RadioArt.Land sendet aus Quakenbrück
Wie ein kleiner Radiosender aus Quakenbrück Menschen in Zeiten von Corona verbinden will
QUAKENBRÜCK Seit August versorgt der Internet-Radiosender RadioArt.Land Musikbegeisterte mit einem breit gefächerten Programm und tröstet Discogänger sowie Musikkneipenromantiker über die Folgen des Lockdowns hinweg. Denn der gleichnamige gemeinnützige Verein, der hinter dem nicht kommerziellen Streamingsender steht, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Menschen während der CoronaPandemie zu verbinden und die Kunst nicht vollends in Vergessenheit geraten zu lassen. Zudem greift RadioArt.Land auch aktuelle Themen aus Politik und Gesellschaft auf – wie in einer Sondersendung zur US-Präsidentenwahl oder mit der neuen Sendung „Bits + Pieces“, in der sich der Osnabrücker Musikwissenschafter Holger Schwetter mit den Genderaspekten in Rock- und Popsongs beschäftigt.
QUAKENBRÜCK Keine Konzerte, keine Discos, keine Kneipen – im Corona-Lockdown herrscht Stille, unter der nicht nur die Kulturschaffenden leiden, sondern auch die vielen Musikenthusiasten. In Zeiten der gesellschaftlichen und kulturellen Isolation hat sich ein kleiner Internet-Radiosender aus Quakenbrück auf die Fahne geschrieben, mit Musik eine Verbindung zwischen den Menschen zu schaffen – das ist RadioArt.Land!
„ Art“-Land – dieser Begriff lässt Bob Giddens schon seit 40 Jahren, die der gebürtige Brite nun in Quakenbrück lebt, nicht mehr los. Er hätte wohl keinen passenderen Ort finden können als das Artland – das Kunstland (englisch: art = Kunst). „Das war für mich immer ein Aufhänger“, sagt Giddens, eines der Vorstandsmitglieder des gemeinnützigen Vereins RadioArt.Land, der hinter dem Streaming-Sender steht. „Es gab hier immer viel gute Musik“, erinnert Giddens an legendäre Tanzschuppen in der näheren Umgebung wie das Fiz Oblon in Bippen, das Scala in Lastrup, die Neue Heimat in Thüle oder den Circus Musicus in Märschendorf zwischen Lohne und Vechta.
„Man ist damals rausgegangen, um neue Musik zu hören“, erzählt Giddens – wohl wissend, dass seine Worte Teenager und junge Erwachsene, die die neuesten Hits heute per Spotify oder Apple Music rund um die Uhr streamen können, verwundern dürften. Vor 40 Jahren war das undenkbar. Da ist man auch schon mal mit dem Auto nach Amsterdam gefahren, um die neuesten Musikalben zu kaufen, die dann in den Diskotheken auf den Plattentellern landeten.
Auch wenn diese Zeiten längst passé sind, kam bei Giddens und ein paar Gleichgesinnten die Frage auf, was man in einer Pandemie tun kann, um die Kneipen- und Barkultur aufrechtzuerhalten, sie zu den Leuten zu transportieren. Die Idee von RadioArt.Land war geboren. „Musik ist ein gutes Medium, um eine Verbindung zu schaffen“, erklärt Giddens, für den Musik auch immer politisch war. Es war die Zeit von Woodstock, Hippie-Träumen und dem Vietnamkrieg, als Giddens anfing, sich für Musik zu interessieren.
Geschlechterrollen
Politik und hochaktuell ist auch das Gesellschaftsthema der Sendung „Bits & Pieces“, die erstmals am heutigen Donnerstag, 26. November, um 21.15 Uhr ausgestrahlt wird. In seinem Radiocast beleuchtet der Musikwissenschaftler Holger Schwetter aus Osnabrück die Geschlechterdebatte aus musikalischer Sicht. Anhand von vielen hörenswerten Songs von interessanten Interpreten zeigt Schwetter, wie es mit der Rollenverteilung in Pop- und Rocksongs so aussieht.
In der ersten Folge, die erstmals am Donnerstag, 26. November 2020, um 21.15 Uhr zu hören sein wird, geht es beispielsweise um das Thema „ Ausgehen“. Da hält Schwetter dem vor Testosteron triefenden Rock-Song „Bad Things“von Jace Everett das unsichere „Thin Line“von Honeyhoney entgegen und geht anschließend in seiner Analyse musikwissenschaftlich durchaus in die Tiefe.
Schwetter scheut auch nicht davor zurück, die Rollenklischees der Schlagerbranche zu beleuchten. Da tritt Nicole mit ihrem GrandPrix-Song „Ein bisschen Frieden“gegen Gunter Gabriel mit „Hey Boss, ich brauch mehr Geld an“– der Wunsch nach Weltfrieden gegen die plumpe Forderung nach mehr Geld. Klingt nach deutlicher Sache zugunsten der Sängerin. Weit gefehlt – Schwetter gibt allein an diesem Beispiel einen Einblick in die Musikbranche der frühen 1980er-Jahre und erklärt für den laienhaften Zuhörer nachvollziehbar, wie sich das klischeehafte Rollenbild auch in den Liedern manifestiert. Schon die ersten 80 Minuten lassen erahnen, dass
Schwetters „Bits & Pieces“zum Gender in Rock- und Popsongs durchaus Kultpotenzial hat.
Verbindung schaffen
Diese Sendung ist für Bob Giddens nur ein Beleg dafür, dass Musik auch heute noch politisch sei, sagt er. „Kunst hat die Möglichkeit, Dinge zu verändern. Aber in Zeiten von Corona gibt es keine Kunst.“Daher hoffen die Macher von RadioArt.Land, mit ihrem Programm Verbindung zwischen den Menschen zu schaffen. „Die Leute sehnen sich nach Kultur und Begegnung“, sagt Giddens.
Große Reichweiten und Hörerzahlen seien nicht das Ziel des Vereins. „Wir wollen den Leuten einen optimistischen Ausblick geben“, sagt Giddens, „wir werden wieder zusammenkommen. Aber es wird noch lange dauern, bis es wieder so wird, wie es war.“
Damit das Warten nicht so lange dauert, bietet Giddens passende Musik in seiner Sendung „Dance Ersatz“. Da sei manchmal schon schräge Musik dabei, „aber ich stehe dazu“. In den Sendungen, die hauptsächlich mittwochs bis samstags live auf https://radioartland.org gestreamt werden, gibt es die verschiedensten Musikrichtungen zu hören. Härtere Klänge serviert Harry V. in seiner Sendung „Metal Is Religion“. Bei Gisbert Wegeners „Hot Tunes“steht hingegen Progressive Rock im Mittelpunkt.
Wie Wegener, der früher schon im Fiz Oblon aufgelegt hat und auch als DJ der Musicland-Party in Restrup bekannt ist, haben auch andere DJs aus dem RadioArt.LandTeam weitreichende Erfahrung und sind sicherlich keine Unbekannten: DJ Fidi, DJ Schuby oder DJ Trixa haben schon etliche Partys in der
Region angeheizt. Nun stehen sie regelmäßig im Radiostudio in der Used-Fabrikhalle am Quakenbrücker Bahnhof und schicken ihre Musik raus in die Welt. Dass sie mit Spaß bei der Sache sind, sehen die Zuhörer im Live-Video aus dem Studio.
Aber wieso Radio, wenn es ohne Video nicht geht?! Ist Radio nicht von gestern? Dem stimmt Bob Giddens nur bedingt zu. „Radio hat seinen Platz in der Gesellschaft – es ist nur enttäuschend, wie es dasteht.“Es gebe nicht mehr viele gute Radiosender. Die meisten Programme widmen sich dem Mainstream, um eine möglichst große Hörerschaft zu gewinnen. „Da bleibt die Kunst an sich außen vor“, fällt Giddens ein hartes Urteil. Er ist aber überzeugt davon, dass man mit einem guten Radioformat wichtige Denkanstöße zu vielen Themen geben kann.
Für Bob Giddens ist es daher auch wichtig, dass in den Sendungen auf RadioArt.Land nicht einfach Lied nach Lied abgespielt wird. „ Jede Show soll eine Geschichte erzählen“, sagt Giddens, der angetan davon ist, wie viele gute DJs mitmachen. „Quakenbrück hat unglaublich viele Leute, die was können. Das ist eine kleine Großstadt“, schwärmt Giddens, der als Sänger der Band „Cliff Barnes and the Fear of Winning“sowie als Organisator des Benefiz-Festivals „Rock für Tibet“in der Musikszene natürlich gut vernetzt ist. Apropos „Rock für Tibet“: Aufgrund der CoronaPandemie konnte das Festival am Quakenbrücker Bahnhof 2020 nicht stattfinden. Doch die mehr als sechs Stunden lange Sondersendung auf RadioArt.Land brachte immerhin gut 3000 Euro an Spendengeldern ein.
Die meisten DJs senden direkt aus dem Quakenbrücker Studio. Das ist für Gast-DJ Gary nicht möglich – das ist Bob Giddens’ Bruder, der in den USA lebt und seine „Sounds from Guwanus“aus Brooklyn schickt. Gary Giddens hat auch bei dem nicht kommerziellen Radiosender Maker Part Radio aus Staten Island eine regelmäßige Sendung und ist damit an der Entstehung von RadioArt.Land nicht ganz unschuldig. „Er war der Auslöser“, sagt Bruder Bob. In der Nacht der US-Präsidentschaftswahl waren die Giddens-Brüder übrigens in einer Sondersendung im Wechsel zu hören.