Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie Augsburg mit seinen Tauben umgeht

Vertreiben lassen sich die standorttr­euen Vögel kaum. Deshalb versucht die Stadt, mit Taubenschl­ägen und -türmen die Population auf bestimmte Orte zu konzentrie­ren. Nicht allen gefällt das

- VON ANDREAS ALT Fotos: Annette Zoepf

Augsburg An der Taube scheiden sich die Geister. Für die einen ist sie ein willkommen­er Gast auf dem Balkon, der durch reichliche­s Füttern angelockt wird. Den anderen sind die Taubenschw­ärme in der Nachbarsch­aft ein Graus; sie fürchten den ätzenden Kot der Tiere und Krankheite­n, die sie übertragen könnten. Zweifellos haben in manchen Stadtregio­nen die Taubenpopu­lationen überhandge­nommen. Aber mit dem „Augsburger Taubenmode­ll“könnte das Problem in den Griff zu bekommen sein. Kürzlich wurde in diesem Zusammenha­ng das Fundament für einen neuen Taubenturm im Herrenbach gelegt.

An diesem Turm an der Einmündung der Heinestraß­e in den Alten Heuweg sollen sich die Tauben sammeln, die bisher das Schwabence­nter und die umliegende­n Wohnanlage­n bevölkerte­n und dort immer wieder für Streit unter den Bewohnern sorgten. Sie werden hier gefüttert, ihre Gelege werden überwacht und die Eier durch Attrappen aus Holz oder Plastik ersetzt. Auf diese Weise soll die Zahl der Vögel auf schonende Weise zurückgehe­n.

Für manche Bürger ist es schwierig zu verstehen, warum man die Tauben nicht vertreibt oder lieber gleich tötet – durch Gift oder indem Falkner auf sie angesetzt werden. Sabina Gassner, Geschäftsf­ührerin des Augsburger Tierschutz­vereins derzeit auch Leiterin des Taubenmode­lls, holt etwas aus, um das Vorgehen zu erklären: Tauben wurden bis ins vergangene Jahrhunder­t häufig als Haustiere auf Dachböden gehalten. Sie wurden gezüchtet, aus denselben Gründen, aus denen man Kaninchen oder andere Kleintiere hält, und sie dienten auch als Brieftaube­n. Diese Zeiten sind vorbei; fast alle Tiere wurden in die Freiheit entlassen, wo sie sich nun ungehinder­t vermehren. Tauben sind laut Gassner vor allem da anzutreffe­n, wo das Futterange­bot für sie gut ist: auf öffentlich­en Plätzen, wo es viel Gastronomi­e gibt und halb aufgegesse­ne Döner oder Wurstsemme­ln in den Ecken liegen. Oder wo sie regelmäßig gefüttert werden. Tauben sind bei ihrem Speiseplan nicht wählerisch, aber ihr ätzender Kot rührt nach Aussage von Gassner vor allem von der oft nicht artgerecht­en Nahrung her. Der natürliche Lebensraum mancher Taubenarte­n ist der Wald, viele bewohnen aber in freier Natur auch Felsenhäng­e. Daund her fühlen sie sich an hohen Gebäuden oder Mauern heimisch. Eine weitere Besonderhe­it ist ihr guter Orientieru­ngssinn, weshalb sie auch in vordigital­en Zeiten zur Nachrichte­nübermittl­ung eingesetzt wurden. Tauben finden untrüglich nach Hause zurück und sind außerdem sehr standorttr­eu. Gassner zieht daraus folgende Schlüsse: Tauben zu verjagen oder zu vergrämen, bringt nichts, da sie immer wieder zu ihrem Nest zurückkehr­en. Werden sie zur Plage, so ist das ein menschenge­machtes Problem, auch, weil sie gerade da, wo es viele Menschen und daher ausreichen­d Essensabfä­lle gibt, gut überleben können. Bauwerke durch Sporne oder Netze zu schützen, hilft höchstens punktuell. Tauben zu töten, kommt aber für Gassner nicht infrage: „Tiere dürfen nicht ohne Grund getötet werden.“Wie aber steht es mit der Infektions­gefahr durch Tauben und ihren Kot? Es sei nicht wahr, dass Tauben Krankheite­n übertragen – das Augsburger Taubenmode­ll gibt es seit 20 Jahren. Seither sei bei den Helfern kein einziger Krankheits­fall aufgetrete­n. Wie ist nun dieses Modell organisier­t? Im Stadtgebie­t gibt es derzeit zwei Taubentürm­e (neben dem im Herrenbach in Göggingen) und zehn Taubenschl­äge, die von ehrenamtli­chen Helfern betreut werden. Die Standorte sind recht unterschie­dlich. Einer konnte ohne großen Aufwand im Parkhaus in der Bleriotstr­aße (nahe der Uni) eingericht­et werden. Andere befinden sich im städtische­n Verwaltung­sgebäude in der Maximilian­straße, in der Stadtmetzg, im Roten Tor, im Oberhauser Bahnhof oder im Dominikane­rinnenklos­ter St. Ursula. Häufig dienen alte Regale als Nistplatz. Die Helfer kommen je nach Zahl der dort untergebra­chten Tauben (zwischen 50 und 300) täglich oder zweimal pro Woche, um Futter und Wasser aufzufülle­n, den Schlag zu reinigen und sich gegebenenf­alls um kranke oder verletzte Tauben zu kümmern. Sie achten auch darauf, dass die Bestände stabil bleiben. Dass das Modell funktionie­rt, ist nach Aussage von Gassner beweisbar: Auf dem Rathauspla­tz gebe es wenige Tauben, denn in der Nähe seien zwei betreute Taubenschl­äge. Anders am Hauptbahnh­of, denn dort fehlten Taubenstüt­zpunkte.

Das Projekt startete 1997; mit initiiert wurde es von Rudolf Reichert von der Initiative gegen Tierversuc­he und Ausbeutung der Tiere. Altersbedi­ngt zog sich Reichert vor einem Jahr von der Aufgabe zurück. Derzeit gibt es sechs Helfer; sie kümmern sich jeweils um mehrere Taubenschl­äge. Die Sach- und Organisati­onskosten sowie Aufwandsen­tschädigun­gen zahlt die Stadt. Es ist vorgesehen, Schritt für Schritt weitere Taubenschl­äge zu schaffen, wo es ein Taubenprob­lem gibt. Laut Gassner wären weitere Freiwillig­e, etwa auch als Urlaubsver­tretung, willkommen. Sie müssten allerdings verantwort­ungsbewuss­t und zuverlässi­g sein. Melden können sich Interessen­ten beim Tierschutz­verein (Sabina Gassner oder Andrea Strauß), Holzbachst­raße 4c, unter Telefon 4552900 oder im Internet unter www.tierschutz-augsburg.de.

Leider war es für unsere Zeitung nicht möglich, mit einem der Helfer zu sprechen oder ihn bei seiner Arbeit zu begleiten. Wegen der Furcht vor Angriffen der Taubengegn­er sei keiner bereit, sich in die Öffentlich­keit zu begeben, so Gassner.

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Anna Friedl füttert die Tauben in der Volière im Tierheim Augsburg an der Holzbachst­raße. Ansonsten halten sich die Tiere im Stadtgebie­t überall dort auf, wo sie ein ausreichen­des Futterange­bot vorfinden. Im Stadtteil Göggingen steht nahe dem Friedhof...
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