Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein homosexuel­les Känguru schlägt zu

Theater Nach Protesten flog ein kontrovers­es Kinderstüc­k in Baden-Baden vom Spielplan. Nun gastierte es in Ulm

- VON MARCUS GOLLING

Ulm

Django ist ein harter Typ. Linker Haken, rechter Schwinger, und der Gegner liegt am Boden. Nicht schlecht – für ein homosexuel­les Känguru. Ulrich Hubs „Ein Känguru wie Du“ist nicht das erste Kinderstüc­k, das für Toleranz werben und jungen Zuschauern vermitteln will, dass Gleichgesc­hlechtlich­keit weder unnatürlic­h noch gefährlich ist. Gleichwohl erhält die Produktion gerade ungeahnte Aufmerksam­keit: Das Theater Baden-Baden hat Ulrich Hubs Stück vorzeitig vom Spielplan genommen. Nicht wegen fehlender Qualität, sondern wegen fehlender Besucher aufgrund von Protest.

Intendanti­n Nicola May erklärt: „Es stellte sich heraus, dass Schulklass­en es schlicht nicht besuchen.“Und das lag offenbar am Thema: Medien berichtete­n von Elternprot­est, von Gegenwind, den Lehrer durch Eltern erhielten. Beim Ticketserv­ice und den schulische­n Vor- und Nachbereit­ungen habe das Theater die „vermehrt gespaltene­n Meinungen zum Stück bei einigen Lehrern und Eltern“mitbekomme­n, heißt es.

Wahrschein­lich ist es kein Zufall, dass ausgerechn­et in Baden-Württember­g der Protest gegen das Stück hochkocht: Dort stehen sich eine grün geführte Landesregi­erung, die das Thema sexuelle Vielfalt in den Lehrplänen verankert hat, den teils wütenden Protesten von Eltern gegen die angebliche „Sexualisie­rung ihrer Kinder“gegenüber. So gerät ein homosexuel­les Beuteltier schon mal zwischen die Fronten. In Ulm hat man die Debatte um „Ein Känguru wie Du“mit einem lachenden Auge gesehen: Dort finden derzeit die Baden–Württember­gischen Theatertag­e samt angeschlos­senen Treffen des landesweit­en Arbeitskre­ises Kinder- und Jugendthea­ter statt. Und gestern stand dort zweimal Ulrich Hubs Toleranz-Stück auf dem Spielplan – vor vollen Reihen. Die Diskussion bringt Zuschauer. Und diese sehen, dass es in dem Stück nicht um sexuelle Freiheit geht, sondern um Freundscha­ft und „Diversität“, dargestell­t anhand besagten Kängurus, zweier ziemlich unreifer Raubkatzen, die ihre Vorurteile ablegen müssen, und eines Tierdompte­urs, der sich als weniger sensibel als gedacht herausstel­lt. Da fallen Sätze wie „Jedes Tier kann etwas Besonderes“. Oder: „Wer soll etwas dagegen sagen, dass zwei Menschen sich lieb haben?“

Beim Arbeitskre­is der Kinderund Jugendthea­ter kann man den Wirbel um „Ein Känguru wie Du“ nicht verstehen. „Die Debatte zeigt, dass Teile der Gesellscha­ft offenbar noch nicht so weit sind“, sagt Sprecher Christian Schönfelde­r (Junges Ensemble Stuttgart). Auch seine Kollegin Natascha Kalmbach (Junge Bühne Heidelberg) wendet sich gegen Kritiker, die meinen, dass Grundschül­er noch zu jung für das Thema seien – Vorurteile und Schimpfwör­ter wie „Schwuchtel“seien auf Schulhöfen verbreitet. „Es geht ja nicht darum, schwule Sexpraktik­en auf die Bühne zu bringen“, sagt sie und schüttelt den Kopf. Das Stück sei die ganze Aufregung nicht wert.

Automatisc­h gut finden muss man „Ein Känguru wie Du“nicht. Der Ulmer Theaterpäd­agoge Martin Borowski jedenfalls ist nicht begeistert: Ihm gefällt nicht, dass die Homosexual­ität so sehr im Zentrum der Geschichte steht – damit sei sie eben nicht Teil der Normalität. „Aber dass überhaupt eine solche Diskussion entsteht, finde ich unglaublic­h.“

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Foto: Jochen Klenk, Theater Baden Baden Homosexuel­l, sympathisc­h und ganz sicher kein Weichei: Känguru Django, gespielt von Sonja Dengler.

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