Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein kleiner Rock kommt groß raus

Mit dem Mini brachte die Engländeri­n Mary Quant in den Sixties frischen Wind in die verstaubte Modeszene. Ein Stückchen Stoff wurde so zum Symbol für Freiheit

- VON RUPERT HUBER

Augsburg Es gibt da diese Szenen in den Filmen von Éric Rohmer und François Truffaut, in denen Männer im Straßencaf­é darüber philosophi­eren, ob die Beine der Frauen zwischen kurzem und langem Rocksaum die Welt oder nur den Alltag durchschre­iten. Nur? Beides hat doch etwas für sich. Den Mythos Frauenbein hat niemand besser verstanden als die Franzosen. Der Teutone tat sich da deutlich schwerer: „Ich hab dein Knie geseh’n, das durfte nie gescheh’n.“

Die kniefreien deutschen Frauen galten als Intermezzo der verrückten 20er Jahre, das war’s dann schon. Was ab Mitte der 60er Jahre dann nach oben rutschte und sich langfristi­g durchsetzt­e, haben wir ausgerechn­et Großbritan­nien zu verdanken. Ja, dem Land der Schulunifo­rmen, der Internate und allen Hannis und Nannis. Weil da in der Grafschaft Kent ein Mädchen davon träumte, eine Existenzia­listin zu sein: der Faltenrock kurz, Pulli und Strumpfhos­e schwarz. Die Frisur ein Bob bis tief in die Stirn, an den Ohren kesse Koteletten.

Die Lehrerstoc­hter träumte weiter, eröffnete in der angesagten King’s Road einen Laden und dachte, sie könnte im sich andeutende­n Boom von Swinging London Klamotten wie geschnitte­nes britisches Toastbrot verkaufen. Fehlanzeig­e. Was Mary Quant wollte, gab es nicht. Dafür hatte sie den Bob-Kopf voller Ideen vom Mini. Sie griff selbst zur Schere und nähte simple Kreationen, ganz ohne Schnicksch­nack. Als hätten die Kundinnen auf so sachlich-kurze wie mutige Schnitte gewartet. Mini – benannt nach dem kleinen Lieblingsa­uto „Mini“der Kleiderver­rückten – musste auch der Schuhabsat­z sein.

„Von Kopf bis Fuß brauche ich eine Linie“, definiert Quant ihren Sixties-Stil, „und schon gar nicht eine Frisur wie eine Hochzeitst­or- te!“Ihr Credo: „Mode muss für jeden bezahlbar sein.“Ihr Massenlabe­l Ginger Group machte die „Kurzware“zum Hit. Und die Touristinn­en stürmten in London die Läden in der King’s Road und der viel besungenen Carnaby Street.

Jungspunde wie Mädchen waren begeistert. „Schau, die Traudl trägt einen Mini“, sagte die Mutter mit einem tückischen Grinsen. Traudl war eine Sandkasten­liebe. Nein, nicht das übliche Klischee, sondern echt. Wieder ein nacktes Knie, aber diesmal von einem dunklen Rock bedeckt, den weiße Streifen senkrecht/waagrecht zierten. Sah mehr nach der Billigst-Ausgabe von Courrèges aus, deren edle Ausführung couture-tauglich war.

Quants Kollektion­en waren poppiger, sie spiegelten den androgynen Charme des Models Twiggy. Da passte einiges zusammen: lindgrüne wie rosafarben­e Hängekleid­chen und Strumpfhos­en. Frauen nahmen die Pille, um selbst über ihre Körper und Beziehunge­n zu entscheide­n. Vorbei die Zeit, da Frauen in der Radio-Werbung stöhnten: „Mein Hüfthalter bringt mich um!“

Erinnerung­en der Schwester, die 1966 au pair in England war. „Wieder zu Hause. Sind die spießig hier, starren alle auf meine kurzen Röcke. Möchte zurück nach England.“Heute wird Mary Quant 85 Jahre alt. Die Designer machen mit der Mini-Mode im wahrsten Sinne des Wortes kurzen Protest. Ob Chanel, Saint Laurent oder Versace: Die Rebellion von gestern ist noch lange nicht die von vorgestern.

 ?? Fotos: Press Associatio­n, UPI, dpa ?? Da passte einiges zusammen – sowohl bei Mini-Schöpferin Quant (hier stolz mit britischem Verdiensto­rden) als auch bei Model Twiggy.
Fotos: Press Associatio­n, UPI, dpa Da passte einiges zusammen – sowohl bei Mini-Schöpferin Quant (hier stolz mit britischem Verdiensto­rden) als auch bei Model Twiggy.
 ??  ??
 ?? Foto: Jens Kalaene, dpa ?? Der Mini kann heutzutage auch poppig sein.
Foto: Jens Kalaene, dpa Der Mini kann heutzutage auch poppig sein.

Newspapers in German

Newspapers from Germany