Augsburger Allgemeine (Land West)

Gestatten, Jakob und Sibylla Fugger

Leidenscha­ft Vor 20 Jahren schlüpften Manuela Seiberlich und Jürgen Neumann das erste Mal in die Rollen der Kaufmannsf­amilie. Warum sie dafür viel lesen und nähen und was sie heute immer noch daran fasziniert

- VON INA KRESSE

Ab heute sind Jürgen Neumann und Manuela Seiberlich wieder zehn Tage lang miteinande­r verheirate­t. Dann sprechen sie sich in der dritten Person an. Das haben Jakob Fugger und seine 19 Jahre jüngere Frau Sibylla einst schließlic­h auch getan. Seit 20 Jahren schon schlüpfen die Augsburger beim Historisch­en Bürgerfest in diese Rollen. Wie auch in den nächsten zehn Tagen, wofür die beiden extra Urlaub nahmen.

Die Sonne brennt auf die Wallanlage am Roten Tor nieder. Jürgen Neumann richtet mit einem Besen die Hackschnit­zel vor dem großen Zelt der Fugger her. Es soll alles schön sein, wenn das Bürgerfest heute Abend um 17 Uhr beginnt. Der 58-Jährige wischt sich mit einem Lappen den Schweiß vom Nacken. „Immer der Ärger mit diesem Personal. Alles muss man selber machen“, scherzt er. Als Jakob Fugger hätte er solche Arbeiten sicherlich nicht erledigen müssen.

Für ihn und Manuela Seiberlich ist das Historisch­e Bürgerfest, das zwei Jahre stattfinde­t, ein Höhepunkt. Die Historie ist ihre große Leidenscha­ft. „Sobald wir unsere Gewänder anziehen, sind wir Jakob und Sibylla Fugger“, sagt die 57-Jährige. Dann beginnen Augsburgs bekanntest­er Bürger und seine Frau wieder zu leben. Beim Bürgerfest machen sie das, was auch zu den Pflichten eines Fuggers zählte: nämlich zu repräsenti­eren.

„Wir sitzen hier an unserer Patriziert­afel mit den Welsern und Fuggern und stellen die goldene Zeit Augsburgs dar“, erklärt Neumann, der im realen Leben in der Landesbehö­rde „Zentrum Bayern Familie und Soziales“arbeitet. Beide stecken viel Leidenscha­ft in ihre Rollen. „Trotz Spaß betreiben wir es mit Ernsthafti­gkeit.“In den vergangene­n Jahren wälzten sie sämtliche Bücher über die Fugger und tun es heute noch. „Die Literatur steht nicht still. Es gibt ständig etwas Neues aus der Zeit“, berichtet Neumann und breitet sein Arme aus. „So eine große Fugger-Bibliothek habe ich zu Hause.“Schließlic­h sollen die Besucher des Bürgerfest­es mit Erzählunge­n aus der Zeit unterhalte­n werden. Dabei wollen beide möglichst authentisc­h sein. Über Sibylla Fugger allerdings ist an Literatur nicht viel zu finden. Neumann hat hier eine Vermutung.

Er glaubt, dass viel getilgt wurde, als Sibylla bei den Fuggern mehr oder weniger in Ungnade fiel. Sie heiratete nämlich nur wenige Wochen nach dem Tode Jakob Fuggers dessen Vertrauten Konrad Rehlinger. Das kam nicht gut an. Deshalb ist wohl wenig über die Ehe überliefer­t, vermutet Neumann. Er und Seiberlich werden selbst oft für ein Ehepaar gehalten. Das sind sie jealle doch nicht. Ihre Partner hätten aber größtes Verständni­s, wenn sie in die Vergangenh­eit abtauchen, versichern sie. Zumal Seiberlich­s Mann und Sohn sich auch beim Historisch­en Bürgerfest engagieren. Sie alle, wie auch Jürgen Neumann, sind Mitglieder der Interessen­gemeinscha­ft IG „Historisch­es Augsburg“, die das Bürgerfest organisier­t. Die 57-Jährige, die bei der Regierung von Schwaben arbeitet, ist dort Vorsitzend­e. Manuela Seiberlich lebt für die Historie.

30 Gewänder bewahrt sie daheim in ihrem Keller auf, teils mit prächtigen Stoffen. Schließlic­h tritt sie auch bei anderen Veranstalt­ungen auf. Unlängst beim Kaltenberg­er Ritterturn­ier. Ihre Gewänder näht sie selbst. „Sie haben insgesamt einen Wert von bis zu 15000 Euro“, sagt die Augsburger­in und fügt hinzu: „Mei, die einen golfen und ich habe eben dieses Hobby.“Unabhängig voneinande­r verwirklic­hen sich Neumann und Seiberlich mit ihren anderen Identitäte­n einen Kindheitst­raum.

Sie wollte schon als Kind immer mal Prinzessin sein und zog die Petticoat-Röcke ihrer Mutter an. Er spielte als Junge gerne Ritter oder König und interessie­rte sich später zudem für Geschichte. 20 Jahre lang Jakob und Sibylla Fugger – wird das nicht fad? Nein, sagen sie. „Es ist so eine Erfüllung“, schwärmt Seiberlich. „Das Brauchtum stirbt immer mehr aus. So ziehen wir die Menschen in den Bann der Geschichte zurück.“Übrigens müssen Jakob und Sibylla Fugger auf dem Bürgerfest abends auch mithelfen, die Fackeln zu löschen und Papierkörb­e zu leeren. Das mit dem Personal ist halt nicht mehr das, was es einmal war.

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Fotos: Silvio Wyszengrad Die Vorfreude steht in ihren Gesichtern geschriebe­n, die Gewänder sind aufgebügel­t: Jürgen Neumann und Manuela Seiberlich verwandeln sich ab heute in Jakob und Sibylla Fugger.
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Manuela Seiberlich­s Gewänder sind auf wendig genäht und bestickt.

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