Augsburger Allgemeine (Land West)
Wie Augsburg mit seinen Tauben umgeht
Vertreiben lassen sich die standorttreuen Vögel kaum. Deshalb versucht die Stadt, mit Taubenschlägen und -türmen die Population auf bestimmte Orte zu konzentrieren. Nicht allen gefällt das
Augsburg An der Taube scheiden sich die Geister. Für die einen ist sie ein willkommener Gast auf dem Balkon, der durch reichliches Füttern angelockt wird. Den anderen sind die Taubenschwärme in der Nachbarschaft ein Graus; sie fürchten den ätzenden Kot der Tiere und Krankheiten, die sie übertragen könnten. Zweifellos haben in manchen Stadtregionen die Taubenpopulationen überhandgenommen. Aber mit dem „Augsburger Taubenmodell“könnte das Problem in den Griff zu bekommen sein. Kürzlich wurde in diesem Zusammenhang das Fundament für einen neuen Taubenturm im Herrenbach gelegt.
An diesem Turm an der Einmündung der Heinestraße in den Alten Heuweg sollen sich die Tauben sammeln, die bisher das Schwabencenter und die umliegenden Wohnanlagen bevölkerten und dort immer wieder für Streit unter den Bewohnern sorgten. Sie werden hier gefüttert, ihre Gelege werden überwacht und die Eier durch Attrappen aus Holz oder Plastik ersetzt. Auf diese Weise soll die Zahl der Vögel auf schonende Weise zurückgehen.
Für manche Bürger ist es schwierig zu verstehen, warum man die Tauben nicht vertreibt oder lieber gleich tötet – durch Gift oder indem Falkner auf sie angesetzt werden. Sabina Gassner, Geschäftsführerin des Augsburger Tierschutzvereins derzeit auch Leiterin des Taubenmodells, holt etwas aus, um das Vorgehen zu erklären: Tauben wurden bis ins vergangene Jahrhundert häufig als Haustiere auf Dachböden gehalten. Sie wurden gezüchtet, aus denselben Gründen, aus denen man Kaninchen oder andere Kleintiere hält, und sie dienten auch als Brieftauben. Diese Zeiten sind vorbei; fast alle Tiere wurden in die Freiheit entlassen, wo sie sich nun ungehindert vermehren. Tauben sind laut Gassner vor allem da anzutreffen, wo das Futterangebot für sie gut ist: auf öffentlichen Plätzen, wo es viel Gastronomie gibt und halb aufgegessene Döner oder Wurstsemmeln in den Ecken liegen. Oder wo sie regelmäßig gefüttert werden. Tauben sind bei ihrem Speiseplan nicht wählerisch, aber ihr ätzender Kot rührt nach Aussage von Gassner vor allem von der oft nicht artgerechten Nahrung her. Der natürliche Lebensraum mancher Taubenarten ist der Wald, viele bewohnen aber in freier Natur auch Felsenhänge. Daund her fühlen sie sich an hohen Gebäuden oder Mauern heimisch. Eine weitere Besonderheit ist ihr guter Orientierungssinn, weshalb sie auch in vordigitalen Zeiten zur Nachrichtenübermittlung eingesetzt wurden. Tauben finden untrüglich nach Hause zurück und sind außerdem sehr standorttreu. Gassner zieht daraus folgende Schlüsse: Tauben zu verjagen oder zu vergrämen, bringt nichts, da sie immer wieder zu ihrem Nest zurückkehren. Werden sie zur Plage, so ist das ein menschengemachtes Problem, auch, weil sie gerade da, wo es viele Menschen und daher ausreichend Essensabfälle gibt, gut überleben können. Bauwerke durch Sporne oder Netze zu schützen, hilft höchstens punktuell. Tauben zu töten, kommt aber für Gassner nicht infrage: „Tiere dürfen nicht ohne Grund getötet werden.“Wie aber steht es mit der Infektionsgefahr durch Tauben und ihren Kot? Es sei nicht wahr, dass Tauben Krankheiten übertragen – das Augsburger Taubenmodell gibt es seit 20 Jahren. Seither sei bei den Helfern kein einziger Krankheitsfall aufgetreten. Wie ist nun dieses Modell organisiert? Im Stadtgebiet gibt es derzeit zwei Taubentürme (neben dem im Herrenbach in Göggingen) und zehn Taubenschläge, die von ehrenamtlichen Helfern betreut werden. Die Standorte sind recht unterschiedlich. Einer konnte ohne großen Aufwand im Parkhaus in der Bleriotstraße (nahe der Uni) eingerichtet werden. Andere befinden sich im städtischen Verwaltungsgebäude in der Maximilianstraße, in der Stadtmetzg, im Roten Tor, im Oberhauser Bahnhof oder im Dominikanerinnenkloster St. Ursula. Häufig dienen alte Regale als Nistplatz. Die Helfer kommen je nach Zahl der dort untergebrachten Tauben (zwischen 50 und 300) täglich oder zweimal pro Woche, um Futter und Wasser aufzufüllen, den Schlag zu reinigen und sich gegebenenfalls um kranke oder verletzte Tauben zu kümmern. Sie achten auch darauf, dass die Bestände stabil bleiben. Dass das Modell funktioniert, ist nach Aussage von Gassner beweisbar: Auf dem Rathausplatz gebe es wenige Tauben, denn in der Nähe seien zwei betreute Taubenschläge. Anders am Hauptbahnhof, denn dort fehlten Taubenstützpunkte.
Das Projekt startete 1997; mit initiiert wurde es von Rudolf Reichert von der Initiative gegen Tierversuche und Ausbeutung der Tiere. Altersbedingt zog sich Reichert vor einem Jahr von der Aufgabe zurück. Derzeit gibt es sechs Helfer; sie kümmern sich jeweils um mehrere Taubenschläge. Die Sach- und Organisationskosten sowie Aufwandsentschädigungen zahlt die Stadt. Es ist vorgesehen, Schritt für Schritt weitere Taubenschläge zu schaffen, wo es ein Taubenproblem gibt. Laut Gassner wären weitere Freiwillige, etwa auch als Urlaubsvertretung, willkommen. Sie müssten allerdings verantwortungsbewusst und zuverlässig sein. Melden können sich Interessenten beim Tierschutzverein (Sabina Gassner oder Andrea Strauß), Holzbachstraße 4c, unter Telefon 4552900 oder im Internet unter www.tierschutz-augsburg.de.
Leider war es für unsere Zeitung nicht möglich, mit einem der Helfer zu sprechen oder ihn bei seiner Arbeit zu begleiten. Wegen der Furcht vor Angriffen der Taubengegner sei keiner bereit, sich in die Öffentlichkeit zu begeben, so Gassner.