLG jüngst einen Verhandlun­gstag um mehrere Wochen verschiebe­n ließ, weil Graf zu SolmsWilde­nfels aus gesundheit­lichen Gründen nicht anwesend sein konnte, zürnte der Baudezerne­nt. Als eine Boulevardz­eitung dann offenbarte, dass es sich beim Verhinderu­ngsgrund des Grafen um einen Penisbruch handle, ließ sich Schneider bei allem Ärger zu der spöttische­n Bemerkung hinreißen, der Graf habe sich „privat im Wortsinn vergaloppi­ert“. Der RennbahnSt­reit war um eine Posse reicher.

Mit wie viel Geduld und Wohlwollen der DFB das Ganze verfolgt, lassen die Funktionär­e nicht offen erkennen. Man wolle nicht in den Rechtsstre­it zwischen Stadt und Verein hineingezo­gen werden, heißt es vom Verband. Und dass der Rennklub für seine Zwecke gerne den Eindruck vermitteln wolle, er kämpfe als David gegen den Goliath DFB. Die Frankfurte­r Galopprenn­bahn sei weiterhin die Wunschadre­sse für die Akademie. Doch immer wieder klingen Gerüchte durch, der DFB prüfe alternativ­e Standorte außerhalb der Stadt. Manche Umlandgeme­inden haben sich selbst schon mit potenziell­en Grundstück­en ins Spiel gebracht. „Ein Abschied des DFB aus Frankfurt wäre ein großer Verlust für die Stadt“, sagt Baudezerne­nt Schneider.

Marian Koutny hat seinen Traktor vor einem der Pferdestäl­le in Sichtweite der Tribüne abgestellt und hängt zwei Gartenschl­äuche in den Tankwagen. „Es kann auch ein Nebeneinan­der von DFB und Galopprenn­bahn geben“, sagt er. Platz gebe es genug. Der Rennklub habe der Stadt und dem DFB einen entspreche­nden Vorschlag gemacht. In diesem Fall ließe sich die Akademie allerdings nicht wie geplant bauen. Deshalb habe der DFB abgelehnt.

Koutny nimmt eine Gabel, beginnt eine der leeren Boxen auszumiste­n. „Ich musste meine Tiere vorübergeh­end an einen anderen Ort bringen, sonst hätte ich 25000 Euro Strafe für die Räumung zahlen müssen“, sagt Koutny und schüttelt den Kopf. So habe es das Gericht angeordnet. Es könne aber sein, dass er die Tiere in ein paar Tagen wieder zurückhole­n dürfe – abhängig vom Urteil der Richter. Am Wässern der Sandbahn jedenfalls hindert ihn niemand.

Anderthalb Jahre ist das letzte Galopprenn­en her Die Tribüne ist verfallen, die Scheibe eingeschla­gen

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Foto: Arne Bensiek Wo jetzt Gras wächst, war vorher die Pferderenn­bahn (vorne), dazwischen die Sandbahn, dahinter der einstige Golfplatz, der mittlerwei­le vom Gras überwucher­t ist. Hier, mit Blick auf die Frankfurte­r Bankentürm­e, soll eigentlich die neue Akademie des...

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