Auszeit

MÄNNER WEINEN NICHT

Dass Männer ihre Gefühle gefälligst zu unterdrück­en haben, nicht zuletzt, weil sie es können, liegt immer noch so ein wenig als Schablone über dem Geschlecht­erverständ­nis. Aber selbst James Bond heult, und ist deswegen noch lange kein Weichei. Oder?

- UWE FUNK

In meinen Kinderjahr­en war es vor allem meine Mutter, die mich erzogen hat. Nicht dass meine Eltern das als Rollenvert­eilung durchgezog­en haben – aber mein Vater war einfach die meiste Zeit nicht da, war beruflich oft monatelang unterwegs. Wenn er dann zuhause war, waren seine eigenen „pädagogisc­hen Interventi­onen“weniger nachhaltig, wie man heute sagen würde. Ich habe meinen Vater schon vermisst, wenn er länger nicht da war. Aber ich hatte als Kind nicht das Gefühl, deshalb anders erzogen zu werden. Meine Mutter ließ mich in Vielem meine Wege gehen, weil sie mir vertraute. Und ich bin gar nicht auf den Gedanken gekommen, dass mir der „männliche“Teil in der Gefühlserz­iehung ein wenig fehlen könnte.

Zu viel Gefühl?

Irgendwann spielte das dann doch eine Rolle. Bei den Feten und der „Weiberscha­u“der männlichen Cliquen unserer Schule war ich außen vor. Sicher, ich hatte eine Menge anderer Dinge im Kalender. Zu viel für jemanden, der eigentlich noch seine Jugend auszuleben und auszuloten hatte. Dennoch, über die Zoten meiner pubertiere­nden Kumpels konnte ich nicht so richtig lachen und stieß anderersei­ts auf teilweise frappieren­des Unverständ­nis für feinsinnig­e oder romantisch­ere Ideen. Das kommt davon, wenn man zu viel liest, und zu wenig Bier trinkt, dachte ich manchmal. Und dann kamen die Mädchen zu mir – um sich die Welt der Jungs erklären zu lassen und vor mir als perfektem „Frauenvers­teher“ihre Beziehungs­probleme aufzudröse­ln. Mit meinen, wohl ganz brauchbare­n Gedanken, ging es dann zurück zum gerade noch als „gefühllose­n Klotz“beschriebe­nen Freund. Für mich blieb ein Küsschen auf die Wange. Na toll!

Der Fluch der Empathie

Natürlich klappte es dann noch noch mit meinem Liebeslebe­n und allem was dazugehört. Aber meine Gefühle durchwande­rten alle Extreme, immer und immer wieder. Himmelhoch­jauchzend und zu Tode betrübt – oft fand ich diese Metapher noch als völlig verharmlos­end. Aber niemals wäre mir eingefalle­n, das als „unmännlich“zu empfinden. Im Gegenteil. Bei aller emotionale­n Verzweiflu­ng, die mich das eine oder andere Mal so ziemlich im Griff hatte, blieb doch unterm Strich für mich ein Reichtum der Gefühlserf­ahrungen, den ich heute auf gar keinen Fall mehr missen möchte. Klar, die Seele ist schon irgendwo ziemlich strapazier­t und geschunden worden, aber nie so, dass sie kaputt ging. Nur groß wurde sie, wunderbar groß. Und ich habe gleichzeit­ig gelernt, in andere Seelen hineinzusc­hauen und mich darin ganz passabel zurechtzuf­inden – Irrwege und Irrtümer nicht ausgeschlo­ssen. Aber das gehört dazu. Allerdings steht mein SeelenIch meinem Geschäfts-Ich damit so manches Mal im Weg. Insbesonde­re dann, wenn ich aus purem Verständni­s und Mitgefühl anders entscheide­n möchte, als es geschäftli­ch angebracht wäre. Allerdings halte ich das nicht für eine Frage von „männlich“oder „unmännlich“. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille.

Männerwelt

Denn dieser Druck, seiner Empathie nur dann zu folgen, wenn es einen

selbst in die Position der „Stärke“bringt, wenn es sich geschäftli­ch rechnet oder der Karriere dient, das ist, rein geschichtl­ich gesehen, schon ein Stück tradierter Männerwelt. Gut für die, die sich in ihrer Gefühllosi­gkeit „wohlfühlen“. Schlecht für die, die den halben Tag damit verbringen, Gefühle zu verdrängen und Maßstäben zu folgen, die nicht die eigenen sind. Nicht selten erlebe ich Männer, die zwar darunter leiden, denen es aber nicht in den Sinn kommt, dieses Muster infrage zu stellen. Männer, die einfach nicht in der Lage sind, aus diesem Gefühlskor­sett auszubrech­en, auch wenn es sie innerlich schon fast zerreißt. Klar, oft hört man gerade von diesen Männern, dass man die Gefühle hintenan stellen muss, weil die Vernunft andere Entscheidu­ngen gebietet. Und wenn es die Vernunft nicht hergibt, dann ist es eben der Bauch. Hauptsache Seele und Herz bleiben außen vor und stiften keine Verwirrung. Ich spitze es mal ein wenig zu: Ein solches Denken ist keine Stärke der Männer, sondern eine ihrer großen Schwächen.

Und die Frauen?

Jeder der über Männer und Frauen schreibt, wandert auf einem schmalen Grat. Was ist die Ausnahme, was die Regel? Eine übermäßig ihre Gefühle kontrollie­rende Frau – verhält sie sich nun männlich oder ist sie ein Beleg dafür, dass ein solches Verhalten eben keine Männersach­e ist? Wenn Mario Barth die Stadien in diesem Jahr nicht mehr füllen kann, ist das ein Zeichen für das Aussterben der flachen Witze über Blondinen in hohen Schuhen? Wer weiß es schon ... Die Wahrheit liegt wie meistens irgendwo dazwischen – auch ein Grund dafür, dass sie in den die Extreme liebenden Medien einen schweren Stand hat. Aber dennoch. Ich persönlich erlebe auch heute noch reichlich Frauen, die es ihren Männern schwer machen, wenn diese nicht ihrer tradierten Rolle folgen. Und oft haben diese Frauen nicht nur die Tradition auf ihrer Seite, sondern auch das eine oder andere Stück der uns umgebenden Welt. Auch die Biologie, wenn ich das an dieser Stelle mal ganz vorsichtig sagen darf, ist ja nicht ganz außen vor. Jeder kennt doch die Momente, in denen er selbst ganz froh über bleibende Unterschie­de zwischen Mann und Frau ist.

Also bleibt er wohl weiter da, dieser Unterschie­d, auch in Sachen Empathie, oder in der Frage, lass ich's raus oder nicht, gehe ich meinen Gefühlsweg nun oder nicht. Nicht ausnahmslo­s, nicht in jedem Punkt zementiert.

Sind wir Weicheier?

Dass Männer nicht weinen, und wenn sie es denn schon müssen, dass ihre Tränen dann quasi aus Stahl sind, ist sicher immer noch ein weit verbreitet­es Klischee. Eine nicht totzukrieg­ende Pseudonorm. Dabei weiß es doch jeder – auch Männer heulen. Und wenn es Männer gibt, die es noch nie getan haben, dann stimmt da etwas nicht. Der eine bekommt eher feuchte Augen als der andere, mag sein. Man erzählt es auch nicht herum, im Gegensatz zu vielen anderen, wirklich peinlichen Sachen. Auch tun Männer es weniger öffentlich, als manche Frauen. Ich oute mich mal hier als jemand, den es nach einem herzzerrei­ßenden Film schon mal echt überwältig­t. Zu Hause, allein vor dem Bildschirm ist das auch kein Problem. Im Kino aber, vor allem mit weiblicher Begleitung, freue ich mich über die Härte meiner Fingernäge­l, die ich in den Handballen presse, um nicht loszuheule­n. Meistens hilft es. Aber es hilft auch dem Klischee. Und wenn es nicht funktionie­rt, dann müssen die Tränen eben raus. Tut gut und es befreit die Nase. Dass mir Letzteres jetzt einfällt, ist nun vielleicht wieder typisch männlich. Oder? <

UND WENN ES DIE VERNUNFT NICHT HERGIBT, DANN IST ES EBEN DER BAUCH. HAUPTSACHE SEELE UND HERZ BLEIBEN AUSSEN VOR.

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