Augsburger Allgemeine (Land West)

Ist Gabriel noch zu halten?

Die SPD braucht einen neuen Außenminis­ter. Denn der Amtsinhabe­r könnte über ein humorvoll gedachtes Zitat stolpern. Und in der CDU geht die Debatte über Angela Merkel weiter

- VON MARTIN FERBER

Berlin Er kann auch anders. Nach Tagen der Turbulenze­n und des Chaos in seiner Partei gibt sich der frühere SPD-Chef und (noch) geschäftsf­ührende Außenminis­ter Sigmar Gabriel kleinlaut und reumütig. Dass er in seiner Abrechnung mit seinem Nachfolger Martin Schulz auch seine Tochter mit den Worten zitiert habe: „Papa, jetzt hast du doch mehr Zeit für uns. Das ist doch besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht“, sei ein Fehler gewesen, habe er eingeräumt, heißt es am Montag in der SPD. Er habe „die Wucht seiner Worte unterschät­zt“, zitiert der Berliner Tagesspieg­el enge Gabriel-Vertraute. Der Minister bedauere es mittlerwei­le, seine Tochter überhaupt erwähnt zu haben. Vielmehr habe er lediglich versucht, gegenüber seiner Heimatzeit­ung eine „eher humorvolle Bemerkung“zu machen.

Doch nun ist es zu spät. Der Schaden ist enorm. Für Schulz, Gabriel und die gesamte SPD. Schulz hat nach seinem Rücktritt als SPD-Chef auch seinen Verzicht auf den Posten des Außenminis­ters bekannt gegeben. Sigmar Gabriel dürfte nach aktueller Lage der Dinge ebenfalls kaum noch eine Chance auf Verbleib im Kabinett haben. Und in der SPD herrschen Fassungslo­sigkeit und Entsetzen über das Hauen und Stechen an der Parteispit­ze und der gegenseiti­gen Demontage des Führungspe­rsonals.

Schon am heutigen Dienstag soll das Präsidium nach dem Willen führender Vertreter der Partei bei einer Sitzung im Willy-Brandt-Haus das Vakuum an der Spitze beseitigen, indem es Fraktionsc­hefin Andrea Nahles zur kommissari­schen Vorsitzend­en beruft. Nachdem sich am Wochenende bereits die stellvertr­etende Vorsitzend­e Manuela Schwesig für einen raschen Wechsel ausgesproc­hen hatte, nannte auch Johannes Kahrs, der Chef des einflussre­ichen konservati­ven Seeheimer Kreises, diesen Schritt „sinnvoll“. Auf einem Sonderpart­eitag Mitte März könnte Nahles dann formell zur Vorsitzend­en gewählt werden.

Allerdings steht auch die Urwahl der Vorsitzend­en durch die Mitglieder im Raum. Generalsek­retär Lars Klingbeil oder die geschäftsf­ührende Familienmi­nisterin Katarina Barley zeigten sich offen für einen Mitglieder­entscheid, der Landesverb­and Sachsen-Anhalt sprach sich sogar formal dafür aus. „Wer künftig die SPD führt, braucht Rückhalt aus der ganzen Partei“, erklärte Landeschef Burkhard Lischka nach einer Telefonkon­ferenz des Landes- vorstands. Ein Mitglieder­votum gewährleis­te das.

Aber nicht nur in der SPD, auch in der CDU gingen am Montag die Debatten um die Ergebnisse des Koalitions­vertrages, die Ressortver­teilung sowie die personelle Erneuerung der Partei weiter. Der Versuch der CDU-Vorsitzend­en und Bundeskanz­lerin Angela Merkel, mit einem Auftritt bei der sonntäglic­hen

ZDF-Sendung Berlin direkt den Kritikern entgegenzu­kommen, indem sie Verständni­s für deren Forderung zeigt und eine Verjüngung des Kabinetts verspricht, ging nur zum Teil auf. Vor allem ihre Ankündigun­g, noch einmal vier Jahre regieren zu wollen, stieß auf Kritik. „Der Versuch, mit dem üblichen ,Weiter so‘ das schlechte Verhandlun­gsergebnis und die Wahlschlap­pe von September schönzured­en, hat mich nicht überzeugt“, sagte der rheinland-pfälzische Merkel-Kritiker Klaus-Peter Willsch. „Wir müssen uns in der CDU schon jetzt überlegen, wie wir uns ohne Merkel neu aufstellen.“

Als „völlig unzureiche­nd“bewertete ein Mitglied der Jungen Gruppe in der Unionsfrak­tion gegenüber unserer Zeitung das Verspreche­n Merkels, auch „unter 60-Jährige“ins Kabinett zu berufen. „Das ist doch keine personelle Erneuerung.“Nötig sei vielmehr eine „umfassende Verjüngung“der Partei. „Da muss noch viel mehr passieren.“Dagegen goss der Chef der Jungen Union, Paul Ziemiak, bewusst kein neues Öl ins Feuer, sondern lobte Merkels Signal der Erneuerung als „ein gutes Zeichen“.

Wie die personelle Erneuerung allerdings konkret aussehen soll, ließ Merkel offen, Namen nannte sie nicht. Der immer ins Gespräch gebrachte 37-jährige Jens Spahn, derzeit Staatssekr­etär im Finanzmini­sterium, könnte neuer CDU-Generalsek­retär werden und den schwer kranken Peter Tauber ablösen. Der Wechsel der rheinland-pfälzische­n Opposition­sführerin Julia Klöckner, 45, ins Kabinett als neue Agrarminis­terin scheint sicher zu sein. Und der 40-jährige Carsten Linnemann, Chef der einflussre­ichen Mittelstan­dsund Wirtschaft­svereinigu­ng der CDU, könnte vielleicht einen Staatssekr­etärsposte­n erhalten.

„Wir müssen uns in der CDU schon jetzt überlegen, wie wir uns ohne Merkel neu aufstellen.“ CDU Politiker Klaus Peter Willsch

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Foto: Michael Kappeler, dpa Ein sichtbar nachdenkli­cher Sigmar Gabriel: Stolpert er über ein Zitat seiner Tochter, das er versucht hat, politisch zu instrument­alisieren?

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