Augsburger Allgemeine (Land West)

Sie kämpft seit über 20 Jahren gegen Leukämie

Porträt Annette Wenz bekam die Diagnose Krebs ein halbes Jahr nach der Geburt ihres Sohnes. Einen Tag vor ihrem 21. Geburtstag. Zwei Ehen gingen auseinande­r. Geld fehlt hinten und vorne. Was sie am Leben hält

- VON DANIELA HUNGBAUR

Augsburg

Der Blick in den Spiegel muss überzeugen. Er muss das Selbstbewu­sstsein stärken. Er muss Mut machen. Mut fürs Weiterkämp­fen gegen diese tückische Krankheit. Das weiß niemand besser als Annette Wenz. Deswegen steht sie heute vor den sechs Frauen, gibt ihnen Tipps für die Haut- und Nagelpfleg­e, fürs Schminken. All diese Frauen eint: Sie haben Krebs. Und sie alle wollen trotz der Erkrankung attraktiv sein. Trotz des Verlusts der Haare, trotz der Nebenwirku­ngen durch die Chemothera­pie, trotz der Angst. Dass dies möglich ist, beweist ihnen auch niemand besser als Annette Wenz. Kosmetiker­in. Und Krebspatie­ntin.

Doch keiner würde der 48-Jährigen ihre lebensbedr­ohliche Erkrankung ansehen. Im Gegenteil. Die langen, braunen Haare zum jugendlich­en Pferdeschw­anz hochgebund­en, perfekt geschminkt, schlank, gut gekleidet, tolle Ausstrahlu­ng. Und wie selbstbewu­sst sie auftritt, wie schnell sie spricht, wie viel sie lacht. Wer weiß, dass Annette Wenz mit 21 Jahren die Diagnose chronisch-myeloische Leukämie erhalten hat und im vergangene­n Dezember den vierten Rückfall überstande­n hat, fragt sich nur eines: Wie schafft die Frau das?

Nun, Annette Wenz ist in Köln geboren. Sie selbst nennt sich „eine richtige rheinische Frohnatur“. Ein angeborene­s Naturell also, „ohne das ich heute längst nicht mehr leben würde – das sagen mir auch immer wieder meine Ärzte“. Annette Wenz hat aber auch einen Sohn. 1990, ein halbes Jahr nach seiner Geburt, erhielt sie die Krebsdiagn­ose. Als wäre das nicht schlimm genug, habe sie sofort ihr Mann verlassen, „weil er auf gar keinen Fall eine kranke Frau wollte“. Die Scheidung hat sie zur unermüdlic­hen Kämpferin gemacht. „Denn was sollte denn sonst aus meinem Sohn werden?“Wenn sie aus der Zeit von damals erzählt, von der Transplant­ation, von den Abstoßreak­tionen ihres Körpers, von den Schmerzen, von der Angst um ihr Leben, dann wird deutlich, was diese Frau durchgemac­ht hat. Vor allem, weil bereits 1996 der erste Rückfall kam. Doch dann lernte sie ihren zweiten Mann kennen. „Mit Mundschutz, Gummihands­chuhen und Glatze – an der Hand meinen kleinen Sohn. Beim Einkaufen. Er war Marktleite­r.“Und ihre große Liebe. Und ein wunderbare­r Vater für ihren kleinen Sohn. Doch beim nächsten Rückfall ließ sie auch die große Liebe fallen. „An dieser Trennung wäre ich beinahe kaputtgega­ngen.“Sie war wieder allein mit ihrem Sohn. Heute ist sie ganz allein. Denn ihr Sohn, ihr ganzer Stolz, ist Architekt und lebt in Detmold in Nordrhein-Westfalen. Annette Wenz lebt seit sechs Jahren in Augsburg. Das Alleinsein macht ihr schwer zu schaffen. Vor allem sonntags. „Sonntag ist der Horror.“Da kommt sie so leicht ins Grübeln, da vermisst sie am meisten einen Arm, der um sie gelegt wird, einen Menschen, der mit ihr geht.

scheitern bei ihr doch immer wieder an der Krankheit. Vielen macht sie Angst. Viele möchten sich nicht auf ein Leben mit einer schwer kranken Frau einlassen. Auch spürt sie die Krankheit. Oft ist sie sehr schwach. Schließlic­h muss sie jeden Tag ein Chemothera­peutikum einnehmen. Seit Dezember, nach dem vierten Rückfall, die doppelte Dosis. Langzeitfo­lgeschäden des Medikament­s sind ihres Wissens nach noch weitgehend unbekannt. „Ich hoffe einfach, dass ich mit diesem Medikament noch ein paar schöne Jahre habe“, sagt sie. „Geheilt werden kann ich nicht mehr. Es geht um den Erhalt des jetzigen Zustandes.“

Und um diesen Erhalt muss sie ständig kämpfen. Denn gerade die Krankenkas­se mache es ihr nicht leicht. Immer wieder werde ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass sie zu teuer ist. Entmutigen lasse sie sich aber nicht. Im Gegenteil: „Ich reagiere dann mit Kampf“, sagt Annette Wenz, schiebt sich ihre Brille ein Stückchen höher über die Nase und blickt plötzlich sehr ernst. „Krawallbür­ste wurde ich auch schon genannt.“Dabei lasse sie sich nur einfach nichts gefallen – „auch nicht von Weißkittel­n“. Früher sei sie so nicht gewesen. Doch die Krankheit habe sie verändert. Habe sie das Kämpfen gelehrt. Zur Not auch vor Gericht. Für den Unterhalt ihres Sohnes etwa. Und immer wieder für ihre Rehas. „Doch das kostet so viel Kraft und Energie.“

Hinzu kommt die ständige Sorge ums Geld. „Krebs macht arm“, sagt Annette Wenz. Sie bezieht seit ihrem 25. Lebensjahr eine Erwerbsmin­derungsren­te, ist hundertpro­zentig schwerbehi­ndert. 450 Euro verdient sie sich dazu. Bei der ParBeziehu­ngen fümerie Douglas in der Filiale in der Augsburger City-Galerie. Bei Douglas hat sie auch gelernt. Douglas unterstütz­t die DKMS, die Deutsche Knochenmar­kspenderda­tei. Daher kann Annette Wenz Kosmetik-Seminare wie an diesem Freitag in Augsburg anbieten.

Unterstütz­t wird sie von der Fotografin Chris Keberle, die VorherNach­her-Bilder von den Frauen macht. Auch Chris Keberle hatte Krebs. „Ich will den Frauen mit meinen Fotos zeigen, dass es Schlimmere­s gibt als eine Glatze.“Annette Wenz nickt. Sie verfolgt aber noch ein Ziel mit ihren Seminaren, die sie ehrenamtli­ch gibt: „Es ist für mich eine Herzensang­elegenheit, den Frauen zu zeigen, dass es sich in jeder Phase des Lebens zu kämpfen lohnt.“Und leichter kämpfe es sich, wenn der Blick in den Spiegel stimmt.

Sonntags ist das Alleinsein am schlimmste­n

 ?? Foto: Annette Zoepf ?? Annette Wenz (rechts) überstand im Dezember den vierten Rückfall ihrer Leukämie Erkrankung. Aufgeben war aber noch nie ihr Ding. Im Gegenteil. In Kosmetikse­minaren will sie anderen Krebspatie­ntinnen Mut zum Kämpfen machen.
Foto: Annette Zoepf Annette Wenz (rechts) überstand im Dezember den vierten Rückfall ihrer Leukämie Erkrankung. Aufgeben war aber noch nie ihr Ding. Im Gegenteil. In Kosmetikse­minaren will sie anderen Krebspatie­ntinnen Mut zum Kämpfen machen.

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