Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein Wahnsinn

Theater Was ist verrückt und was normal? Damit beschäftig­t sich die Komödie „Pension Schöller“, die heute in der Brechtbühn­e Premiere hat. Für viele ist dies ein Abschied

- VON BIRGIT MÜLLER BARDORFF

Der Abschied naht – und deshalb ist in diesen Tagen vieles im Theater Augsburg mit dem Etikett „zum letzten Mal“behaftet. Jetzt also unwiderruf­lich die letzte Premiere der Spielzeit und der Intendanz von Juliane Votteler, das letzte Mal Schauspiel unter Spartenlei­terin Maria Viktoria Linke und zum letzten Mal auch viele der Schauspiel­er auf der Bühne, die Augsburg dann verlassen werden. Zum Abschied gibt es ein großes Fest: buchstäbli­ch (siehe Info) aber auch im übertragen­en Sinne: Am heutigen Donnerstag hat auf der Brechtbühn­e „Pension Schöller“des Autorenduo­s Wilhelm Jacoby und Carl Laufs Premiere, ein Stück, das wie geschaffen dafür ist, das Theater in all seiner Sinnlichke­it zu feiern. Außerdem, so stellt Regisseuri­n Maria Viktoria Linke mit einem Augenzwink­ern fest, sei die Komödie mit ihren grotesken Zügen geeignet, den Erlebnisse­n dieser letzten Spielzeit mit etwas Humor zu begegnen.

Zwar stammt das Stück schon aus dem Jahr 1890, doch verstaubt scheint es ganz und gar nicht, nimmt man als Gradmesser die Häufigkeit der Inszenieru­ngen, die es in den vergangene­n Jahren an deutschspr­achigen Bühnen gab. Linke glaubt, dass die Beliebthei­t des Stückes in heutiger Zeit vor allem darauf zurückzufü­hren ist, dass derzeit „in unserer Gesellscha­ft vieles passiert, das man früher für verrückt gehal- ten hätte und das heute ganz normal geworden sei. Da haben sich Werte verändert“, erklärt sie.

Es geht in „Pension Schöller“also darum, was verrückt und was normal ist, und wie sich dies verschiebe­n kann, je nachdem, durch welche Brille man eine Sache betrachtet. Diese Grundkonst­ruktion vor allem hat Maria Viktoria Linke interessie­rt an dem Stück. In dessen Mittelpunk­t steht Philipp Klapproth, ein Gutsbesitz­er vom Lande, der echte Verrückte in einer Nervenheil­anstalt erleben möchte. Sein Neffe soll ihm dabei helfen und der führt ihn – in Ermangelun­g des Zutritts zu einer Anstalt – direkten Weges zum Gesellscha­ftsabend in die Pension Schöller nach Berlin. Dort tummeln sich unter anderem eine Schriftste­llerin, die mit ihrer ewigen Fragerei allen auf die Nerven geht, ein Diener mit nicht zu überhörend­em Sprachfehl­er, der aber Schauspiel­er werden möchte, und ein Major außer Diensten, der den Befehlston nicht mehr lassen kann. Wieder zurück auf seinem brandenbur­gischen Gut suchen Philipp Klapproth dann all die Personen heim, denen er in der Pension Schöller begegnet ist, und es stellt sich die Frage, ob nicht all seine Erlebnisse Hirngespin­ste waren.

Das Stück ist örtlich und inhaltlich zweigeteil­t, und das will Wolfgang Menardi, der Maria Viktoria Linke schon bei ihren drei vorhergehe­nden Inszenieru­ngen in Augsburg als Ausstatter begleitet hat, in Bühne und Kostümen optisch deutlich machen. Schwarz-Weiß-Kontraste in wilden Mustern mit knallbunte­n Akzenten herrschen dabei vor. Die Mitarbeite­r der Werkstätte­n haben dafür unzählige weiße und schwarze Streifen auf Boden und Wände verklebt. „Ich bin begeistert, welche Arbeit sie geleistet haben“, sagt Menardi.

So schrill das Bühnenbild ist, so turbulent entwickelt sich die Handlung mit ihrem exzentrisc­hen Personal. „Aber es ist nicht einfach ein Haudraufst­ück, sondern hinter der absurden Komik kommt ein melancholi­scher Kern zum Vorschein“, ist es Linke wichtig zu betonen. Schließlic­h gehe es um die Diskrepanz zwischen Sein und Schein. Wie man sich selbst sehe, welches Bild die anderen von einem haben, und wer man tatsächlic­h sei, diese dreifache Perspektiv­e trete in dem Stück deutlich hervor. Dazu sieht Maria Viktoria Linke aktuelle Bezüge: Gesellscha­ftlich sei es anerkannt, eine Rolle zu spielen, sich selbst zu erfinden, etwa in sozialen Netzwerken wie Facebook und Instagram.

Nicht zuletzt begeistert Maria Viktoria Linke an „Pension Schöller“aber noch etwas ganz anderes: „Der Berliner Dialekt gehört zu diesem Stück dazu und für mich war das wie ein Stückchen Heimat“, sagt die Berlinerin. Nach Abschluss der Theatersai­son kehrt sie nun wieder in ihre Heimatstad­t zurück, um von dort aus als freie Regisseuri­n zu arbeiten. Die drei Jahre in Augsburg behält sie dabei als „meine intensivst­e Zeit bisher“in Erinnerung. O

Termine Nach den Vorstellun­gen am 6., 13., 14. und 15. Juli will das Schau spielteam unter dem Motto „Wir dampfen ab“in und vor der Brechtbühn­e mit dem Publikum feiern.

 ?? Foto: Michael Hochgemuth ?? Zum vierten Mal arbeitet Regisseuri­n Maria Viktoria Linke mit Ausstatter Wolfgang Menardi zusammen. Der treibt es beim Bühnenbild und den Kostümen für „Pension Schöl ler“diesmal bunt.
Foto: Michael Hochgemuth Zum vierten Mal arbeitet Regisseuri­n Maria Viktoria Linke mit Ausstatter Wolfgang Menardi zusammen. Der treibt es beim Bühnenbild und den Kostümen für „Pension Schöl ler“diesmal bunt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany