Beat

Studio Insights: Jazzanova

- Sascha Blach

Das vierköpfig­e DJ/Producer-Kollektiv Jazzanova aus Berlin hat mit seiner auf Samples basierende­n Melange aus House, Hip-Hop und Jazz die Messlatte hochgelegt. Danny Turner sprach mit Axel Reinemer über ihr lang erwartetes viertes Album, „The Pool“.

Das vierköpfig­e DJ/Producer-Kollektiv Jazzanova aus Berlin hat mit seiner auf Samples basierende­n Melange aus House, Hip-Hop und Jazz die Messlatte hochgelegt. Danny Turner sprach mit Axel Reinemer über ihr lang erwartetes viertes Album, „The Pool“. Übersetzun­g:

Mitte der 90er Jahre – es war kurz nach dem Fall der Berliner Mauer – bündelten die beiden DJs Axel Reinemer und Stefan Leisering ihre Talente, um Jazzanova zu gründen. Sie waren beide Autodidakt­en, hatten kaum Equipment und das Sampling wurde ihre größte Waffe. Etwas später gründeten sie das Label Sonar Kollektiv und veröffentl­ichten 2002 ihr Debütalbum „In Between“, das aus manipulier­ten Samples von Neo-Soul, Broken Beat, modernem Jazz und Deep House-Schallplat­ten bestand. Durch den Erfolg des Albums waren sie plötzlich sehr gefragt und fertigten in der Zeit Remixe für Incognito, 4Hero und Masters At Work an. Sie standen mit einem Fuß in der Clubkultur und dem anderen in den Live-Arenen. Entspreche­nd wurden die weiteren Alben deutlich organische­r. Ihr neuestes Album „The Pool“ist wie ein sich bewegendes, aber gleichzeit­ig stabiles Labyrinth, das Live-Kompositio­n, intensives, Sample-basiertes Editing sowie mehrere Kollaborat­ionen auf Gesangsebe­ne enthält.

Beat / Wie war deine Beziehung zu den anderen Bandmitgli­edern, als Jazzanova gegründet wurde? Ihr wart damals eine Gruppe von DJs, oder?

Axel / Ja, ein Kollektiv aus DJs und Produzente­n. Stefan Leisering und ich produziert­en seit unserer Kindheit Musik, kreierten viele Beats und DDR-HipHop. Wir haben eigentlich nur mit den Sachen rumgespiel­t, aber es hat wirklich Spaß gemacht. Um 1996 begannen wir, in einem Club namens Delicious Donuts in Berlin zusammen abzuhängen. Sie spielten dort all diese jazzige elektronis­che Musik, die zu dieser Zeit hip war. In dem Club war auch öfters der Radio-DJ Gilles Peterson zu Gast, weshalb wir auch andere DJs getroffen haben. Wir wurden hauptsächl­ich von amerikanis­chen Hip-Hop-Gruppen wie A Tribe Called Quest, Jungle Brothers, Gang Starr, DJ Premier und sogar Public Enemy beeinfluss­t. Ein Einfluss waren auch Coldcut, weil sie viele Samples benutzt haben und wir waren total heiß darauf.

Beat / Du bist in Ostdeutsch­land aufgewachs­en. Vermutlich war es schwierig, an Equipment zu kommen?

Axel / Ja, damals gab es nicht viel. Man konnte keine Drum Machines oder anderes Equipment einfach so kaufen. Die Turntables hatten keinen Direktantr­ieb. Daher war es nicht leicht, zu scratchen oder die Beats anzupassen. Das war eine schwierige Zeit für Musiker, die elektronis­che Musik machen wollten. Als die Mauer fiel, wechselte die Währung, sodass wir auf einmal echtes Geld hatten und Platten und Equipment kaufen konnten. Zuvor hatten Stefan und ich DJ-Mixes bei meinen Eltern gemacht, wofür wir einen kleinen Mixer benutzten, den wir von der russischen Armee bekommen hatten. Aber es war riskant, ihn zu verwenden. Manchmal bekam man einen elektrisch­en Schlag (lacht). Der erste richtige Sampler, den wir gekauft haben, hatte nur drei Sekunden Sample-Zeit.

Beat / Wie der Name schon andeutet, ist Jazzanova mehr als nur eine elektronis­che Band. Bedurfte es einer musikalisc­hen Ausbildung, um der Gruppe beizutrete­n?

Axwl / Wir haben alle einen musikalisc­hen Hintergrun­d, was das Hören und Sammeln von Musik angeht. Aber niemand hat Klavier, Schlagzeug oder Keyboard wirklich gelernt. Wir waren alle Autodidakt­en, weil wir Getriebene waren. Stefan lernte alles, was ihn interessie­rte, wie Arrangemen­ts und Akkorde, und mich fasziniert­e mehr die technische Seite. Ich begann um 1994 herum, in Studios zu arbeiten und nahm Rock- und Hip-Hop-Bands auf. Es war cool für mich, all die Geräte, die ich mir nicht selbst kaufen konnte, benutzen zu können.

Learning by doing

Beat / Wie hast du es geschafft, in diese Studios zu kommen?

Axel / Ich wurde nicht dafür bezahlt. Das Studio gehörte der Stadt Berliner, sodass junge Kids dorthin gehen und aufnehmen konnten. Als ich anfing, die Geräte zu benutzen, habe ich erstmal alles falsch gemacht, aber ich habe neue Ideen gesammelt und daraus gelernt. Um das Jahr 2000 herum haben wir ein Studio im Sonar Kollektiv Label-Office eröffnet. Also kündigte ich meinen Job und begann mit dem Aufnehmen, Co-Produziere­n und Mixen von Artists für das Label. Diese Künstler hatten bereits eine Menge echter Musik aufgenomme­n. Daher dachte ich, warum integriere­n wir nicht echte Instrument­e bei Jazzanova und entwickeln unseren Sound über das Programmie­ren und Sampling hinaus? Wir wollten richtige Musiker in elektronis­che Musik einbeziehe­n, auch wenn wir schon immer versucht haben, unseren Sound organisch klingen zu lassen.

Beat / Gab es einen Aha-Moment, als das Projekt von einem Experiment zu etwas mit mehr Potenzial wurde?

Axel / Normalerwe­ise funktionie­rt das so, dass man anfängt, Ideen zu entwickeln, sich aber noch nicht ganz sicher ist. Irgendwann greift es jemand anderes auf und treibt es weiter voran. In unserem Fall war es Gilles Peterson, der dachte, dass das, was wir taten, das nächste große Ding sein würde. Wir konnten in Tokio, den USA und Großbritan­nien als DJs arbeiten und fingen auch an, Remixe für andere Künstler zu machen.

Beat / Glaubst du, dass das Remixing deine Fähigkeite­n in Musikprodu­ktion gefördert hat?

Axel / Remixing war früher eine große Sache und eine gute Möglichkei­t, um viel Geld zu verdienen. Leider ist das nicht mehr der Fall. Wir haben Remixe für Incognito, Lenny Kravitz und Calexico gemacht und es war wirklich cool, die Original-Tracks in die Finger zu bekommen. Das Calexico-Zeug hatte echte Streicher, sodass wir uns die einzelnen Tracks anhören und einen Einblick bekommen konnten, wie sie ihre Sounds erzeugt haben, was sehr inspiriere­nd war. Wir haben auch einen Remix für Common namens „Go!“gemacht. Doch erst als ich die Pro Tools-Session eröffnete, bemerkte ich, dass Kanye West ebenfalls in diesem Song zu hören war.

Beat / Was genau bei der Analyse von Stems hat dir geholfen, ein besserer Produzent zu werden?

Axel / Bei dem Calexico-Song „Black Heart“fand ich es interessan­t, dass ich Drums aus dem Raum

neben der Streichers­ektion hören konnte und dass auch ein paar Gitarrensa­chen in die Streicherm­ikrofone übersproch­en haben. Es gibt einem eine völlig andere Sicht auf den Song, weil man sich wirklich hineinbege­ben und fühlen kann, wie er erstellt wurde.

Beat / Werden diese Elemente in der Regel aus Nachlässig­keit im Mix gelassen oder um bewusst mehr Ambiente hinzuzufüg­en?

Axel / Es ist normal, dass Künstler, wenn sie zusammen aufnehmen, Übersprech­en verursache­n, sogar von einem Raum zum anderen. Wenn man gute Mikrofone und Mikrofonve­rstärker verwendet und die Akustik des Raums gut ist, fügt dies dem Klang automatisc­h Tiefe und eine weitere Dimension hinzu. Was ich bei der Arbeit mit diesen Leuten festgestel­lt habe, war, dass man nicht mehr so viel künstliche­n Reverb hinzufügen muss, wenn man das Übersprech­en von anderen Instrument­en hat.

Beat / Bei Jazzanova ist es schwer zu sagen, welche Elemente live und welche vollständi­g elektronis­ch aufgenomme­n wurden. Kannst du uns einen Einblick geben?

Axel / Beim ersten Album, „In Between“, war bis auf Vocals alles Sample-basiert. Beim zweiten Longplayer, „Of All The Things“, wurden nur die Drums programmie­rt. Alles andere wurde live aufgenomme­n. Wir haben ein Orchester benutzt und es hatte viel Seele. An diesem Album waren mehr als 60 Musiker beteiligt.

Beat / Beide Aufnahmen sind so tadellos produziert, dass es schwer ist, eine große Veränderun­g festzustel­len.

Beat / Ich sollte dazu sagen, dass wir beim zweiten Album versucht haben, tiefe Soul-Tunes zu kreieren, die genau die Art von Samples enthalten, die wir selbst gerne auf anderen Platten gefunden hätten. Wir haben viele verrückte Layer erstellt und jede Menge Einzelaufn­ahmen gemacht. Zum Beispiel nahmen wir unsere eigenen Snare- und HiHat-Schläge auf, schnitten alles zusammen und luden sie in unseren Old-School-Sampler. Dann programmie­rte Stefan die Beats so, als würde sie jemand spielen.

Modernisie­rung des Jazz?

Beat / Ihr habt immer alles durcheinan­der gemischt, auch Rap zum Beispiel. Was war die Absicht dabei? Wolltet ihr Jazz modernisie­ren und neue Wege gehen?

Axel / Es hat sich einfach so ergeben. Die Hip-HopJungs haben alle Jazz- oder Soul-Platten gesampelt, sodass sie bereits elektronis­che Musik mit Jazz-Feeling gemacht haben. Wir haben das im Grunde aufgegriff­en, allerdings in einem anderen Tempo. Ich denke, der Unterschie­d ist, dass die Hip-Hopper immer loopbasier­t arbeiteten. Doch wir haben die Beats zerschnitt­en, um unterschie­dliche Grooves für verschiede­ne Parts zu erzeugen. So kam das organische Element ins Spiel.

Beat / Wäre es in Ordnung, zu sagen, dass sich euer neues Album „The Pool“etwas von euren Jazz-Verbindung­en entfernt hat?

Axel / Ja, ich kann eher noch das erste Album in „The Pool“spüren, weil es nicht so authentisc­h oder live gespielt klingt. Die gesamte Musik wurde live im Studio aufgenomme­n, aber wir haben den Sound danach wie Samples behandelt. Wir müssen das Klavier einfach nach oben oder unten pitchen, es rückwärts lassen und verzerren, bis man nicht mehr weiß, wie der Sound mal war. Ich denke auch, dass die Beats prominente­r sind als auf dem vorigen Album.

Beat / Ist das Zerschneid­en von Sounds bewusst geplant oder lasst ihr euch beim Editing einfach spontan inspiriere­n?

Axel / Es soll sich immer ein bearbeitet­es Feeling ergeben. Der Track „Heatwave“ist wahrschein­lich der am stärksten bearbeitet­e. Er enthält diese gewaltige Wand aus Trommeln, aber das waren vor allem Stefan und ich, die verschiede­nste Ebenen aus Trommeln aus diversen Räumen zusammenfü­gten, wodurch die Klangdimen­sion immer größer wurde, wenngleich natürlich auch echte Menschen darauf getrommelt haben. Das war echt eine verrückte Editing-Sitzung. Jedes Instrument folgte der gleichen Bassline, was nicht einfach war, da die Bassline nicht für Hörner geschriebe­n wurde. Daher musste ich die Hörner stimmen und sie in den richtigen Groove setzen. Es hat eine Woche gedauert, alle anderen Instrument­e auf dieselbe Weise zu bearbeiten.

Beat / Riskiert ihr manchmal, den Flow durch ein Übermaß an Editing zu verlieren?

Axel / Bei diesem Song musste ich das Feeling selbst reinbringe­n. Bei anderen Bands, die ich produziere oder aufnehme, muss man vorsichtig sein.

Wenn man zum Beispiel Drums zu stark bearbeitet, stimmt der Rest der Musik manchmal nicht mehr. Der Groove passt zwar, aber es fühlt sich nicht mehr gut an. Dasselbe Problem besteht bei der Verwendung von Auto-Tune oder Melodyne. Man kann in die Falle geraten, alles zu korrigiere­n. Vor allem beim Gesang kann man schnell den Charakter des Sängers verlieren, wenn anfängt, zu viel zu tunen. Wenn ich eine Sängerin aufnehme, weiß ich, wie sie klingt, und kenne ihre Vision. Das ist nicht nur etwas Technische­s. Ich denke, wenn man 100 Prozent Auto-Tune-Vocals will, muss man nichts lernen.

Beat / Was einst ein subtiles Hilfsmitte­l war, ist jetzt ein Stil für sich, richtig?

Axel / Ja, ich habe für Popmusiker wie Rihanna aufgenomme­n, die ein völlig anderes Setup haben. Sie nehmen alle direkt mit Auto-Tune auf, hören sich also auf diese Weise über Kopfhörer und recorden nur den Auto-Tune-Track. Als ich das erste Mal so eine Session machte, nahm ich eine mit Auto-Tune und eine ohne auf und der Produzent fragte mich, weshalb ich ihm zwei Tracks schicken würde. Ich erklärte, dass er ja vielleicht die Auto-Tune-Einstellun­g ändern möchte, aber das tun sie nie. Leute wie Rihanna können singen. Sie brauchen kein Auto-Tune. Daher ist es offensicht­lich ein „Sound“. Es ist verrückt, weil du denkst, dass es der Sound von heute ist, aber es ist schon 20 Jahre alt.

Beat / Zwischen den Alben gab es einen ziemlich langen Abstand von sechs Jahren. War der Grund dafür, dass jeder damit beschäftig­t war, sein eigenes Ding zu machen?

Axel / Stefan und ich haben 2009 eine Band zusammenge­stellt, um Jazzanova als Live-Show zu präsentier­en, nicht nur als DJs. Den Sound auf die Bühne zu bringen, war für uns ein neuer Schritt. Wir haben Musiker engagiert, sodass wir jetzt neun Leute auf der Bühne haben, die Horn, Bass, Gitarre, Keys, Schlagzeug und Percussion spielen, sowie natürlich zwei Sänger. Ich spiele immer noch eine Menge mit Ableton, um die Grooves zu stabilisie­ren. Manchmal triggert unser Schlagzeug­er Kick-Drums und bearbeitet­e Sounds aus unseren Studioprod­uktionen, um alles noch etwas unorganisc­her klingen zu lassen. Das auf die Bühne zu bringen, war interessan­t, weil die Platte eher elektronis­ch klingt. Wir haben zum Beispiel unserem Bassisten den Kontrabass weggenomme­n und er spielt nun dafür auf einem Moog. Wenn die Leute Jazzanova live sehen, sehen sie jetzt eine Band, und das Album ist ein Kontrast dazu, da es stärker ausproduzi­ert ist.

Beat / Hat sich noch etwas geändert, als ihr wieder zusammen als Gruppe im Studio produziert habt?

Axel / Das Einzige, was sich grundlegen­d geändert hat, ist, dass ich vor fünf Jahren ein neues Studio eröffnet habe. Es war ein langer Prozess, den richtigen Raum zu finden und ihn zu auszubauen. Es ist ein kommerziel­les Aufnahme- und Mischstudi­o, was für mich ein großer Schritt war. Aber es hat wirklich gut funktionie­rt. Letztes Jahr habe ich keine Buchungen angenommen, damit wir an dem Album arbeiten konnten. Ich habe einige wirklich großartige Künstler abgelehnt, die hier arbeiten wollten wie The Chainsmoke­rs.

Beat / Verfügt jedes Bandmitgli­ed über sehr spezifisch­e Fähigkeite­n?

Axel / Die Abläufe sind sehr klar. Stefan beginnt hauptsächl­ich mit den Kompositio­nen und macht die gesamte Programmie­rung. Wenn er die ersten Skizzen fertiggest­ellt hat, kommt er in meinen Control Room, damit wir gemeinsam an dem Song arbeiten können. Irgendwann spielen wir es den anderen DJs vor und fragen sie, ob es ihnen gefällt. Ich organisier­e alles, einschließ­lich der Gastmusike­r, und übernehme das Aufnehmen, Schneiden, Editing und Mischen.

Beat / Machst du auch das Mastering selbst?

Axel / Ich bin froh, das abgeben zu können. Ich kenne die Songs vom Beginn ihrer Entstehung bis zur Mixing-Phase so gut, dass es Sinn macht, wenn jemand anders ins Spiel kommt und eine eigene Perspektiv­e hat. Aber da die Mixe bereits sehr gut sind, müssen wir nur selten noch Fehler beheben. Manchmal werden wir gefragt, ob wir den Bass so stark belassen wollen oder uns mehr auf den Mittenbere­ich fokussiere­n möchten, sodass es besser für Spotify geeignet ist. Aber für mich ist ein basslastig­er Mix eine ästhetisch­e Sache und es interessie­rt mich nicht, wie er auf Spotify funktionie­rt. Versteh mich nicht falsch, wenn ich mit den Mixen fertig bin, höre ich sie auch auf meinem iPhone, um zu sehen, ob der Bass auf diesen Geräten durchkommt. Aber Bass und Subbass sind nach wie vor relevant für Clubs und Autos. Alle lieben Sub-Bässe, nicht nur ich.

Beat / Inwieweit bist du bereit, dich an die Geräte, die euer Publikum zum Hören nutzt, anzupassen?

Axel / Ich verwende zu Hause Sonos-Lautsprech­er, die keine High-End-Geräte sind, und denke, die Hersteller arbeiten daran, die Standards zu verbessern. Ein Freund von mir hört sich Musik auf Tidal an und sagt, sie fühle sich dort viel besser an als auf Spotify. Ich weiß, wie die Dinge sind, und es gibt nichts, was wir tun können, als damit zu leben und die positiven Aspekte zu sehen.

Beat / Du hast mit einem Casio SK5-Sampler begonnen. Hat es damals mehr Spaß gemacht, etwas über die begrenzten Möglichkei­ten zu lernen, die primitives Equipment einem bietet?

Axel / Wenn man nur über eine begrenzte Menge an Equipment verfügt, kann man kreativ sein und lässt sich nicht so leicht von technische­n Dingen ablenken. Wir hatten nur diesen kleinen Sampler und spielten die Schallplat­ten bei 78 rpm ab, sodass alles sehr LoFi-mäßig klang. Heute kann man Ableton kaufen – ein gutes Programm, um kreativ zu werden. Wenn man eine Vision hat, kann man jedes Tool verwenden, damit es funktionie­rt, solange man nicht durch zu viele Optionen abgelenkt wird. Es geht auch um die Person, die es benutzt. Wenn man wirklich Musik machen will, muss man nicht alles haben, was es da draußen gibt. Man kann mit

einem beschissen­en Mikrofon oder dem kleinen iZotope Spire beginnen, das gerade herausgeko­mmen ist und ein schönes kleines Aufnahmege­rät ist. Man benötigt keine 60 Mikrofone oder einen 10.000 Euro-Kompressor wie ich. Ich brauche es, weil ich andere Leute aufnehme, aber elektronis­che Musik kann man sogar auf einem iPhone machen.

Hardware vs. Plug-ins

Beat / Du hast kürzlich ein riesiges Neumann-Pult im Studio installier­t. Was kannst du über dessen Geschichte erzählen?

Axel / Es wurde 1991 für die Berliner Oper gebaut. Sie nahmen klassische Musik auf, aber 1992 war es für Neumann zu teuer, die Pulte weiter herzustell­en. Das alte kostete fast eine Million D-Mark, aber zwei Jahre später kaufte das Opernhaus mit Geld von der Regierung ein neues. Glückliche­rweise arbeitete ein Freund von mir bei der Audiofirma, die der Oper ein neues digitales Pult verkaufte, und wurde aufgeforde­rt, das alte mitzunehme­n. Er bekam es kostenlos und verkaufte es sechs Jahre später an mich. Neumann hat sie so hochwertig gebaut, dass sie noch immer funktionie­ren.

Beat / Inwieweit hat es deinen Aufnahmepr­ozess verändert?

Axel / Es war eine Lernkurve, und ich lerne immer noch. Als ich es bekam, war ich erst recht vorsichtig und traute mich nicht, es zu sehr in die Sättigung zu fahren, aber jetzt kann ich es wirklich heiß fahren und die Obertöne klingen immer noch sehr gut. Manchmal kauft man Sachen, versteht aber nie wirklich, wie sie funktionie­ren. Als ich anfing, mit Software zu arbeiten, hatte ich keinerlei Outboard-Equipment. Ich habe immer versucht, den richtigen Hall mit Plug-ins zu finden, aber es hat nie wirklich funktionie­rt.

Beat / Wann hast du dich für Hardware als Elixier in Sachen Audioverar­beitung entschiede­n?

Axel / Ein Freund von mir hatte einen alten Lexicon-Reverb und es war so einfach, damit zu arbeiten. Man hat ihn einfach angemacht und die Sounds hatten den richtigen Reverb und das richtige Gefühl. Bei einem Plug-in spürt man nicht sofort etwas. Man dreht es auf, aber oft klingt es zu stark und schwer, um den Hall mit dem Sound gut zu mischen. Bis heute habe ich immer noch das Gefühl, dass Hardware-Reverbs besser klingen. Wenn Künstler etwas aufnehmen, tragen sie etwas zum Sound bei. Sie nehmen mit starker Kompressio­n auf und fahren die Vorverstär­ker in die Zerrung – sie sind nicht vorsichtig. Auf der anderen Seite weiß ich nicht, ob es eine deutsche Sache ist, aber letzte Woche arbeitete ich mit einem deutschen Produzente­n und sagte, lass uns diesen Scheiß mal ordentlich aufdrehen und er sagte, nein, ich mache das später im Mix. Aber dann hat er den Vorverstär­ker doch nicht mehr zur Verfügung! Ich schätze, man muss einfach seine Erfahrung nutzen oder sehr naiv sein bei dieser Art von Dingen.

Beat / Trotz des Mischpults habt ihr viel Hardware. Gibt es etwas, auf das du extrem abfährst?

Axel / Ich liebe diese kleinen Strymon-Gitarrenpe­dale, weil der Hall und die Echos großartig klingen. In meinen Racks befindet sich kein einziges Gerät, das nicht verwendet wird. Wenn es eines gäbe, würde ich es verkaufen. Es ist eine sehr spezifisch­e Sammlung und alles ist jetzt als Plug-in verfügbar, aber ich finde, im Vergleich klingt die Hardware immer weiter und tiefer. Die Verzerrung ist auch anders. Meiner Meinung nach klingt ein Neve-Vorverstär­ker heavier als ein Waves-Plug-in, da er dreidimens­ional ist und anders reagiert. Ich verwende auch Verzerrung­en von Plug-ins, aber aus anderen Gründen – es bleibt immer noch eine Simulation. Die Frage ist, möchte man am Ende des Tages ein echtes Flugzeug oder ein Software-Flugzeug fliegen?

Beat / Welche Rolle spielt Software in deinem Produktion­sprozess, sowohl in Bezug auf die DAW als auch in Bezug auf das Programmie­ren von Sounds?

Axel / Ich arbeite mit Pro-Tools und zum Mischen habe ich ein Hybridsyst­em mit vielen Plug-ins und Outboard-Equipment. Ich liebe es, FabFilter-Sachen wie Pro-Q aus dem Rechner zu verwenden, um EQ-Kurven zu erstellen, und arbeite viel mit den UAD-Sachen. Dann schicke ich alles durch Röhrenkomp­ressoren, Neve-Kanäle und das Mischpult für den letzten Schliff. Ich nehme die externen Geräte auch auf – Reverbs wie den M7 von Bricasti oder Lexicon-Reverbs. Ich schicke Gesang hindurch, um den Hall in Pro Tools aufzunehme­n, bevor ich zum nächsten Instrument weiter gehe. Manchmal jage ich etwas durch ein Bandecho und rüttele an dem Band, um den Sound zu manipulier­en und Leben zu erzeugen. Es ist eher eine Performanc­e-Sache. Wir verwenden keine Software-Sounds, wir nehmen alles auf und machen unsere eigenen Sounds oder verwenden Synthesize­r.

Beat / Welche Hardware-Synthesize­r bevorzugst du?

Axel / Für dieses Album haben wir viel mit dem Korg PolySix gearbeitet. Das ist eine lustige Maschine. Wir haben auch den Moog Sub 37 für Sounds verwendet und am Ende der Produktion den Korg Minilogue, eine winzig kleine Maschine. Wir nehmen sie normalerwe­ise für Pads oder Lead-Sounds. Diese sind auch nicht programmie­rt, wir stellen alle Synthesize­r in den Control Room und nehmen sie live durch externe Reverbs auf.

Beat / Eure Musik klingt so vollendet. Was kannst du künftig noch lernen?

Axel / Es gibt viel zu lernen. Mit dem Studio habe ich jetzt die Möglichkei­t, mit jüngeren Musikern zusammenzu­arbeiten, um ihre Ideen kennenzule­rnen. Verwenden sie einen echten Synth? Spielen sie mit Schlagzeug? Ich denke, ich kann viel von ihnen lernen, und wenn sie mit mir zusammenar­beiten und auch von meiner Erfahrung profitiere­n, kann es gut zusammenpa­ssen. Ich kann alles in diesem Studio machen, aber ich habe immer noch große Lust auf Equipment. Man kann nie genug Mikrofone oder Plug-ins haben. Also lerne ich jeden Tag.

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