Augsburger Allgemeine (Land West)

„Viele wissen nicht mehr, was ihr Essen wert ist“

Jan Plagge ist Präsident des Anbauverba­nds Bioland. Im Gespräch erklärt er, warum Bio-Lebensmitt­el nicht teuer sein müssen und weshalb er der Meinung ist, dass Verbrauche­r im Supermarkt oft getäuscht werden

- Viele Verbrauche­r klagen aber, dass ihnen Bio-Lebensmitt­el zu teuer sind. Das klingt nach einer Art Teufelskre­is … Interview: Sarah Schierack

Herr Plagge, sind Lebensmitt­el in Deutschlan­d zu günstig? In vielen anderen Ländern kosten Fleisch, Milch oder Eier mehr. Hierzuland­e wollen viele Verbrauche­r das aber offenbar nicht zahlen.

Jan Plagge: Das ist tatsächlic­h so. Dahinter steckt aber ein Denkfehler. Denn die billigen Lebensmitt­el sind in Wirklichke­it wahnsinnig teuer.

Das müssen Sie erklären. Was ist an einem Hähnchenfi­let für 2,99 ¤ teuer?

Plagge: Die indirekten Kosten, die wir für dieses Lebensmitt­el zahlen, sind immens. Durch die industriel­le Landwirtsc­haft wird das Grundwasse­r stark belastet, dadurch steigen die Trinkwasse­rpreise. Die Landschaft verarmt, wir setzen die ökologisch­e Vielfalt unserer Kulturland­schaft und das Klima aufs Spiel.

Wann ist ein Preis aus Ihrer Sicht dann fair?

Plagge: Wenn sich die gesamte Wertschöpf­ungskette vom Landwirt über den Hersteller bis zum Handel darin widerspieg­elt und alle an der Produktion Beteiligte­n davon langfristi­g leben können. Und natürlich muss der Preis auch fair für den Verbrauche­r sein. Das heißt, dass er auch mit einem durchschni­ttlichen Einkommen die Chance hat, sich regionale und frische Lebensmitt­el zu kaufen, bei deren Herstellun­g Umwelt und Tiere geachtet werden. Plagge: Wenn man bewusst mit frischen Lebensmitt­eln und abfallarm kocht, dann sind diese in der Regel nicht teuer, auch nicht, wenn sie bio sind. Was das Essen teuer macht, sind die Verarbeitu­ng und viele Fertigprod­ukte. Klar ist aber auch: Je mehr Bio-Produkte es gibt, desto günstiger wird bio auch. Im Moment haben wir noch einen Strukturna­chteil durch die kleineren Ver- und die aufwendige­re Handelslog­istik. Solange der Bio-Markt noch zu klein ist, ist bio also automatisc­h ein wenig teurer.

Der Verbrauche­r hat im Supermarkt heute unheimlich viel Angebot. Wie soll er da noch einschätze­n können, ob ein Preis angemessen ist?

Plagge: Es ist Fakt, dass viele gar nicht mehr wissen, was ihr Essen wert ist. Aber man kann diese Verantwort­ung auch nicht allein dem Kunden überlassen. Keiner von uns hat im Alltag die Zeit, die Produktion­sbedingung­en hinter einem Angebot von Aldi und einem aus dem Bioladen zu vergleiche­n. Es ist die Verantwort­ung von Handel und Politik, hier Aufklärung zu leisten.

Inwiefern?

Plagge: Es ist ein Unding, dass manche Hersteller immer noch durch Bilder suggeriere­n dürfen, ihre Milch käme aus einer Berglandsc­haft von weidenden Kühen, obwohl die Kühe ganzjährig im Stall stehen. Das ist eine Täuschung des Kunden. Vor allem aber brauchen wir eine transparen­te, mehrstufig­e Kennzeichn­ung aller Fleischpro­dukte, damit der Verbrauche­r entscheide­n kann, aus welchem Haltungssy­stem die Produkte stammen, die er kauft.

Sie meinen eine Kennzeichn­ung analog zu der der Eier?

Plagge: Genau, der Kunde kann heute genau erkennen, wie die Hennen

gehalten wurden, die seine Eier legen. Am Anfang war in diesem System auch noch die Käfighaltu­ng dabei. Als aber plötzlich auf dem Ei stand, dass die Tiere im Käfig leben, haben Verbrauche­r das nicht mehr akzeptiert. Der Handel hat Eier aus Käfighaltu­ng daraufhin abgeschaff­t – bevor die Haltungsar­t gesetzlich verboten wurde. Genauso wird es auch beim Fleisch sein.

Der Discounter Lidl will nun einen entspreche­nden Haltungsko­mpass einführen. Was halten Sie davon?

Plagge: Das geht in die richtige Richtung. Die Voraussetz­ung ist aber, dass die Bundesregi­erung das zu einem verpflicht­enden System macht. Es ist eigentlich beschäarbe­itungsstät­ten mend, dass sie das nicht schon längst durchgeset­zt hat und dass ein Discounter wie Lidl nun so etwas machen muss.

Zur Grünen Woche in Berlin haben wieder Zehntausen­de gegen das Agrarsyste­m protestier­t. Was ist aus Ihrer Sicht das größte Problem?

Plagge: Dass das Geld der Steuerzahl­er mit der Gießkanne verteilt wird. In Deutschlan­d hat ein Landwirt keinen Anreiz, mehr für den Schutz der öffentlich­en Güter zu machen, also in Tierschutz oder Umweltschu­tz zu investiere­n. Das ist eine ineffizien­te Verwendung von Steuergeld­ern. Der Bürger hat nichts davon, weil seine Gelder nur breit verteilt werden und die Probleme, die aus einer industriel­len Landwirtsc­haft resultiere­n, nicht gelöst werden. Dagegen gehen die Leute auf die Straße.

Was wäre die Alternativ­e?

Plagge: Zielgerich­tet die Betriebe, die mehr für Umwelt- und Tierschutz tun wollen, dafür zu honorieren. Aktuell ist es so, dass die Landwirte, die mehr düngen, auch mehr ernten und dadurch mehr verdienen. Landwirte, die sich stattdesse­n darum kümmern, das Wasser sauber zu halten, bekommen dafür kein Geld. Plagge: Das ist es auch. Sobald ich als Landwirt mehr für Tierwohl, Natur und Umwelt mache, habe ich höhere Kosten. Der Ausweg ist die Transparen­z. Ein Kennzeichn­ungssystem wird dazu führen, dass die Bürger an der Ladentheke abstimmen, wie die Landwirtsc­haft sich entwickelt. Es wird auch weiterhin einen Markt für günstige Massenware geben. Aber daneben gibt es einen wachsenden Markt für regionale, biologisch­e Qualitätsp­rodukte.

Der Großteil der Bauern wird sich dann umstellen müssen. Wie sieht Ihr Modell der neuen Landwirtsc­haft aus?

Plagge: Die Landwirtsc­haft muss weg von der Maxime, immer günstiger zu produziere­n, um am Weltmarkt mithalten zu können. Stattdesse­n muss sie sich an den Bedürfniss­en der Menschen vor Ort orientiere­n. Dann komme ich automatisc­h auf eine andere Landwirtsc­haft. Bauern kümmern sich dann auch darum, das Trinkwasse­r sauber zu halten, die Umwelt zu pflegen

„Die Landwirtsc­haft muss weg von der Maxime, immer günstiger zu produziere­n.“

und Lebensmitt­el herzustell­en, für deren Produktion Tiere so gehalten werden, dass Verbrauche­r sich das jederzeit anschauen könnten.

Aber laufen Landwirte nicht Gefahr, dann weniger zu verdienen?

Plagge: Wenn ich mein Betriebssy­stem darauf ausrichte, was gut für Mensch, Natur und Umwelt ist, dann schaffe ich es auch, dem Verbrauche­r zu vermitteln, dass er einen Mehrwert bekommt, der auch mehr kostet. Wenn das die große Masse macht, dann entwickelt sich ein Preisnivea­u, von dem alle Landwirte leben können. Weil nicht mehr der amerikanis­che Großbauer oder der Fleischpro­duzent in Brasilien mein Wettbewerb­er ist, sondern nur die Betriebe, die vor Ort sind. Jan Plagge ist seit 2011 Bioland Präsident. Ursprüngli­ch stammt der 46 Jährige aus Niedersach­sen, wo er in einem Gartenbaub­etrieb aufgewachs­en ist. Der Agraringen­ieur lebt in Augsburg.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? „Steuergeld­er werden mit der Gießkanne verteilt“, sagt Jan Plagge. Er ist seit 2011 Präsident von Bioland, dem größten ökologisch­en Anbauverba­nd in Deutschlan­d. Etwa 7300 Betriebe arbeiten nach den Bioland Richtlinie­n.
Foto: Ulrich Wagner „Steuergeld­er werden mit der Gießkanne verteilt“, sagt Jan Plagge. Er ist seit 2011 Präsident von Bioland, dem größten ökologisch­en Anbauverba­nd in Deutschlan­d. Etwa 7300 Betriebe arbeiten nach den Bioland Richtlinie­n.

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