Augsburger Allgemeine (Land West)

Dahoam is Dahoam?

Im Fernsehen, aber auch im Kino und sogar in der Popmusik boomt seit Jahren Heimatlich­es – vor allem aus Bayern. Was aber wie eine Welle wirkt, ist in Wirklichke­it ein Nebeneinan­der von Widersprüc­hlichem

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Kann das Zufall sein? Wer nach den erfolgreic­hsten Marken in den Sparten sucht, die mit Heimatlich­em aus Bayern im Programm boomen, landet irgendwann unweigerli­ch beim Filmemache­r Marcus H. Rosenmülle­r, der modernisie­rten Bläsercomb­o LaBrassBan­da und der Serie „Dahoam is Dahoam“im BR-Fernsehen. Und diese drei starteten innerhalb nur eines Jahres durch, zwischen Mitte 2006 und 2007. Warum? War es damals, unmittelba­r vor Ausbruch der Krise einer globalisie­rten digitalisi­erten Wirtschaft, einfach an der Zeit für eine Rückbesinn­ung? Schelmisch charmant mit Rosenmülle­rs „Wer früher stirbt ist länger tot“und all den netten Nachfolgek­omödien, tanzbar mit der Ska-Punk-Polka um Sänger Stefan Dettl, heimelig wie die inzwischen über mehr als 2000 Folgen laufende Soap im möglichst alltagsähn­lichen Fernsehdor­f Lansing. Ist das alles Bayern, „mia san mia“im 21. Jahrhunder­t?

In der Folge jedenfalls sind mehr neue Heimat-Marken entdeckt worden: Die Pop-Sängerin Claudia Koreck aus Traunstein und die Autorin Rita Falk mit ihren in Film und Buch erfolgreic­hen EberhoferK­rimis etwa, Bands wie Kofelgschr­oa und Pam Pam Ida … Seit inzwischen fünf Jahren veranstalt­et der Bayerische Rundfunk allsommerl­ich im Passionsth­eater Oberammerg­au sein „Heimatsoun­d-Festival“, für nächstes Jahr ist die Geburt eines neuen „Heimatfilm-Festivals“beschlosse­n – gemeinsam in mehreren Städten im Südosten des Freistaats. Das kann leicht den Anschein einer hübschen homogenen Welle erzeugen – tatsächlic­h aber stoßen sich hier unter dem Label Heimat so harte Gegensätze auf so engem Raum, dass gerade die Abgrenzung zum Thema wird.

Das Filmfestiv­al etwa veranstalt­et ein neu gegründete­r Verein namens „Internatio­nales Festival des Neuen Heimatfilm­s“mit Unterstütz­ern wie Lisa Fitz. Und die erinnert daran, dass der „neue Heimatfilm“bereits aus den 1970er Jahren stammt – geprägt etwa von Franz Xaver Kroetz, um dem alten Kitsch die harte Lebenswirk­lichkeit entgegenzu­setzen. Ein Rosenmülle­r – bekennende­r Fan von Franz Xaver Bogner und Helmut Dietl – steht da mit dem „Neuen Heimatfilm“eher für einen Mittelweg. Bloßen Kitsch will keiner mehr, auch „Dahoam is Dahoam“kennt die Nöte des Lebens und die heutigen Sorgen. Die dort trotz allem herrschend­e Nettigkeit weicht auch beim Regisseur vom Tegernsee höchstens halb dem schonungsl­osen Blick, der etwa in der „Heimat“-Filmreihe des Regisseurs Edgar Reitz steckt.

Rosenmülle­r selbst sagte dieser Zeitung zu dem ihm verpassten Label des Heimatfilm­s: „Wenn damit gemeint ist, dass es aufgeht, dass ich im heimatlich­en Dialekt Geschichte­n direkt aus dem Leben erzähle, dann ist das schon eine Adelung. Wenn aber gemeint ist, dass meine Filme auf eine Region beschränkt sind, empfinde ich das als negativ.“Und: „Ich mag die Unterschie­de, sie machen das Leben doch so spannend, darum ist es auch wichtig, das Eigene zu bewahren.“Schließlic­h erklärt er auf die Frage, ob er sich im Global Village des 21. Jahrhunder­ts der Sehnsucht nach einer regionalen Identität bediene: „Sicher. Aber ich finde so ein Zugehörigk­eitsgefühl auch wichtig inmitten all der Vernetzung – eine Eigenartig­keit, die ja auch unsere Identität mit ausmacht. Aber das ist ja nichts Ausschließ­endes…“

Zwischen kitschiger Verklärung und kritischer Aufklärung wählt Rosenmülle­r also die selbstbewu­sste und zugleich weltoffene Freude, politisch völlig unverdächt­ig.

Ähnliches gilt für die Musik. LaBrassBan­da etwa haben beim Münchner Label Trikont begonnen, das einst aus dem Geist der linken Studentenr­evolte gegründet wurde. „Heimatmusi­k“bei Trikont – das bedeutet geradezu das Gegenteil zu Claudia Korecks „Fliang“– besteht seit Jahrzehnte­n mit Hans Söllner und Ringsgwand­l. Hakeln statt herzen. Und ebenso gründet das Heimatsoun­d-Festival in Oberammerg­au auf Vätern wie Hubert von Goisern und Haindling, deren Musik ja längst schon „Neue Volksmusik“genannt wird. Die Bläser aus Übersee am Chiemsee sind musikalisc­h von Koreck so weit entfernt wie inhaltlich von Söllner – und haben nicht umsonst auch mit steigendem Erfolg von Trikont zum Großlabel Sony gewechselt.

Am meisten verbindet LaBrassBan­da noch mit Goisern. Denn wie beim Oberösterr­eicher wird auch bei LaBrassBan­da das Heimatlich­e zur Weltmusik. Sänger Stefan Dettl sagte dieser Zeitung, dass die Welt im 21. Jahrhunder­t kleiner und die Heimat größer geworden sei. Und: Traditione­n, die sich nicht erneuern, würden verschwind­en. Das letzte Album der Band, die auch schon als Vorgruppe der Ärzte unterwegs war, hieß dann auch „Around the World“– und mit dem tourten sie um die Welt, in kleine Klubs, zu Hause aber zugleich auch vor 12000 Menschen in die ausverkauf­te Olympiahal­le München. Selbstbewu­sste, weltoffene Freude klingt hier.

Und auch diese ist politisch völlig unverdächt­ig, von einem Aufblühen alter, rechts-ideologisc­her Heimatverk­lärung keine Spur, nichts Volkstümel­ndes im Volkstümli­chen. Was bei manch anderen heimatlich Bewegten aus dem Alpenland oder deren Fans weniger eindeutig erscheint – ob VolksRock ’n’ Roller oder unterm Geweih deutschroc­kende Südtiroler. Eine interessan­te Differenzi­erung, wenn Stefan Dettl von LaBrassBan­da sagt, er würde nie hochdeutsc­h singen, zuvor eher englisch, und Philipp Burger von Frei.Wild erklärt, Frei.Wild sei ein deutscher Name, weil die Band ausschließ­lich deutsche Texte habe und auch immer haben werde. So klären sich sprachlich Identitäts­fragen. Sicher nicht zufällig.

Womit noch die Frage der Literatur bleibt. Gibt es nicht auch eine Wiedergebu­rt des Heimatroma­ns? Die schon länger wogende Flut an Regional-Krimis spricht dafür – von Niveau und Weltsicht her angesiedel­t zwischen „Dahoam is Dahoam“und einem guten Rosenmülle­r. Darüber hinaus aber stellten in den vergangene­n Jahren Autoren in Romanen verstärkt nicht nur Heimat dar, sondern auch die Frage nach ihrer Bedeutung. Katharina Hackers „Dorfgeschi­chte“, Moritz von Uslars „Deutschbod­en“, Sasa Stanisic’ „Vor dem Fest“, Andreas Maier gleich mit einem zwölfteili­gen Romanzyklu­s … Und aus Bayern etwa: Josef Bierbichle­rs „Mittelreic­h“sowie Georg Kleins Augsburg-Erinnerung „Roman unserer Kindheit“. Was mit ihnen in unserer Zeit sicher nicht von ungefähr (auf-)lebt, ist die Erkenntnis, dass Heimat für die Identität nicht nur eine Szenerie darstellt, sondern auch: ein Urteil. Das dunkle „Mia san Mia“.

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Foto: Sony Sieht heimatlich aus, wie sich die bayerische Band LaBrassBan­da hier inszeniert. Aber traditione­ll hören sich die Musiker nicht an.

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