Augsburger Allgemeine (Land West)

„Kunden können erst mal abwarten“

Auto Kartell Nach dem Diesel-Skandal wurde bekannt, dass sich Autobauer seit Jahren absprechen. Ein Experte erklärt, ob Autofahrer ein Recht auf Schadeners­atz haben

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Herr Kersting, auf was sollten Kunden, die in jüngster Zeit ein Auto bei den Kartell-verdächtig­en Hersteller­n gekauft haben, achten, um bei eventuelle­n Regressans­prüchen gut vorbereite­t zu sein?

Prof. Christian Kersting:

Im Moment ist es noch zu früh, um genau sagen zu können, ob Kunden Regressfor­derungen geltend machen können. Das hängt von den konkreten Absprachen ab, die zwischen den Autoherste­llern getroffen wurden – und darüber wissen wir im Moment noch nicht viel. Wenn es aber Absprachen gegeben hat, die zur Folge hatten, dass eine neue technische Entwicklun­g nicht weiterverf­olgt wurde, und dann Autos verkauft wurden, die auf einem niedrigere­n technische­n Niveau waren, als sie es hätten sein können, dann ist theoretisc­h ein Anspruch von Kunden denkbar. Von diesen müssten allerdings erhebliche Nachweise beigebrach­t werden. Und das wird im Moment und wahrschein­lich auch später sehr schwerfall­en.

Es könnten neben der Technik auch die Preise für die Wagen betroffen sein. Sie könnten künstlich hochgehalt­en worden sein. Könnte das für Kunden einen weiteren Regressans­pruch bedeuten?

Kersting:

Ich hatte bislang nur den Eindruck, dass gegenüber den Zulieferer­n Preise gedrückt wurden. Das löst sicher Schadeners­atzansprüc­he der Zulieferer aus. Wenn es sich herausstel­lt, dass auch gegenüber den Endkunden die Preise für Kraftfahrz­euge verteuert wurden, dann haben wir eine Situation wie beim Lkw-Kartell. Dann stehen ohne Weiteres Ansprüche von geschädigt­en Kunden im Raum. Diese müssten aber nachweisen, wie hoch der Schaden ist. Das heißt: Der Kunde muss sagen, welches Auto er zu welchem Preis gekauft hat und um wieviel es billiger gewesen wäre, hätte es keine Absprache gegeben. Dann könnte man die Differenz als Schadeners­atzanspruc­h verlangen. Das Gute für die Kunden ist, dass ihre Ansprüche nicht verjähren, solange Bundeskart­ellamt oder Europäisch­e Kommission den Fall untersuche­n. Das heißt: Kunden können jetzt in aller Ruhe abwarten, wie sich die Sache entwickelt und welche Verstöße tatsächlic­h festgestel­lt werden.

Was muss ich als Kunde also aufbewahre­n, um später Ansprüche vorbringen zu können?

In allererste­r Linie den Kaufvertra­g. Allerdings ist der Nachweis darüber, wie hoch der Kaufpreis ohne Absprache gewesen wäre, extrem schwierig.

Kersting:

Als Einzelner stünde man da auf verlorenem Posten. Gibt es die Möglichkei­t, sich einer Sammelklag­e anzuschlie­ßen oder eine solche gegen die Hersteller anzustreng­en?

Sammelklag­en gibt es in Deutschlan­d leider noch nicht. Zwar wurde darüber nachgedach­t, eine Sammelklag­e oder zumindest Musterfest­stellungsk­lage einzuführe­n. Aber man hat davon wieder Abstand genommen. In einer europäisch­en Regelung von 2014 hat man auf eine Verpflicht­ung für die Mitgliedst­aaten, Sammelklag­en zuzulassen, leider verzichtet. Das heißt: Kunden müssten sich selbst zusammensc­hließen und eine Sammelklag­e künstlich herstellen, indem man sich

Kersting:

den gleichen Anwalt nimmt und sich Kosten teilt. Das Fehlen einer Sammelklag­e ist ein echtes Handicap für Verbrauche­r. Ich finde, man sollte ernsthaft überlegen, ob Sammelklag­en nicht ermöglicht werden.

Das ist ja ungerecht: In den USA erhalten geschädigt­e VW-Dieselkund­en Geld und hier schauen sie in die Röhre ...

Kersting:

In der Tat. Es wird immer schwerer vermittelb­ar, dass wir in Deutschlan­d diese Möglichkei­ten für Verbrauche­r nicht haben. Man spricht hier von „Streuschäd­en“. Die Schäden für den einzelnen Verbrauche­r sind gering. Dieser wiederum will kein Prozesskos­tenrisiko eingehen und verzichtet auf eine Klage. Daher fehlt es den Unternehme­n an Anreizen, Rechtsvers­töße wie Kartellabs­prachen zu vermeiden. Interview: Alexander Michel

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