Fühlen wie Buddha
Unsere Emotionen. Gerne hätte ich diesen Artikel mit einer smarten Definition des Begriffs eingeleitet. Treffender fand ich jedoch einen Blick in meine eigene Emotionskiste.
Ich stehe morgens auf. Nach einiger Zeit im Bad, dem Anziehen meiner Kleider und einem Frühstück, mache ich mich auf den Weg zu meinem ersten Vortrag als Yogalehrerin. Ich komme an, halte meinen Vortrag. Danach unterhalte ich mich noch ein wenig mit dem Publikum und gehe nach Hause.
1 000 Gedanken
Mit wackeligen Knien stehe ich auf. Ich werde zum ersten Mal in einem großen Unternehmen einen Vortrag halten. Vorträge sind eigentlich nicht mein Ding. Ich bin viel zu aufgeregt, kann davor nicht schlafen. Da es jedoch eine gute Chance ist mein neu eröffnetes Yogastudio vorzustellen, hatte ich zugesagt. Ich wanke ins Bad und spüre mein Magengrummeln, habe 1 000 Gedanken im Kopf. Meine Hände sind schweißnass, als ich meine Zahnbürste greife. Gedanken wie: naja, ich könnte einfach nicht hingehen – Gedanken von einem vorgetäuschten Fahrradunfall gehen mir durch den Kopf. Moment: Sollte ein Unfall etwa besser sein, als einen Vortrag zu halten? Ich bekomme vor lauter Flattern im Bauch nur wenige Bissen Frühstück hinunter. Gedanklich gehe ich immer wieder meinen Vortrag durch. Bis ich es letzten Endes nicht mehr hinausschieben kann und losfahren muss. Bevor ich den Raum betrete, durchströmen mich die verschiedensten Fluchtreaktionen. Schnell aufs Klo – wenigstens eine kleine Flucht. Der Raum füllt sich und meine Hoffnungen, dass heute Morgen alle Gäste ganz plötzlich etwas Anderes vorhaben, bestätigen sich nicht. Ich höre wie ich vorgestellt werde. All eyes on me. Ok, ich stehe. Das ist gut.
Meine zittrigen Beine tragen mich. Ich spüre ein Kribbeln bis in die Haarspitzen. Habe ich Gänsehaut? Mein Mund ist so staubtrocken, dass es mich wundert, überhaupt einen ersten Satz herauszubekommen. Ich merke ein leichtes Vibrieren in der Stimme, bin jedoch überrascht wie schnell sich das legt. Bis, naja, ich
mich nach 20 Minuten sogar richtig wohl in meiner Haut fühle. Ich beobachte mich für einen Moment von außen, wie ich plötzlich scheinbar gelassen dastehe. Hochkonzentriert. Es läuft! Schwups, ist es vorbei. Ich spüre wie die Anstrengung nachlässt. Wie mein Körper sich auf einmal federleicht anfühlt. Schmetterlinge sind in meinem Bauch. Ein unglaubliches Gefühl des Glücks durchströmt mich. Ich habe es geschafft! Was für ein schöner Tag. Der gleiche Tag, der gleiche Vortrag. Im zweiten Teil, jedoch gespickt mit der Würze des Lebens. Mit meinen Emotionen, meiner Persönlichkeit. Mit den Gefühlen, die diesen Vortrag zu etwas Unvergesslichem machen.
Lernen durch Reflektion
Der Buddhismus unterscheidet zwischen positiven, negativen und neutralen Emotionen. Also jene, die wir als angenehm, unangenehm und neutral einstufen. Jede Emotion zeigt sich in einer Körperbewegung und einem gedanklichen Impuls durch bestimmte Bilder. Eine Körperempfindung drückt sich beispielsweise durch einen beschleunigten Atem, ein hüpfendes Herz oder ein Magengeflatter aus. Auf diese Körperregung folgt meist eine geistige Regung wie meine Fluchtgedanken vor dem Vortrag oder es entstehen Bilder in uns, die wir diesem Gefühl zuordnen.
Mit Meditation schaffen wir zuerst ein Gespür für unseren Körper und bauen ein Bewusstsein für unsere geistigen Prozesse auf. Wir lernen durch Reflektion die Emotionen und deren körperliche Bewegungen zu erkennen. Wir erkennen was in uns passiert und können Gefühle mit der Zeit einordnen und benennen. Wir beobachten, welche Gedanken zu den Gefühlen aufkommen und geben ihnen einen Namen. Dadurch können sie uns nicht überrollen und im schlimmsten Fall handlungsunfähig machen. Unsere Emotionen erschrecken uns weniger. Wir können uns aktiv dafür entscheiden, den Gefühlen mehr Raum zu geben. Wir müssen sie nicht verdrängen, sondern können sie beobachten und sogar annehmen. Wie wäre es, wenn wir beim nächsten Ärger zuerst innehalten. Schauen, wie er sich zeigt. Ist da ein Druckgefühl auf der Brust oder eine zusammengekniffene Stirn? Kommen Gedanken wie „Warum passiert das immer mir?“Wir beobachten dieses Spiel. Notieren geistig, was wir feststellen: „Ich bin gerade verärgert. Der Ärger strömt durch mich durch.“
Konstanter Wandel
Im Buddhismus lernen wir etwas über das tiefgreifende Wort Anicca – die Unbeständigkeit allen Seins. Der konstante Wandel. Wir lernen in den Meditationstechniken am eigenen Körper das Alles: jede Körperempfindung, jede geistige Regung, alles Erlebte das ständigen Veränderung unterworfen ist. Das macht schöne Momente, voller positiver Emotionen wie Glück und Liebe so kostbar. Für die Momente jedoch, die wir als unangenehm einstufen, voller negativer Emotionen wie Angst und Wut heißt das aber auch, dass sie sich stets wandeln. Nichts bleibt wie es ist!
Jeder weiß was eine Emotion ist, bis er gebeten wird, eine Definition dafür zu geben. Russell und Fehr
Mit diesem Wissen kann tiefe Gelassenheit entstehen. Ein Gleichmut, der uns im Alltag begleitet.Ich fühle gerade Trauer, spüre, wie mich diese Körperempfindung durchströmt, beobachte meine Gedanken dazu. Ich weiß, dass in ein paar Stunden, einigen Tagen oder einem Jahr dieser Schmerz nicht mehr der Gleiche sein wird. Dazu am besten noch ein Schwank aus meiner Emotionskiste. Die folgende Geschichte hat viel an meiner Herangehensweise an schwierige Momente verändert. Ich leitete einmal mit einem Naturcoach ein Retreat „Yoga & Natur.“Während des Seminares gingen wir zu einer Session in den Wald. Es fing an zu regnen. Wir saßen auf dem Waldboden. Ungemütlich! In Gedanken ärgerte ich mich über meinen Naturfreund. Und dachte „Alle holen sich eine Erkältung. Bestimmt sitzt jetzt keiner gerne hier.“Ich verkrampfte mich. Ich zitterte, alle Muskeln waren angespannt. Meine Gedanken drehten Karussell. An Naturmeditation war nicht zu denken. Irgendwann sagte er: „Was wäre, wenn du die Kälte annehmen würdest? Das Ungemütliche durch dich durchfließen lässt statt dagegen anzukämpfen. Was wäre, wenn Du den Körper entspannst?“Ertappt! Also entspannte ich mich. Versuchte, die Kälte durch mich fließen zu lassen. Und es funktionierte! Nachdem ich mich nicht mehr gegen sie wehrte, merkte ich, dass sie immer weniger schlimm wurde.Es sogar ganz schön bei Regen im Wald war. Alles duftete. Der weiche Regen auf meinem Gesicht. Nicht mehr schlimm. Diese Geschichte begleitet mich noch heute. Immer wenn ich merke, dass ich gegen etwas ankämpfe, versuche ich mich zu entspannen. Mich mit Humor zu betrachten und in Gelassenheit zu üben! <