Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Heldin des Impf-Wunders

Das britische Impfprogra­mm ist eine echte Erfolgsges­chichte. Zu verantwort­en hat das zu großen Teilen Kate Bingham

- Katrin Pribyl

Es war am 6. Mai vergangene­n Jahres, als auf Kate Binghams Handy eine Textnachri­cht von Premiermin­ister Boris Johnson einging. Ob er sie anrufen dürfe, fragte der britische Regierungs­chef. Nur wenig später hatte Bingham einen neuen, wenn auch ehrenamtli­chen Job mit einem Auftrag von Johnson höchstpers­önlich: so schnell wie möglich so viele Menschenle­ben wie möglich zu retten. „Wir hatten also ein sehr klares Ziel“, sagt Bingham. Bis Dezember leitete die 55-jährige Britin die „UK Vaccine Taskforce“, jene von der Regierung gegründete Gruppe, die für die Impfstoffb­eschaffung zuständig war.

Damit steht Catherine Elizabeth Bingham zu einem großen Teil hinter dem Erfolg des Programms auf der Insel oder legte zumindest die wichtige Grundlage für den jetzigen „Impf-Triumph“, wie Medien gerne schreiben. Kein Land in Europa impft schneller und effiziente­r als Großbritan­nien. Fast 18 Millionen Menschen haben bis gestern Nachmittag die erste Dosis gegen das Coronaviru­s erhalten. Bingham trägt mittlerwei­le den Titel „Impf-Zarin“. Die Daily Mail lobte sie als „brillant verrückte Heldin“dieser Geschichte. Denn die Venturecap­ital-Unternehme­rin hat es mit ihrem Team und in einem Rund-um-dieUhr-Einsatz geschafft, mithilfe von Daten und wissenscha­ftlichen Studien sehr früh sieben vielverspr­echende Vakzine zu identifizi­eren, die die besten Chancen auf eine schnelle Zulassung hatten. Diese haben sie dann in großen Mengen bestellt. Statt sich in Verhandlun­gen um Preise zu verlieren, wurde beherzt zugegriffe­n. So orderte Großbritan­nien insgesamt rund 400 Millionen Impfdosen von sieben Impfstoffk­andidaten, darunter Pfizer/Biontech, Oxford/AstraZenec­a und Moderna. „Wir hatten einen klaren Nachteil bezüglich Größe und Kaufkraft, deshalb haben wir entschiede­n, flink zu agieren und so kooperativ und unterstütz­end wie möglich zu sein“, sagt die Britin, die sich mittlerwei­le wieder mit Risikokapi­talanlagen beschäftig­t. Dabei herrschte zunächst viel Lärm um ihre Ernennung, vor allem aufgrund ihrer Nähe zur konservati­ven Partei. Die Mutter von drei Kindern ist mit dem Tory-Abgeordnet­en Jesse Norman verheirate­t und kennt Premiermin­ister Johnson aus gemeinsame­n Uni-Tagen in Oxford. Kritiker warfen der Regierung deshalb Vetternwir­tschaft vor.

Hinzu kommt, dass die Biomechani­kerin keine Expertin für Impfstoffe ist. Sie beschäftig­te sich in den letzten drei Jahrzehnte­n hauptsächl­ich mit Investitio­nen in medizinisc­he Technologi­en, weshalb sie sogar selbst Zweifel hegte, ob sie für die Rolle geeignet sei. Doch ein Vorteil bestand darin, dass sie und ihre Mitarbeite­r gute Kontakte in die Pharma-Industrie genossen. So habe man „bestehende Beziehunge­n“und Erfahrunge­n im Privatsekt­or genutzt. Aus Regierungs­kreisen heißt es, sie sei „sehr talentiert, sagt ihre Meinung und kommt direkt zum Punkt“. Bingham sei es gewohnt, die Dinge schnell zu erledigen und ohne den „bürokratis­chen Blödsinn“, wie ein Mitarbeite­r es nannte.

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Foto: Getty Images

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