Studio Insights: Jazzanova
Das vierköpfige DJ/Producer-Kollektiv Jazzanova aus Berlin hat mit seiner auf Samples basierenden Melange aus House, Hip-Hop und Jazz die Messlatte hochgelegt. Danny Turner sprach mit Axel Reinemer über ihr lang erwartetes viertes Album, „The Pool“.
Das vierköpfige DJ/Producer-Kollektiv Jazzanova aus Berlin hat mit seiner auf Samples basierenden Melange aus House, Hip-Hop und Jazz die Messlatte hochgelegt. Danny Turner sprach mit Axel Reinemer über ihr lang erwartetes viertes Album, „The Pool“. Übersetzung:
Mitte der 90er Jahre – es war kurz nach dem Fall der Berliner Mauer – bündelten die beiden DJs Axel Reinemer und Stefan Leisering ihre Talente, um Jazzanova zu gründen. Sie waren beide Autodidakten, hatten kaum Equipment und das Sampling wurde ihre größte Waffe. Etwas später gründeten sie das Label Sonar Kollektiv und veröffentlichten 2002 ihr Debütalbum „In Between“, das aus manipulierten Samples von Neo-Soul, Broken Beat, modernem Jazz und Deep House-Schallplatten bestand. Durch den Erfolg des Albums waren sie plötzlich sehr gefragt und fertigten in der Zeit Remixe für Incognito, 4Hero und Masters At Work an. Sie standen mit einem Fuß in der Clubkultur und dem anderen in den Live-Arenen. Entsprechend wurden die weiteren Alben deutlich organischer. Ihr neuestes Album „The Pool“ist wie ein sich bewegendes, aber gleichzeitig stabiles Labyrinth, das Live-Komposition, intensives, Sample-basiertes Editing sowie mehrere Kollaborationen auf Gesangsebene enthält.
Beat / Wie war deine Beziehung zu den anderen Bandmitgliedern, als Jazzanova gegründet wurde? Ihr wart damals eine Gruppe von DJs, oder?
Axel / Ja, ein Kollektiv aus DJs und Produzenten. Stefan Leisering und ich produzierten seit unserer Kindheit Musik, kreierten viele Beats und DDR-HipHop. Wir haben eigentlich nur mit den Sachen rumgespielt, aber es hat wirklich Spaß gemacht. Um 1996 begannen wir, in einem Club namens Delicious Donuts in Berlin zusammen abzuhängen. Sie spielten dort all diese jazzige elektronische Musik, die zu dieser Zeit hip war. In dem Club war auch öfters der Radio-DJ Gilles Peterson zu Gast, weshalb wir auch andere DJs getroffen haben. Wir wurden hauptsächlich von amerikanischen Hip-Hop-Gruppen wie A Tribe Called Quest, Jungle Brothers, Gang Starr, DJ Premier und sogar Public Enemy beeinflusst. Ein Einfluss waren auch Coldcut, weil sie viele Samples benutzt haben und wir waren total heiß darauf.
Beat / Du bist in Ostdeutschland aufgewachsen. Vermutlich war es schwierig, an Equipment zu kommen?
Axel / Ja, damals gab es nicht viel. Man konnte keine Drum Machines oder anderes Equipment einfach so kaufen. Die Turntables hatten keinen Direktantrieb. Daher war es nicht leicht, zu scratchen oder die Beats anzupassen. Das war eine schwierige Zeit für Musiker, die elektronische Musik machen wollten. Als die Mauer fiel, wechselte die Währung, sodass wir auf einmal echtes Geld hatten und Platten und Equipment kaufen konnten. Zuvor hatten Stefan und ich DJ-Mixes bei meinen Eltern gemacht, wofür wir einen kleinen Mixer benutzten, den wir von der russischen Armee bekommen hatten. Aber es war riskant, ihn zu verwenden. Manchmal bekam man einen elektrischen Schlag (lacht). Der erste richtige Sampler, den wir gekauft haben, hatte nur drei Sekunden Sample-Zeit.
Beat / Wie der Name schon andeutet, ist Jazzanova mehr als nur eine elektronische Band. Bedurfte es einer musikalischen Ausbildung, um der Gruppe beizutreten?
Axwl / Wir haben alle einen musikalischen Hintergrund, was das Hören und Sammeln von Musik angeht. Aber niemand hat Klavier, Schlagzeug oder Keyboard wirklich gelernt. Wir waren alle Autodidakten, weil wir Getriebene waren. Stefan lernte alles, was ihn interessierte, wie Arrangements und Akkorde, und mich faszinierte mehr die technische Seite. Ich begann um 1994 herum, in Studios zu arbeiten und nahm Rock- und Hip-Hop-Bands auf. Es war cool für mich, all die Geräte, die ich mir nicht selbst kaufen konnte, benutzen zu können.
Learning by doing
Beat / Wie hast du es geschafft, in diese Studios zu kommen?
Axel / Ich wurde nicht dafür bezahlt. Das Studio gehörte der Stadt Berliner, sodass junge Kids dorthin gehen und aufnehmen konnten. Als ich anfing, die Geräte zu benutzen, habe ich erstmal alles falsch gemacht, aber ich habe neue Ideen gesammelt und daraus gelernt. Um das Jahr 2000 herum haben wir ein Studio im Sonar Kollektiv Label-Office eröffnet. Also kündigte ich meinen Job und begann mit dem Aufnehmen, Co-Produzieren und Mixen von Artists für das Label. Diese Künstler hatten bereits eine Menge echter Musik aufgenommen. Daher dachte ich, warum integrieren wir nicht echte Instrumente bei Jazzanova und entwickeln unseren Sound über das Programmieren und Sampling hinaus? Wir wollten richtige Musiker in elektronische Musik einbeziehen, auch wenn wir schon immer versucht haben, unseren Sound organisch klingen zu lassen.
Beat / Gab es einen Aha-Moment, als das Projekt von einem Experiment zu etwas mit mehr Potenzial wurde?
Axel / Normalerweise funktioniert das so, dass man anfängt, Ideen zu entwickeln, sich aber noch nicht ganz sicher ist. Irgendwann greift es jemand anderes auf und treibt es weiter voran. In unserem Fall war es Gilles Peterson, der dachte, dass das, was wir taten, das nächste große Ding sein würde. Wir konnten in Tokio, den USA und Großbritannien als DJs arbeiten und fingen auch an, Remixe für andere Künstler zu machen.
Beat / Glaubst du, dass das Remixing deine Fähigkeiten in Musikproduktion gefördert hat?
Axel / Remixing war früher eine große Sache und eine gute Möglichkeit, um viel Geld zu verdienen. Leider ist das nicht mehr der Fall. Wir haben Remixe für Incognito, Lenny Kravitz und Calexico gemacht und es war wirklich cool, die Original-Tracks in die Finger zu bekommen. Das Calexico-Zeug hatte echte Streicher, sodass wir uns die einzelnen Tracks anhören und einen Einblick bekommen konnten, wie sie ihre Sounds erzeugt haben, was sehr inspirierend war. Wir haben auch einen Remix für Common namens „Go!“gemacht. Doch erst als ich die Pro Tools-Session eröffnete, bemerkte ich, dass Kanye West ebenfalls in diesem Song zu hören war.
Beat / Was genau bei der Analyse von Stems hat dir geholfen, ein besserer Produzent zu werden?
Axel / Bei dem Calexico-Song „Black Heart“fand ich es interessant, dass ich Drums aus dem Raum
neben der Streichersektion hören konnte und dass auch ein paar Gitarrensachen in die Streichermikrofone übersprochen haben. Es gibt einem eine völlig andere Sicht auf den Song, weil man sich wirklich hineinbegeben und fühlen kann, wie er erstellt wurde.
Beat / Werden diese Elemente in der Regel aus Nachlässigkeit im Mix gelassen oder um bewusst mehr Ambiente hinzuzufügen?
Axel / Es ist normal, dass Künstler, wenn sie zusammen aufnehmen, Übersprechen verursachen, sogar von einem Raum zum anderen. Wenn man gute Mikrofone und Mikrofonverstärker verwendet und die Akustik des Raums gut ist, fügt dies dem Klang automatisch Tiefe und eine weitere Dimension hinzu. Was ich bei der Arbeit mit diesen Leuten festgestellt habe, war, dass man nicht mehr so viel künstlichen Reverb hinzufügen muss, wenn man das Übersprechen von anderen Instrumenten hat.
Beat / Bei Jazzanova ist es schwer zu sagen, welche Elemente live und welche vollständig elektronisch aufgenommen wurden. Kannst du uns einen Einblick geben?
Axel / Beim ersten Album, „In Between“, war bis auf Vocals alles Sample-basiert. Beim zweiten Longplayer, „Of All The Things“, wurden nur die Drums programmiert. Alles andere wurde live aufgenommen. Wir haben ein Orchester benutzt und es hatte viel Seele. An diesem Album waren mehr als 60 Musiker beteiligt.
Beat / Beide Aufnahmen sind so tadellos produziert, dass es schwer ist, eine große Veränderung festzustellen.
Beat / Ich sollte dazu sagen, dass wir beim zweiten Album versucht haben, tiefe Soul-Tunes zu kreieren, die genau die Art von Samples enthalten, die wir selbst gerne auf anderen Platten gefunden hätten. Wir haben viele verrückte Layer erstellt und jede Menge Einzelaufnahmen gemacht. Zum Beispiel nahmen wir unsere eigenen Snare- und HiHat-Schläge auf, schnitten alles zusammen und luden sie in unseren Old-School-Sampler. Dann programmierte Stefan die Beats so, als würde sie jemand spielen.
Modernisierung des Jazz?
Beat / Ihr habt immer alles durcheinander gemischt, auch Rap zum Beispiel. Was war die Absicht dabei? Wolltet ihr Jazz modernisieren und neue Wege gehen?
Axel / Es hat sich einfach so ergeben. Die Hip-HopJungs haben alle Jazz- oder Soul-Platten gesampelt, sodass sie bereits elektronische Musik mit Jazz-Feeling gemacht haben. Wir haben das im Grunde aufgegriffen, allerdings in einem anderen Tempo. Ich denke, der Unterschied ist, dass die Hip-Hopper immer loopbasiert arbeiteten. Doch wir haben die Beats zerschnitten, um unterschiedliche Grooves für verschiedene Parts zu erzeugen. So kam das organische Element ins Spiel.
Beat / Wäre es in Ordnung, zu sagen, dass sich euer neues Album „The Pool“etwas von euren Jazz-Verbindungen entfernt hat?
Axel / Ja, ich kann eher noch das erste Album in „The Pool“spüren, weil es nicht so authentisch oder live gespielt klingt. Die gesamte Musik wurde live im Studio aufgenommen, aber wir haben den Sound danach wie Samples behandelt. Wir müssen das Klavier einfach nach oben oder unten pitchen, es rückwärts lassen und verzerren, bis man nicht mehr weiß, wie der Sound mal war. Ich denke auch, dass die Beats prominenter sind als auf dem vorigen Album.
Beat / Ist das Zerschneiden von Sounds bewusst geplant oder lasst ihr euch beim Editing einfach spontan inspirieren?
Axel / Es soll sich immer ein bearbeitetes Feeling ergeben. Der Track „Heatwave“ist wahrscheinlich der am stärksten bearbeitete. Er enthält diese gewaltige Wand aus Trommeln, aber das waren vor allem Stefan und ich, die verschiedenste Ebenen aus Trommeln aus diversen Räumen zusammenfügten, wodurch die Klangdimension immer größer wurde, wenngleich natürlich auch echte Menschen darauf getrommelt haben. Das war echt eine verrückte Editing-Sitzung. Jedes Instrument folgte der gleichen Bassline, was nicht einfach war, da die Bassline nicht für Hörner geschrieben wurde. Daher musste ich die Hörner stimmen und sie in den richtigen Groove setzen. Es hat eine Woche gedauert, alle anderen Instrumente auf dieselbe Weise zu bearbeiten.
Beat / Riskiert ihr manchmal, den Flow durch ein Übermaß an Editing zu verlieren?
Axel / Bei diesem Song musste ich das Feeling selbst reinbringen. Bei anderen Bands, die ich produziere oder aufnehme, muss man vorsichtig sein.
Wenn man zum Beispiel Drums zu stark bearbeitet, stimmt der Rest der Musik manchmal nicht mehr. Der Groove passt zwar, aber es fühlt sich nicht mehr gut an. Dasselbe Problem besteht bei der Verwendung von Auto-Tune oder Melodyne. Man kann in die Falle geraten, alles zu korrigieren. Vor allem beim Gesang kann man schnell den Charakter des Sängers verlieren, wenn anfängt, zu viel zu tunen. Wenn ich eine Sängerin aufnehme, weiß ich, wie sie klingt, und kenne ihre Vision. Das ist nicht nur etwas Technisches. Ich denke, wenn man 100 Prozent Auto-Tune-Vocals will, muss man nichts lernen.
Beat / Was einst ein subtiles Hilfsmittel war, ist jetzt ein Stil für sich, richtig?
Axel / Ja, ich habe für Popmusiker wie Rihanna aufgenommen, die ein völlig anderes Setup haben. Sie nehmen alle direkt mit Auto-Tune auf, hören sich also auf diese Weise über Kopfhörer und recorden nur den Auto-Tune-Track. Als ich das erste Mal so eine Session machte, nahm ich eine mit Auto-Tune und eine ohne auf und der Produzent fragte mich, weshalb ich ihm zwei Tracks schicken würde. Ich erklärte, dass er ja vielleicht die Auto-Tune-Einstellung ändern möchte, aber das tun sie nie. Leute wie Rihanna können singen. Sie brauchen kein Auto-Tune. Daher ist es offensichtlich ein „Sound“. Es ist verrückt, weil du denkst, dass es der Sound von heute ist, aber es ist schon 20 Jahre alt.
Beat / Zwischen den Alben gab es einen ziemlich langen Abstand von sechs Jahren. War der Grund dafür, dass jeder damit beschäftigt war, sein eigenes Ding zu machen?
Axel / Stefan und ich haben 2009 eine Band zusammengestellt, um Jazzanova als Live-Show zu präsentieren, nicht nur als DJs. Den Sound auf die Bühne zu bringen, war für uns ein neuer Schritt. Wir haben Musiker engagiert, sodass wir jetzt neun Leute auf der Bühne haben, die Horn, Bass, Gitarre, Keys, Schlagzeug und Percussion spielen, sowie natürlich zwei Sänger. Ich spiele immer noch eine Menge mit Ableton, um die Grooves zu stabilisieren. Manchmal triggert unser Schlagzeuger Kick-Drums und bearbeitete Sounds aus unseren Studioproduktionen, um alles noch etwas unorganischer klingen zu lassen. Das auf die Bühne zu bringen, war interessant, weil die Platte eher elektronisch klingt. Wir haben zum Beispiel unserem Bassisten den Kontrabass weggenommen und er spielt nun dafür auf einem Moog. Wenn die Leute Jazzanova live sehen, sehen sie jetzt eine Band, und das Album ist ein Kontrast dazu, da es stärker ausproduziert ist.
Beat / Hat sich noch etwas geändert, als ihr wieder zusammen als Gruppe im Studio produziert habt?
Axel / Das Einzige, was sich grundlegend geändert hat, ist, dass ich vor fünf Jahren ein neues Studio eröffnet habe. Es war ein langer Prozess, den richtigen Raum zu finden und ihn zu auszubauen. Es ist ein kommerzielles Aufnahme- und Mischstudio, was für mich ein großer Schritt war. Aber es hat wirklich gut funktioniert. Letztes Jahr habe ich keine Buchungen angenommen, damit wir an dem Album arbeiten konnten. Ich habe einige wirklich großartige Künstler abgelehnt, die hier arbeiten wollten wie The Chainsmokers.
Beat / Verfügt jedes Bandmitglied über sehr spezifische Fähigkeiten?
Axel / Die Abläufe sind sehr klar. Stefan beginnt hauptsächlich mit den Kompositionen und macht die gesamte Programmierung. Wenn er die ersten Skizzen fertiggestellt hat, kommt er in meinen Control Room, damit wir gemeinsam an dem Song arbeiten können. Irgendwann spielen wir es den anderen DJs vor und fragen sie, ob es ihnen gefällt. Ich organisiere alles, einschließlich der Gastmusiker, und übernehme das Aufnehmen, Schneiden, Editing und Mischen.
Beat / Machst du auch das Mastering selbst?
Axel / Ich bin froh, das abgeben zu können. Ich kenne die Songs vom Beginn ihrer Entstehung bis zur Mixing-Phase so gut, dass es Sinn macht, wenn jemand anders ins Spiel kommt und eine eigene Perspektive hat. Aber da die Mixe bereits sehr gut sind, müssen wir nur selten noch Fehler beheben. Manchmal werden wir gefragt, ob wir den Bass so stark belassen wollen oder uns mehr auf den Mittenbereich fokussieren möchten, sodass es besser für Spotify geeignet ist. Aber für mich ist ein basslastiger Mix eine ästhetische Sache und es interessiert mich nicht, wie er auf Spotify funktioniert. Versteh mich nicht falsch, wenn ich mit den Mixen fertig bin, höre ich sie auch auf meinem iPhone, um zu sehen, ob der Bass auf diesen Geräten durchkommt. Aber Bass und Subbass sind nach wie vor relevant für Clubs und Autos. Alle lieben Sub-Bässe, nicht nur ich.
Beat / Inwieweit bist du bereit, dich an die Geräte, die euer Publikum zum Hören nutzt, anzupassen?
Axel / Ich verwende zu Hause Sonos-Lautsprecher, die keine High-End-Geräte sind, und denke, die Hersteller arbeiten daran, die Standards zu verbessern. Ein Freund von mir hört sich Musik auf Tidal an und sagt, sie fühle sich dort viel besser an als auf Spotify. Ich weiß, wie die Dinge sind, und es gibt nichts, was wir tun können, als damit zu leben und die positiven Aspekte zu sehen.
Beat / Du hast mit einem Casio SK5-Sampler begonnen. Hat es damals mehr Spaß gemacht, etwas über die begrenzten Möglichkeiten zu lernen, die primitives Equipment einem bietet?
Axel / Wenn man nur über eine begrenzte Menge an Equipment verfügt, kann man kreativ sein und lässt sich nicht so leicht von technischen Dingen ablenken. Wir hatten nur diesen kleinen Sampler und spielten die Schallplatten bei 78 rpm ab, sodass alles sehr LoFi-mäßig klang. Heute kann man Ableton kaufen – ein gutes Programm, um kreativ zu werden. Wenn man eine Vision hat, kann man jedes Tool verwenden, damit es funktioniert, solange man nicht durch zu viele Optionen abgelenkt wird. Es geht auch um die Person, die es benutzt. Wenn man wirklich Musik machen will, muss man nicht alles haben, was es da draußen gibt. Man kann mit
einem beschissenen Mikrofon oder dem kleinen iZotope Spire beginnen, das gerade herausgekommen ist und ein schönes kleines Aufnahmegerät ist. Man benötigt keine 60 Mikrofone oder einen 10.000 Euro-Kompressor wie ich. Ich brauche es, weil ich andere Leute aufnehme, aber elektronische Musik kann man sogar auf einem iPhone machen.
Hardware vs. Plug-ins
Beat / Du hast kürzlich ein riesiges Neumann-Pult im Studio installiert. Was kannst du über dessen Geschichte erzählen?
Axel / Es wurde 1991 für die Berliner Oper gebaut. Sie nahmen klassische Musik auf, aber 1992 war es für Neumann zu teuer, die Pulte weiter herzustellen. Das alte kostete fast eine Million D-Mark, aber zwei Jahre später kaufte das Opernhaus mit Geld von der Regierung ein neues. Glücklicherweise arbeitete ein Freund von mir bei der Audiofirma, die der Oper ein neues digitales Pult verkaufte, und wurde aufgefordert, das alte mitzunehmen. Er bekam es kostenlos und verkaufte es sechs Jahre später an mich. Neumann hat sie so hochwertig gebaut, dass sie noch immer funktionieren.
Beat / Inwieweit hat es deinen Aufnahmeprozess verändert?
Axel / Es war eine Lernkurve, und ich lerne immer noch. Als ich es bekam, war ich erst recht vorsichtig und traute mich nicht, es zu sehr in die Sättigung zu fahren, aber jetzt kann ich es wirklich heiß fahren und die Obertöne klingen immer noch sehr gut. Manchmal kauft man Sachen, versteht aber nie wirklich, wie sie funktionieren. Als ich anfing, mit Software zu arbeiten, hatte ich keinerlei Outboard-Equipment. Ich habe immer versucht, den richtigen Hall mit Plug-ins zu finden, aber es hat nie wirklich funktioniert.
Beat / Wann hast du dich für Hardware als Elixier in Sachen Audioverarbeitung entschieden?
Axel / Ein Freund von mir hatte einen alten Lexicon-Reverb und es war so einfach, damit zu arbeiten. Man hat ihn einfach angemacht und die Sounds hatten den richtigen Reverb und das richtige Gefühl. Bei einem Plug-in spürt man nicht sofort etwas. Man dreht es auf, aber oft klingt es zu stark und schwer, um den Hall mit dem Sound gut zu mischen. Bis heute habe ich immer noch das Gefühl, dass Hardware-Reverbs besser klingen. Wenn Künstler etwas aufnehmen, tragen sie etwas zum Sound bei. Sie nehmen mit starker Kompression auf und fahren die Vorverstärker in die Zerrung – sie sind nicht vorsichtig. Auf der anderen Seite weiß ich nicht, ob es eine deutsche Sache ist, aber letzte Woche arbeitete ich mit einem deutschen Produzenten und sagte, lass uns diesen Scheiß mal ordentlich aufdrehen und er sagte, nein, ich mache das später im Mix. Aber dann hat er den Vorverstärker doch nicht mehr zur Verfügung! Ich schätze, man muss einfach seine Erfahrung nutzen oder sehr naiv sein bei dieser Art von Dingen.
Beat / Trotz des Mischpults habt ihr viel Hardware. Gibt es etwas, auf das du extrem abfährst?
Axel / Ich liebe diese kleinen Strymon-Gitarrenpedale, weil der Hall und die Echos großartig klingen. In meinen Racks befindet sich kein einziges Gerät, das nicht verwendet wird. Wenn es eines gäbe, würde ich es verkaufen. Es ist eine sehr spezifische Sammlung und alles ist jetzt als Plug-in verfügbar, aber ich finde, im Vergleich klingt die Hardware immer weiter und tiefer. Die Verzerrung ist auch anders. Meiner Meinung nach klingt ein Neve-Vorverstärker heavier als ein Waves-Plug-in, da er dreidimensional ist und anders reagiert. Ich verwende auch Verzerrungen von Plug-ins, aber aus anderen Gründen – es bleibt immer noch eine Simulation. Die Frage ist, möchte man am Ende des Tages ein echtes Flugzeug oder ein Software-Flugzeug fliegen?
Beat / Welche Rolle spielt Software in deinem Produktionsprozess, sowohl in Bezug auf die DAW als auch in Bezug auf das Programmieren von Sounds?
Axel / Ich arbeite mit Pro-Tools und zum Mischen habe ich ein Hybridsystem mit vielen Plug-ins und Outboard-Equipment. Ich liebe es, FabFilter-Sachen wie Pro-Q aus dem Rechner zu verwenden, um EQ-Kurven zu erstellen, und arbeite viel mit den UAD-Sachen. Dann schicke ich alles durch Röhrenkompressoren, Neve-Kanäle und das Mischpult für den letzten Schliff. Ich nehme die externen Geräte auch auf – Reverbs wie den M7 von Bricasti oder Lexicon-Reverbs. Ich schicke Gesang hindurch, um den Hall in Pro Tools aufzunehmen, bevor ich zum nächsten Instrument weiter gehe. Manchmal jage ich etwas durch ein Bandecho und rüttele an dem Band, um den Sound zu manipulieren und Leben zu erzeugen. Es ist eher eine Performance-Sache. Wir verwenden keine Software-Sounds, wir nehmen alles auf und machen unsere eigenen Sounds oder verwenden Synthesizer.
Beat / Welche Hardware-Synthesizer bevorzugst du?
Axel / Für dieses Album haben wir viel mit dem Korg PolySix gearbeitet. Das ist eine lustige Maschine. Wir haben auch den Moog Sub 37 für Sounds verwendet und am Ende der Produktion den Korg Minilogue, eine winzig kleine Maschine. Wir nehmen sie normalerweise für Pads oder Lead-Sounds. Diese sind auch nicht programmiert, wir stellen alle Synthesizer in den Control Room und nehmen sie live durch externe Reverbs auf.
Beat / Eure Musik klingt so vollendet. Was kannst du künftig noch lernen?
Axel / Es gibt viel zu lernen. Mit dem Studio habe ich jetzt die Möglichkeit, mit jüngeren Musikern zusammenzuarbeiten, um ihre Ideen kennenzulernen. Verwenden sie einen echten Synth? Spielen sie mit Schlagzeug? Ich denke, ich kann viel von ihnen lernen, und wenn sie mit mir zusammenarbeiten und auch von meiner Erfahrung profitieren, kann es gut zusammenpassen. Ich kann alles in diesem Studio machen, aber ich habe immer noch große Lust auf Equipment. Man kann nie genug Mikrofone oder Plug-ins haben. Also lerne ich jeden Tag.