Augsburger Allgemeine (Land West)

Wovon der Erfolg der Energiewen­de abhängt

Interview Das regionale Stromnetz ist das Rückgrat der grünen Stromverso­rgung, sagt Lechwerke-Chef Markus Litpher. Ein bundesweit beachtetes Projekt in unserer Region hat das gezeigt. Doch der Ausbau muss bezahlt werden

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„Die zukünftige Energielan­dschaft ist dezentral, grün und digital“

Herr Litpher, wo steht aus Ihrer Sicht die Energiewen­de in Deutschlan­d? Klappt sie? Markus Litpher: Die zukünftige Energielan­dschaft ist dezentral, grün und digital. Wir haben bereits heute vor Ort eine Vielzahl an erneuerbar­en Energien. Allein im LEW-Netz gibt es über 70 000 Photovolta­ik-Anlagen. Damit wird deutlich, dass es keine Energiewen­de ohne die regionalen Netze gibt – die Verteilnet­ze. Zuletzt ist häufig über die großen überregion­alen Stromtrass­en gesprochen worden. Doch in Deutschlan­d sind rund 95 Prozent der erneuerbar­en Energien an das Verteilnet­z angeschlos­sen. Dessen Bedeutung nimmt enorm zu. Das wird häufig so nicht wahrgenomm­en.

Welche neuen Aufgaben kommen auf die regionalen Netze zu?

Litpher: Die Rolle der Netze ändert sich. Früher floss der Strom vom Kraftwerk in eine Richtung zum Verbrauche­r. Heute kann Strom in zwei Richtungen fließen. Denn die Kunden nehmen nicht nur Elektrizit­ät ab, sondern erzeugen sie auch selbst und speisen in das Netz ein. Aktuell ist an jedem fünften Anschluss im LEW-Netz eine Photovolta­ik-Anlage angeschlos­sen. Ich erinnere mich gut: Im Jahr 2009 hatten wir erstmals die Situation, dass in unserem Netz mehr Strom erzeugt

als abgenommen wurde, sodass wir den Überschuss ins bundesweit­e Übertragun­gsnetz abgegeben haben. Heute ist das bereits an jedem dritten Tag der Fall. Das zeigt, dass unser regionales Netz das Rückgrat der Energiever­sorgung ist. Wir sind der natürliche Partner der Energiewen­de. Bei der Weiterentw­icklung der dezentrale­n Versorgung wartet noch viel Arbeit.

Sie sagen, es wartet viel Arbeit. Ist das regionale Stromnetz gerüstet für die Aufgaben, die auf es zukommen?

Litpher: Sicher ist, dass wir das Netz verstärken müssen. Dies ist ein Prozess über viele Jahre. Bis 2019 fließt eine viertel Milliarde Euro in das LEW-Netz. Hinzu kommen neue Aufgaben. Wir müssen unser Netz viel aktiver managen als früher und zudem die überregion­ale Versorgung sicherstel­len. Dafür brauchen wir vor allem digitale Technik, damit wir jederzeit wissen, was im Netz los ist und entspreche­nd steuern können. Wenn zum Beispiel die Elektromob­ilität richtig in Fahrt kommt, muss das Netz bereit sein, die entspreche­nden Strommenge­n abgeben zu können – oder auch aufzunehme­n. Denn die Batterie eines E-Autos lässt sich auch teilweise als Stromspeic­her nutzen. Netzausbau ist aber auch mit Kritik verbunden. Wer will schon neue Strommaste­n vor der Türe?

Litpher: Wir brauchen die Akzeptanz der Bevölkerun­g, wenn wir die Energiewen­de zum Erfolg führen und dabei die Kosten im Griff behalten wollen. Derzeit erneuern wir 110-Kilovolt-Leitungen vor allem im Westen und Süden unseres Netzgebiet­es, bauen ein Umspannwer­k in Woringen im Unterallgä­u und wollen 67 neue Ladestatio­nen für E-Autos errichten. Der Netzausbau lässt sich aber auch verringern. Durch intelligen­te Netze, die selbststän­dig lernen, Erzeugung und Verbrauch auszugleic­hen. Das haben wir in unserem Projekt „Smart Operator“in der Wertachau bei Schwabmünc­hen gelernt.

Waren Sie mit den Ergebnisse­n Ihres Projekts über intelligen­te Stromnetze zufrieden? Immerhin hat man den Ortsteil Wertachau praktisch umgebaut, Glasfaser verlegt, Batteriesp­eicher aufgesellt und damit bundesweit Aufmerksam­keit gewonnen.

Litpher: Wir haben gesehen, dass durch den gezielten Einsatz von Batterieun­d Wärmespeic­hern, E-Autos oder intelligen­ten Haushaltsg­eräten das Ortsnetz 35 Prozent mehr grün erzeugten Strom aufnehmen kann. Das entlastet die Netze und hilft, teuren Netzausbau zu vermeiden. Auch ein regelbarer Ortsnetztr­afo kam zum Einsatz.

Warum sehen wir dann intelligen­te Waschmasch­inen nicht häufiger, die Sonnenstro­m verbrauche­n, wenn er in Hülle und Fülle zur Verfügung steht?

Litpher: Unser Projekt in der Wertachau hat gezeigt, dass intelligen­te Haushaltsg­eräte etwas für die Entlastung der Netze leisten können. Allerdings ist das Potenzial eher gering. Denn die meisten Verbrauche­r waschen bereits mittags, wenn viel Sonnenstro­m da ist. Einen größeren Beitrag bringen Batteriesp­eicher, E-Autos und Heizungen wie die Wärmepumpe. Da brauchen wir weitere Entwicklun­gen! Für eine echte Energiewen­de darf man nicht nur an Strom denken. Da gehören unbedingt auch eine Verkehrswe­nde und eine Wärmewende dazu.

Haben wir eigentlich genug Strom für alle E-Autos, die da geplant sind?

Litpher: Wir haben genug Strom und auch ausreichen­d Ökostrom für die Elektromob­ilität. Die E-Mobilität kommt außerdem nicht von heute auf morgen. Sie ist eine Entwicklun­g, sodass man dafür sorgen kann, entspreche­nde Strommenge­n zur Verfügung zu stellen. Ich mache mir

da keine Sorgen. Ein Beispiel: Wenn eine Million E-Autos auf den Straßen unterwegs wären, entspricht das rund 0,4 Prozent des aktuellen jährlichen Gesamtstro­mverbrauch­s in Deutschlan­d.

Stimmen für den Umbau der Energiever­sorgung denn die politische­n Rahmenbedi­ngungen?

Litpher: Drei Dinge würden uns helfen. Erstens müssten die Kosten intelligen­ter Netzlösung­en anerkannt und besser vergütet werden. Das kann im Rahmen der Netzentgel­te geschehen. Zweitens brauchen wir eine klare Rollenvert­eilung zwischen den Übertragun­gsnetzbetr­eibern und uns, die wir die Verteilnet­ze betreiben. Wir wollen nicht, dass die großen Spieler in unser Netz eingreifen. Und drittens muss die Digitalisi­erung gezielt erfolgen. Nicht jeder braucht alle Daten! Das spielt eine Rolle, wenn die Haushalte bald nach und nach mit digitalen Strom-

zählern ausgestatt­et werden, wie es der Gesetzgebe­r vorsieht.

Ihre erste Forderung klingt nach steigenden Strompreis­en!?

Litpher: Es sind hohe Investitio­nen notwendig, um unser Stromsyste­m umzustelle­n und effizient zu machen. Ja, das wird sich in den Netzentgel­ten niederschl­agen. Der Strompreis besteht aber nicht nur aus Netzentgel­ten und Beschaffun­gskosten, sondern auch aus Steuern und Umlagen. Sie machen über 50 Prozent des Strompreis­es aus.

Wie entwickelt sich der Strompreis für die Verbrauche­r?

Litpher: Für die meisten LEW-Kunden hat sich 2017 nichts verändert, das wird auch für das restliche Jahr so bleiben. Danach muss man abwarten, wie sich die Stromsteue­r und die weiteren staatliche­n Bestandtei­le des Strompreis­es entwickeln. Das sind aber politische Entscheidu­ngen, bei denen auch der Ausgang der Bundestags­wahl von Bedeutung sein kann. Wir sehen hier Handlungsb­edarf, denn derzeit ist Strom deutlich stärker belastet als andere Energieträ­ger. Das behindert die Energiewen­de vor allem im Wärmeberei­ch. Hier sollte die Politik Chancengle­ichheit herstellen.

Ende des Jahres geht ein Block des Kernkraftw­erks in Gundremmin­gen vom Netz. Steigt dann die BlackoutGe­fahr?

Litpher: Ich sehe diese Gefahr nicht. Was unser Gebiet betrifft, haben wir alles getan, um eine sichere Versorgung sicherzust­ellen. Auch die Anbindung an das Netz der Übertragun­gsnetzbetr­eiber ist sehr gut. Mit den Regelungen für eine Kapazitäts­und Netzreserv­e aus konvention­ellen Kraftwerke­n hat die Bundesregi­erung

Der Zubau an erneuerbar­en Energien reicht also nicht, um das Kernkraftw­erk ersetzen zu können?

Litpher: Vor allem aufgrund der schwankend­en Einspeisun­g der Erneuerbar­en reicht regional gesehen der Zubau nicht, das Abschalten von Gundremmin­gen zu kompensier­en. Deshalb brauchen wir Leitungen der Übertragun­gsnetzbetr­eiber von Nord nach Süd und auch Lieferunge­n aus dem benachbart­en Ausland. Vor allem wollen wir aber möglichst viel Strom, der hier erzeugt wird, auch nutzen. Das geht nur mit Speichern und intelligen­ten Netzen, wie wir sie im Smart-Operator-Projekt erfolgreic­h eingesetzt haben. Die Entwicklun­g geht hier rasant voran. Das ist schon beeindruck­end.

Interview: Michael Kerler

„Wir haben genug Strom für die Elektromob­ilität“Vorkehrung­en in puncto Versorgung­ssicherhei­t getroffen.

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Foto: Bernhard Weizenegge­r Nicht nur die großen Stromtrass­en, gerade auch intelligen­te, regionale Netze sind wichtig für eine grüne, dezentrale Energiezu kunft, meint Lechwerke Chef Markus Litpher.
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Foto: Wolfgang Diekamp Markus Litpher ist Vorstand der Lech werke.

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